Das Else-Frenkel-Brunswik-Institut (EFBI) und die Amadeu Antonio Stiftung Sachsen forschen in einem gemeinsamen Monitoring zu den Telegram-Kanälen sächsischer Akteure im extrem rechten und verschwörungsideologischen Spektrum, um daraus Rückschlüsse für Demokratiearbeit zu ziehen. Die Ergebnisse werden in vierteljährlich erscheinenden Digital-Reports publiziert. Im aktuellen Report geht es um rechte Parallelgesellschaften. Ein Auszug:
Der letzte EFBI Digital Report stellte fest, dass viele der derzeit aktiven Telegram-Gruppen ihren Ursprung im Protest gegen die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung mit dem Schwerpunkt Elternschaft bei den Gruppen „Eltern stehen auf“ haben. Entsprechend bildet die Initiative „Eltern stehen auf“ im Folgenden einen ersten Ausgangspunkt für die quantitative und qualitative Auswertung weiterer Telegram Gruppen, die rechtsesoterisches und demokratiefeindliches Gedankengut verbreiten.
Einen zweiten Ausgangspunkt bildet das Netzwerk um den Verein „Wissen schafft Freiheit“, welches von dem Österreicher Ricardo Leppe im Juni 2020 initiiert wurde und mittlerweile über 40.000 Mitglieder im deutschsprachigen (digitalen) Raum umfasst. Leppe ist Anhänger der Anastasia-Bücher, vertritt die gefährliche pseudomedizinische und antisemitische germanische Heilkunde und hat innerhalb kürzester Zeit den Anschluss zu anderen rechten Akteurinnen und Akteuren in der Szene der Verschwörungsgläubigen gefunden.
Dieser Beitrag zeigt auf, welche Relevanz die rechtsesoterische Siedlungsbewegung, die sich auf die Anastasia-Bücher bezieht, im digitalen Raum hat und wie eng vernetzt und ideologisch verbunden mit völkischen Rechtsextremen in Sachsen diese Gruppierungen sind.
Das Netzwerk „Wissen schafft Freiheit“
Im Juni 2020 startete der Österreicher Ricardo Leppe seine Webseite wirsindfrei.com und verbreitet seitdem durch den Verein „Wissen schafft Freiheit“ (WSF) sein Konzept der „Schule der Zukunft“. Diese soll abseits staatlicher Kontrolle überall im deutschsprachigen Raum etabliert werden. Neben der Kritik an staatlichen Schulen, hegt er auch gegen andere staatliche Institutionen, die Wissenschaft im Allgemeinen und wissenschaftsbasierte Medizin im Besonderen, große Abneigung: „Glaubt’s nicht, was die euch da draußen sagen, ich hab’ noch kein einziges Thema gefunden, wo sie uns nicht belügen“. Passend dazu wird er regelmäßig in extrem rechte und verschwörungsideologische Online TV-Kanäle wie kla.TV oder Auf1 eingeladen. Letzterer wird von dem rechtsextremen Netzwerker Stefan Magnet aus Österreich geführt und bot bereits dem Chefredakteur des ebenfalls extrem rechten Compact-Magazins Jürgen Elsässer eine Bühne. Kla.TV schaffte es zuletzt wegen des Auftritts der Holocaust Leugnerin Sylvia Stolz in die Presse.
Mit WSF begeben wir uns also mitten hinein in die extrem rechte und verschwörungsideologische Szene, die während der Pandemie in den vergangenen zwei Jahren stark an Sendungsbewusstsein und Zuwachs gewonnen hat.
Leppes Schule der Zukunft
Ricardo Leppe gibt sich nahbar und verständnisvoll gegenüber den Herausforderungen, denen sich Eltern während der Pandemie, den Schulschließungen und auch dem Unterrichten zu Hause stellen mussten. Was macht Leppes „Schule der Zukunft“ so anschlussfähig?
Nach Leppe reichen ein bis zwei Stunden Unterricht am Tag, der Rest der Zeit solle mit Tätigkeiten gestaltet werden, die Spaß machen. Die meisten gängigen Unterrichtsinhalte hält er für überflüssig und um Mathematik-Aufgaben zu lösen, wendet er in seinen YouTube-Videos billige Tricks und Fingerrechnen an, mit denen man jedoch den eigentlichen logischen Rechenweg nicht versteht.
Es müsse mehr Wissen über die Natur und Pflanzenwelt an Kinder vermittelt werden, um gesund durch das Leben zu gehen. Zum weiteren pädagogischen Konzept gehört bei Ricardo Leppe auch, dass Kinder und Jugendliche sich untereinander Erlerntes weitergeben. Ob das vermeintlich weitergegebene Wissen richtig oder falsch ist, spielt eine untergeordnete Rolle. Diese Komponenten zusammen ergeben „die Schule der Zukunft“, die Leppe sich auf seinen eigenen Plattformen ausmalt und in den sozialen Medien teilt. Einige seiner Ideen stehen in der Tradition anderer Freilernen-Initiativen, weswegen er offensichtlich an einige bereits vor der Pandemie bestehende Freilernen-Gruppen andockt und in seine Organisierung mit aufnimmt.
Menschenfeindliche Pseudomedizin
Was sich in den Beiträgen der WSF-Gruppen nach alternativen Lern- und Heilmethoden und gesunder Ernährung anhört, ist geprägt von der sogenannten germanischen neuen Medizin (GNM). Dieser Lehre zufolge existierten keine Infektionen, alle noch so kleinen Pilze und Bakterien in unserer Umwelt hätten einen (höheren) Sinn und eine Aufgabe. Viren als Ursache für Krankheiten werden von den selbsternannten Heilerinnen und Heilern bestritten. Menschen würden krank werden, wenn sie einen „Konflikt“ zu bearbeiten hätten, das menschliche Gehirn würde dazu lediglich Mikroben „zur Hilfe rufen“.
Krankheitssymptome würden auftreten, wenn der Konflikt bereits bearbeitet und man in einer Art seelischen Heilungsphase sei. Somit würden Tumore einer Krebserkrankung auch schrumpfen, wenn ein innerer Prozess gelöst sei. In diesem Prozess spiele Schmerz eine wichtige Rolle und dürfe nicht medikamentös behandelt werden. Schon mehrmals kam es zu Todesfällen wie auf der Plattform Psiram dokumentiert ist.
Nach der Logik der GNM argumentieren auch die Brüder Leppe, gemischt mit viel Misogynie, in einigen ihrer Videos, wie mit Themen rund um Körper und Gesundheit umzugehen sei. Wenn Frauen menstruieren und dabei viel Blut verlieren und Krämpfe verspüren, dann seien sie nichts Anderes als unrein und müssten dringend ihre Ernährung umstellen. Man müsse sich die Frage stellen, warum man so viel „Dreck“ im Körper hätte, der aus dem Körper raus möchte (Telegram Video vom Mai 2021). Gleiches gilt für Schmerzen bei der Geburt, die „natürlicher Weise“ nicht empfunden würden. Diverse Erklärungen, warum Impfungen unnötig seien, Sonnencreme die umgekehrte Wirkung erziele und Erkältungen nichts mit Ansteckung und Viren zu tun hätten werden über die WSF Kanäle und Gruppen im regelmäßigen Turnus verbreitet und stehen in der Tradition der GNM.
Anastasia-Bücher und Schetinin
Zudem sind die Leppes überzeugt von den Anastasia-Büchern, in deren drittem Band von der Schetinin-Schule erzählt wird. Mit einer Lehramtsstudentin führte Ricardo Leppe bereits 2020, ein Jahr nach der Schließung der Schetinin-Schule, ein zweiteiliges Interview. Bei der Schetinin-Schule in Tekos (Russland) handelte es sich um ein Internat, das nach klaren Geschlechterrollen Kinder teils getrennt unterrichtete, drillte und militärisch ausbildete. Trotz inzwischen erfolgter Schließung ergeben sich für beide auf verklärte Art und
Weise genügend positive Bezüge zu den Zuständen und Erziehungsweisen in dieser Einrichtung. Kinder werden sowohl in der Schetinin-Pädagogik als auch in den Anastasia-Büchern, „wie im esoterischen Kontext üblich – als den Erwachsenen geistig überlegene Persönlichkeiten betrachtet, da sie noch reiner und noch nicht durch ‚moralische Dogmen‘ negativ beeinflusst seien“ (Pöhlmann 2021, 211). Damit scheint den Kindern und Jugendlichen noch nicht genug zugemutet, denn das pädagogische Konzept von Schetinin geht davon aus, dass Kinder „bereits das gesamte Wissen in sich [trügen]“ (ebd.). Es wäre ihnen durch eine vermeintliche Verbindung mit dem Kosmos bereits durch ihre Geburt zugetragen. Jüngere würden deshalb die älteren Kinder unterrichten. Welche Mitverantwortung die Schetinin „Pädagogik“ derzeit im russischen Angriffskrieg hat, lässt sich ungefähr erahnen. Pöhlmann (2021) zitiert aus einem Prospekt der Schule, dass die männlichen Absolventen in den Armeedienst eintreten und durch ihre militärische Grundausbildung in jungen Jahren „von den fortschrittlichsten Einheiten der Luftstreitkräfte, des Marine Corps und des Innenministeriums angeworben“ würden (S. 214). Passend dazu, erklärte sich Wladimir Putin selbst als persönlicher Unterstützer der Schetinin-Schule (ebd.).
Querdenken und Freilernen
Freilernen ist kein neues Konzept, das nicht erst mit der Pandemie entstanden ist oder durch die Familie Leppe begründet wurde. Tatsächlich handelt es sich um eine recht breit gefasste Idee, die das Lernen abseits vom (staatlichen) Schulbesuch beschreibt. Das kann individuell oder in Gruppen organisiert werden. Auch die Gründung einer eigenen Schule kann Teil des Konzepts sein, ebenso wie das “Homeschooling” nach US-amerikanischem Vorbild. Die bürokratischen Hürden, die bis zu einer Schulgründung zu überwinden sind, sind in Deutschland allerdings recht hoch, wie auch das Bußgeld für Eltern, welches bezahlt werden muss, wenn die eigenen Kinder nicht zur Schule gehen.
Dennoch gibt es immer wieder publik gewordene Fälle, in denen Kinder von Eltern aus dem verschwörungsideologischen Milieu vom Schulbesuch ferngehalten werden und in selbstorganisierten Gruppen unterrichtet werden. In Österreich und in der Schweiz existiert keine Schulpflicht, lediglich eine sogenannte Bildungspflicht, die auch anderweitig nach Prüfung durch die zuständige Bildungsdirektion erfüllt werden kann. In den WSF-Kanälen gibt es anwaltliche Beratung und Austausch zu rechtlichen Fragen rund um Schulgründungen und Umgehung der Schulpflicht in Deutschland. Grund dafür sind die Pandemie, die geleugnet oder verharmlost wird und die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, die von Teilen der Gesellschaft und rechtsesoterischen Kreisen abgelehnt werden. Dies ist schließlich der Faktor, der nicht nur Leppe mit seinen Ideen in die Karten spielt, sondern auch Proteste von Querdenken und Eltern stehen auf und weitere verschwörungsideologische Organisierungen befeuert hat. Hier findet sich außerdem der Schulterschluss mit Anhängerinnen und Anhängern der Reichsideologie. Gemeinsam wird dazu aufgerufen, staatliche Institutionen wie z.B. Schulen zu meiden und eigene Strukturen aufzubauen. Diese Strategie wurde zuletzt in einer MDR-Reportage durch den Querdenken Aktivist Andreas Martin von Mitteldeutschland steht auf formuliert: „Ob ihr alternative Lerngruppen macht, ob ihr alternative Ernährungsprogramme macht, ob ihr alternative Landwirtschaft macht oder oder. […] Vernetzt euch offline, bildet Gruppen – regional und überregional, weil das ist genau das, was sie nicht wollen“.
Einordnung und Diskussion
Am Anfang seiner Netzwerker-Karriere 2020 platzierte Ricardo Leppe auf seiner Webseite Beiträge über die Anastasia-Buchreihe, ein Interview mit dem GNM-Vertreter Helmut Pilhar und weitere Lehrartikel zur sogenannten germanischen Heilkunde. Verschwörungsideologische Literatur bewirbt er heute immer noch offensiv, während die anfänglich ins Netz gestellten Inhalte mittlerweile alle gelöscht sind. Durch bisherige mediale Berichterstattung über seine demokratiefeindlichen Ideologien hat er kritische Nachfragen aus seiner Community bekommen, denen er per Video-Botschaft damit antwortet, er würde zu Unrecht in eine Schublade gesteckt und das wichtigste sei, sich ein eigenes Bild von ihm zu machen.
Die Auswertungen von Gideon Wetzel über die WSF-Aktivitäten in Sachsen zeigen deutlich: In den Telegram-Gruppen von „Eltern stehen auf“ und „Freiheitsboten“ kommt alles, was rechts ist zusammen: völkisches Gedankengut von „Zusammenrücken in Mitteldeutschland“, Reichs- und Verschwörungsideologie bis zur Anastasia-Bewegung. Inhalte der Anastasia-Bewegung und WSF haben zudem nachweislich den größten Einfluss auf „Eltern stehen auf“ und die „Freiheitsboten“. Dieses Ergebnis ist nicht ganz überraschend, denn einer der Gründer von „Eltern stehen auf“, Gerhard Praher, betreibt eine Webseite mit dem Namen „Cosmic-society.net“, auf der er neben diversen verschwörungsideologischen Vorträgen über Außerirdische, Hohlerde und Telepathie auch ganz zentral auf die Anastasia-Bücher und die darin beschriebene Schetinin-Schule verweist.
Die Ergebnisse zeigen auch, dass eine deutliche Vermischung bzw. Vernetzung verschiedener demokratiefeindlicher bis rechtsextremer Milieus im digitalen Raum besteht. Dies wurde auch auf den Straßen mit den Protesten gegen die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung sichtbar. Der Journalist Andreas Speit bezeichnet dies treffend als „neue Lebensreformbewegung“.
Verschwörungserzählungen und vermeintliches Wissen wird online geteilt, auf den Straßen wird antisemitisch und sozialdarwinistisch gehetzt und online wie offline werden Strukturen aufgebaut, die sich gegen Errungenschaften der Moderne richten. Schulpflicht, Kinderbetreuung und evidenzbasierte Medizin sind dabei nur die in diesem Beitrag aufgegriffen Beispiele.
Ausblick
Es bleibt zu beobachten, inwieweit das Netzwerk um „Wissen schafft Freiheit“ weiter wächst und an Einfluss im ländlichen sowie im städtischen Raum gewinnt. Das Augenmerk sollte vor allem auf Gegenden liegen, in denen sich freie Schulen gründen wollen oder Freilernen-Gruppen sich treffen.
Wie in diesem Beitrag deutlich wurde, handelt es sich bei den hier in den Blick genommenen Gruppen keinesfalls um eine harmlose Vernetzung von Freilernen-Gruppen und Initiativen, die einfach Schulen gründen wollen. „Wissen schafft Freiheit“ ist ein Knotenpunkt in der rechtsesoterischen und verschwörungsideologischen Vernetzung, Teil der Anastasia-Bewegung und wirkt in völkische Kreise hinein bzw. wird selbst wiederum von diesen beeinflusst. Die Verbreitung dieser rechtsesoterischen Inhalte sollte verstärkt untersucht werden, denn der „digitale Aktivismus ist nicht von der realen Welt zu trennen“ und ist besonders im Kontext von Freilernen-Gruppen und den Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen zu beobachten (Arbeitskreis Anastasia 2022).
Dies ist ein Auszug aus dem neuen Report:
EFBI Digital Report 2022-02:
Ausstieg aus der Demokratie: Extrem rechte Parallelstrukturen in Sachsen
Leipzig, Juli 2022