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Digital Report 2022-02 Mit LEISNIG.info wollen völkische Siedler*innen Akzeptanz erschleichen

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Verbreitung von Telegram-Inhalten der Kanäle "Leisnig.info" und "Zusammenrücken in Mitteldeutschland" in überregionalen Gruppen und Kanälen auf Telegram. (Quelle: Digital Report 2022 - 02: Ausstieg aus der Demokratie: Extrem rechte Parallelstrukturen in Sachsen)

2021 geriet die mittelsächsische Kleinstadt Leisnig in die Schlagzeilen medialer Berichterstattung. Ursächlich dafür war der bekanntgewordene und offenbar systematische Zuzug mehrerer extrem rechter, völkischer Familien aus Westdeutschland, der sich seit einigen Jahren weitestgehend unbemerkt vollzogen hatte. Im April 2021 traten die völkischen Siedler auch erstmals als selbstbewusste Organisatoren wöchentlicher Kundgebungen gegen die Corona-Maßnahmen auf dem Leisniger Marktplatz auf und wagten somit den Schritt in die Öffentlichkeit.

Die Entwicklung in Leisnig steht dabei nicht isoliert. Der Aufbau völkischer Netzwerke und Strukturen intensivierte sich in den letzten Jahren vor allem in den neuen Bundesländern. Seit Februar 2020 rufen verschiedene Kreise der extremen Rechten koordiniert von der InitiativeZusammenrücken in Mitteldeutschlandöffentlich zur gezielten Besiedlung ländlicher Regionen und zum Erwerb von Immobilien in den neuen Bundesländern auf. Diese Initiative wird auch von völkischen Siedlerinnen und Siedlern aus Leisnig mitgetragen. Die Region ist derzeit die einzige in Sachsen, in der auf die Initiative Zusammenrücken in Mitteldeutschland basierende Zuzüge Rechtsextremer bekannt sind.

Die völkischen Siedler verfolgen eine Strategie, die langfristig darauf ausgerichtet ist, bestehende soziale Gefüge sowie die Alltagskultur zu unterwandern, um vor Ort eine Vormachtstellung zu generieren und politischen Einfluss zu erlangen.

Leisnig.info

Eine entscheidende Rolle für die Entwicklung in Leisnig nimmt der Telegramkanal LEISNIG.info ein, der seit Mai 2021 existiert und aktuell von 735 Personen abonniert wird (Stand 06.07.22). Der Kanal zählte im März 2022 zu den größeren regionalen Telegramkanälen. Neben dem Telegramkanal existiert eine gleich-namige Homepage. Im Impressum der Seite steht Michael H., der zum Kreis der völkischen Siedler zählt und bei den Leisniger Corona-Protesten als Redner in Erscheinung trat. Fotos zeigen ihn unter anderem zusammen mit Christian Fischer, Sprecher der InitiativeZusammenrücken in Mitteldeutschland“ und Teil des Leisniger Siedlernetzwerks, auf einer Kundgebung des NPD-Politikers Stefan Hartung in Bekleidung der extrem rechten Kleinstpartei Der III.Weg.

Mit LEISNIG.info wolle man laut Eigenaussage „über das normale Leben in unserer Heimat berichten“ und über das Geschehen in Leisnig und seinen vielen Ortsteilen informieren“. Der Telegramkanal bewarb im Zeitraum von Mai bis Juni 2021 vor allem die in dieser Phase stattfindenden Corona-Proteste auf dem Leisniger Marktplatz. Seit Beendigung dieser Kundgebungen im Juli 2021 behandelt der Kanal verschiedene Themen parallel. Einerseits nimmt LEISNIG.info die Rolle eines Multiplikators ein, indem auf dem Kanal Demonstrationsaufrufe für sogenannte Corona-Demos in benachbarten Städten geteilt und Nachrichten aus anderen Kanälen, die Verschwörungserzählungen im Zusammenhang mit dem Pandemiegeschehen verbreiten, weitergeleitet werden. Andererseits fokussiert LEISNIG.info lokale Themen ohne politischen Bezug, die auf ein geteiltes Alltagsleben vor Ort und ein Kollektivinteresse der Leisniger Bevölkerung bauen. Der Kanal bewarb unter anderem die Stadtfeier zum 975. Geburtstags Leisnigs, die Leisniger Apfeltage sowie das Weinfest und initiierte für die Geschädigten des Hochwassers im Ahrtal im Sommer 2021 die Spendenaktion „Leisnig hilft“. Im Rahmen eines 2022 in Leisnig durchgeführten Forschungsprojekts, das die Wahrnehmungen und Erfahrungen der lokalen Zivilgesellschaft im Umgang mit der extremen Rechten vor Ort untersucht hat, wurden mehrere problemzentrierte Interviews in der Kleinstadt geführt. Akteure der demokratischen Zivilgesellschaft schilderten in den Gesprächen mehrmals, dass die völkischen Siedler das zivilgesellschaftliche Engagement anderer für sich beanspruchen und sich mit fremden Federn schmücken würden:

Und jetzt war diese 975 Jahre-Feier von Leisnig, wo wir gesagt
haben, das können wir nicht groß feiern durch Corona, aber es
haben halt Leute trotzdem schön ihren Garten gestaltet und so.
Und dass dann eben einige von den völkischen Siedlern das
fotografiert haben und dann eben irgendwie ins Netz gestellt
haben, als wären das so ihre Initiativen. Oder dass man eben
auch mitgekriegt hat, es haben einige, die Trompete und Posaune
blasen, dass sie gesagt haben, wir spielen auf dem Marktplatz
in der Adventszeit wenigstens Advents- und Weihnachtslieder
und so, dass […] dann welche von den völkischen Siedlern da
waren und dann einfach dann was da an den Weihnachtsbaum
hängen wollten und so, dass sie immer dabei sind, die Sachen
zu vereinnahmen.“

Im Hintergrund stehen hier gesamtgesellschaftliche Entwicklungen. Die Folgen des demografischen Wandels führen zu einer eklatanten Veränderung kleinstädtischer und ländlicher Sozialräume des Typs Leisnig, womit häufig eine Ausdünnung der traditionellen Kommunikation einhergeht und kaum Informationsquellen für lokale Ereignisse bestehen. Der Telegramkanal und die Homepage von LEISNIG.info nutzen diese spezifische Gelegenheitsstruktur ländlich-kleinstädtischer Räume, die es den völkischen Siedlern erlaubt, öffentliche Aufmerksamkeit und Kommunikation als Ressource zu gewinnen
und sich so im Sozialraum zu etablieren.

Der digitale Raum als Teil der Raumergreifungsstrategie vor Ort

Damit ist der Kanal ein gutes Beispiel dafür, wie sich das völkische Siedlernetzwerk des digitalen Raums als festem Bestandteil ihrer Raumergreifungsstrategie vor Ort bedient. Sie nutzt die infrastrukturellen Schwächen der Region, um in Bereichen als „Kümmerer“ zu wirken, die durch öffentliche oder zivilgesellschaftliche Strukturen nicht abgedeckt sind, um sich so in der lokalen Bevölkerung zu etablieren.

Die digitale Selbstdarstellung der völkischen Siedler als engagierte und couragierte Gestalter des öffentlichen Lebens soll offensichtlich dazu beitragen, eine soziale und kulturelle Hegemonie zu etablieren, die ortsansässige Bevölkerung an sich zu binden und so über kurz oder lang eine soziale Akzeptanz extrem rechter Strukturen zu erzeugen. Damit orientieren sich die völkischen Siedler am 3-Säulen-Konzept der „national befreiten Zonen“, das die Aneignung von Räumen als extremrechte Strategie beschreibt. Dass es sich um eine inszenierte Darstellung handelt, wird am Beispiel des Leisniger Spendenlaufs aus dem September 2021 sichtbar.

Aneignen und inszenieren

Der Spendenlauf des lokalen Hospizvereins ist eine jährliche Veranstaltung, an der sich weite Teile der Leisniger Zivilgesellschaft beteiligen. Über den Telegramkanal LEISNIG.info wurde im Vorfeld zur Teilnahme aufgerufen. Vor Ort kam es dann zu einem gewaltvollen Zusammenstoß zwischen den dort erscheinenden völkischen Siedlern und Personen der demokratischen Zivilgesellschaft. Den Schilderungen Betroffener zufolge hätte das vor Ort an die völkischen Siedler ausgesprochene Teilnahmeverbot am Spendenlauf ein aggressives und körperliches Auftreten der völkischen Siedler samt ausgesprochener Gewaltandrohungen gegen die Organisatoren des Spendenlaufes ausgelöst, das durch die Polizei unterbunden werden musste. Auf LEISNIG.info wurde dieses Vorkommnis hingegen nicht
erwähnt, vermutlich auch, weil es die Strategie der völkischen Siedler unterminiert hätte, sich als zivilen und integrativen Teil der lokalen Stadtbevölkerung zu inszenieren.

Phänomene dieser Art bezeichnet Phillip Hübl als „identitätsschützende Denkfehler“ und meint damit die Instrumentalisierung einer Aussage als legitim, sofern sie der eigenen Gruppe nutzen würde, auch wenn sie nicht der Wahrheit entspräche. Eine aktuelle Untersuchung extrem rechter Onlinestrategien auf Telegram bestätigt, was der Umgang in Bezug auf den Vorfall des Leisniger Spendenlaufs bereits angedeutet hat: Der Wahrheitsgehalt ist für die Außenkommunikation der extremen Rechten weniger relevant als deren Selbstinszenierung, die der Repräsentation innerhalb der digitalen Sphäre dient.

Keine unpolitische Plattform

Dass LEISNIG.info kein neutrales Informationsmediumist, das das Alltagsleben der Kleinstadt (wieder-)beleben möchte, wird auch am Beispiel der kürzlich stattgefundenen Bürgermeisterwahl im Juni 2022 in Leisnig sichtbar. Über Telegram rief man mehrfach dazu auf, den durch SPD, LINKE und GRÜNE aufgestellten Kandidaten zu verhindern, und bewarb stattdessen den parteilosen Kandidaten Karsten Müller: „Auch wenn in Leisnig niemand von den Freien Sachsen kandidiert, gibt es doch wählbare Alternativen“ (Telegramkanal LEISNIG.info, Beitrag vom 12.06.22).

Des Weiteren werden auf LEISNIG.info mitunter explizit völkische Inhalte geteilt, wie etwa ein Videozusammenschnitt der Wintersonnenwende-Feier am 21.12.2021 . Aktivitäten oder Inhalte, die die völkischen Siedler jedoch als ersichtlich rechtsextrem erkennen lassen, werden nur spärlich in die digitale Außendarstellung eingebunden, da dies die Vor-Ort-Taktik der rechten Raumnahme gefährden würde. Die wenigen Beispiele, bei denen klandestine Zusammenkünfte der völkischen Siedler bewusst in die digitale Öffentlichkeit getragen werden, sollen siedlungswillige Akteure der extremen Rechten von der imaginierten Strahlkraft des völkischen Projekts in Leisnig überzeugen. Das Netzwerkdiagramm (s.o.) veranschaulicht in diesem Zusammenhang aber, dass die Werbefunktion des völkischen Siedlungsprojekts aus Mittelsachsen auf überregionaler Ebene eher gering einzuschätzen ist. Stattdessen nimmt LEISNIG.info einen starken Einfluss auf regionale Gruppen, insbesondere die mittelsächsischen.

Die rechtsextreme Initiative „Zusammenrücken in Mitteldeutschland“

Neben dem lokal ausgerichteten Telegramkanal LEISNIG.info existiert der Telegramkanal „zusammenruecken“. Dieser repräsentiert die gleichnamige Initiative „Zusammenrücken in Mitteldeutschland und tritt im digitalen Raum klar erkennbar als extrem rechts und völkisch in Erscheinung. Der Kanal bewirbt ohne einen expliziten Lokalfokus, die extrem rechte Raumergreifungsidee einer Besiedlung der ländlichen Gebiete der neuen Bundesländer. Während LEISNIG.info eine eigene Strategie verfolgt, die darauf Wert legt, sich digital zu inszenieren und nicht als völkisch und extrem rechts wahrgenommen zu werden, möchte der Kanal zusammenruecken als völkisch und extrem rechts erkennbar sein und als Werbe- und Informationsplattform neue Siedler rekrutieren.

Das Netzwerkdiagramm (s.o.) zeigt, in welchen Gruppen und Kanälen auf Telegram im deutsch
sprachigen Raum (ohne sächsischen Bezug) Inhalte der Kanäle „Zusammenrücken in Mitteldeutschland“ und LEISNIG.info bis zum 15.06.2022 weitergeleitet wurden. Dazu wurden 590 Gruppen und Kanäle systematisch nach Weiterleitungen aus den genannten Kanälen untersucht. Sie setzen sich zusammen aus 450 Gruppen und Kanälen, welche als Ergebnis der Untersuchung in der Pilotausgabe des EFBI Digital Report ebenfalls in unserem sächsischen Sample weitergeleitet wurden, und weiteren 140 Gruppen und Kanälen, welche durch das Projekt De:Hate der Amadeu Antonio Stiftung als relevante, deutschlandweite Telegram-Auftritte der rechtsextremen und verschwörungsideologischen Szene ausgemacht wurden.
Die Breite der Kanten ergibt sich aus der relativen Häufigkeit der Weiterleitungen.

In Anbetracht der Menge der untersuchten Telegram-Auftritte ist das Ergebnis eher bescheiden. Der
Aufruf auf derZusammenrücken“-Homepage, die Bewegung zu bewerben, scheint überregional nicht zu fruchten. Dennoch ist zu bemerken, dassZusammenrücken“ vorrangig in völkischen und extrem rechten Gruppen und Kanälen der Gruppierungen Der III. Weg“ und Identitäre Bewegung geteilt wird. Eine starke Verbindung scheint zum extrem rechten LabelPC Records zu bestehen. Das Musik-Label hat zwar seinen Sitz in Chemnitz und somit auch einen wichtigen Einfluss in Sachsen, aber aufgrund der bundesweite Bedeutung in der Rechtsrock Szene ist es in dieser Untersuchung mit aufgeführt. Nachrichten des Kanals LEISNIG.info finden sich u.a. in den Chatgruppen der regional-nahen Influencer Elijah Tee und Sven Liebich wie auch im rechtsextremen Nachrichtenportal PI News (PI steht für Politically Incorrect) sowie im Hauptkanal derEltern stehen auf. Der Kanal impfkritisch“ teilt Inhalte aus beiden untersuchten Kanälen. Leben in Mittelsachsen“ hat keinen nachweislichen Einfluss außerhalb Sachsens, jedoch ist die Nähe zu LEISNIG.info zu erkennen. Ebenso ist eine starke Einflussnahme von LEISNIG.info auf Zusammenrücken in Mitteldeutschland“ zu sehen.

Ausblick

Die Raumaneignung(sversuche) der völkischen Siedler finden in Leisnig nicht nur geografisch statt. Online-Aktivitäten spielen für die Mobilisierungserfolge der extremen Rechten in den letzten Jahren eine wichtige Rolle.

In Leisnig nutzen die völkischen Siedler spezifische Gelegenheitsstrukturen rechter Bedrohungsallianzen im kleinstädtisch-ländlichen Raum. Der Telegramkanal LEISNIG.info nutzt die Ausdünnung traditioneller Kommunikationsnetzwerke, um sich als (vermeintlich) unpolitische Informationsquelle des öffentlichen Lebens innerhalb der Kleinstadt zu inszenieren und darüber zur Etablierung der Völkischen vor Ort beizutragen.

Der digitale Auftritt der völkischen Siedler in Leisnig ist von einer Kommunikation geprägt, in der eine starke Eigendarstellung und Repräsentation über dem Wahrheitsgehalt steht, mit emotionalisierenden Inhalten gearbeitet wird und mit der Corona-Pandemie die Reproduktion von Verschwörungsmythen zentral geworden ist. Der 2022 entstandene Telegramkanal „Leben in Mittelsachsen“ ist ein weiteres
alarmierendes Beispiel, das sich der gleichen Taktik auf regionaler Ebene bedient und bereits durch in der Region verwurzelte Akteure der extremen Rechten, wie den Döbelner NPD-Kader Stefan Trautmann, beworben wird.

Abschließend lässt sich festhalten, dass mit dieser Taktik seitens der völkischen Siedler der Versuch unternommen wird, langfristige politische Sozialisationsprozesse in Gang zu setzen, die die Voraussetzung für extrem rechte Normalisierungsgewinne bilden.

 


Dieser Text ist ein Auszug aus dem neuen Report:

EFBI / Amadeu Antonio Stiftung:
Digital Report 2022-02

Ausstieg aus der Demokratie: Extrem rechte Parallelstrukturen in Sachsen

Leipzig, Juli 2022

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