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Digitaler Angstaufbau im „Querdenken“-Milieu Hass-Sturm und Drohungen für Polizist*innen

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"Querdenken"-Fans sind online schnell zu Drohungen zu motivieren. (Quelle: Screenshot)

Am 09. November 2020 versuchen die „Querdenken“-Akteure Samuel Eckert und Bodo Schiffmann, mit dem Bus ihrer „The Great Corona-Info-Tour“ von Oranienburg nach Neubrandenburg zu reisen. Der videobloggende Christ und der videobloggende HNO-Arzt reisen seit dem 28. September 2020 kreuz und quer durch Deutschland, um ihre Kunde zu verbreiten, die allerdings mehr mit Desinformation denn mit Information zu tun hat. Besucher*innen erfahren dort, dass Maskentragen schade und das Coronavirus wohl nicht so schlimm wäre, wie die Regierung es derzeit einschätze. Deshalb reist die Truppe eben auch, obwohl das Reisen in der Pandemie nicht gerade als gute Idee gilt, und veranstalten bislang seit September über 60 Kundgebungen, auf denen hunderte bis tausend Anhänger*innen, oft ohne Masken und Abstand, zusammenkommen.

In Mecklenburg-Vorpommern gilt derzeit: Einreise nur aus triftigem Grund. Coronakritik gehört nicht dazu. Das vermitteln die Behörden auch Eckert und Schiffmann. Die fahren trotzdem. Erwartungsgemäß sollen sie an der Landesgrenze aufgehalten werden, fahren aber weiter, bis sie in Weisdin von der Polizei gestoppt werden. Das ist für Eckert und Schiffmann allerdings kein Grund zur Sorge. Im Gegenteil, es hilft ihnen ja sogar: Denn ihr Prominenz in verschwörungsinteressierten Kreisen erhalten sie unter anderem durch Interaktionen im Messengerdienst Telegram. Und wenig macht empörte „Querdenker*innen“ so glücklich wie ein Gefühl von Wirksamkeit ohne Aufwand. Eine beliebte Währung von Wirksamkeit ist deshalb aktuell Online-Aktivismus – der lässt sich praktisch in den Alltag integrieren und man muss nicht einmal vor die Tür.

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Mit ihren Followern können Samuel Eckert und Bodo Schiffmann mit wenigen Postings eine empörte Öffentlichkeit simulieren, wie es der Rechtsextremismus-Forscher Josef Holnburger beobachtet hat, und dadurch Druck erzeugen. Wenn sich ihnen jemand in den Weg stellt, tun sie genau dies.

Was heißt das für die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern, die den Bus an der Grenze stoppen? Sie tun ihre Arbeit und werden ein internetmediales Ereignis. Es gibt Livestreams von den Verhandlungen zwischen der Polizei und Samuel Eckert, Bodo Schiffmann und „Querdenken“-Rechtsanwalt Ludwig, der auch mit im Bus war. Zeitweise sehen sich 80.000 Menschen diesen Livestream an. In den Telegram-Kanälen gibt es Aufrufe, Telefonnummern der zuständigen Polizei herauszufinden und dort Telefonterror zu betreiben oder Strafanzeigen zu stellen. Vorlagen dafür fertigt ein anderer „Querdenken“-Anwalt, Markus Haintz, an, und verbreitet sie über Telegram unter den Anhänger*innen. In der Strafanzeige „wegen Nötigung“ wird der Name des Einsatzleiters genannt, gegen den die Anhänger*innen die Strafanzeige stellen sollen. Auch Formulare für Dienstaufsichtsbeschwerden werden online herumgereicht. Für die „Querdenker“ ist das eine Konstante: Rechtsanwält*innen der Szene verbreiten gern Vorlagen, um gegen Behörden vorzugehen oder sie zumindest mit so vielen Anfragen zu bombardieren, dass damit der Betrieb lahmgelegt wird.

Schon dies kann einen Einsatzleiter unter Druck setzen, doch das reicht der querdenkenden Masse am digitalen Endgerät nicht. Josef Holnburger beobachtet: „Absichtlich oft fällt im Online-Stream der Name des Einsatzleiters. Fotos werden online gesucht, es wird versucht, seine Privatadresse zu finden. Immer wieder wird von Schiffmann und Co. betont, wie nett doch die anderen Polizist*innen wären. Nur die Einsatzleitung sei das Problem.“ Das gehört zur „Querdenken“-Narrativ-Kiste, „in Wirklichkeit“ sei „die Polizei“ auf ihrer Seite. Einzelne Polizisten, die bei diesem Einsatz keine Maske tragen, werden dafür als Beleg gesehen.

Online wird derweil zu „Spaziergängen“ aufgerufen, auch dazu, zu einer „Spontandemo“ zum Bus in Weisdin zu kommen. Vor Ort wird der Einsatzleiter bedrängt und eingeschüchtert, online ebenfalls: „Was ich mich immer wieder frage ist: denken diese Leute nicht an Morgen? Aus der Geschichte sollten sie doch wissen, daß es immer die Kleinen (willigen Vollstrecker) waren, die man gehängt hat, nicht die großen!“ (alle Fehler im Original). „Herr XX, Ihre Karriereende ist vorprogrammiert. Keine Gnade für solches Gesindel.“

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Online-Aktivismus haben die „Querdenker*innen“ in den vielen Telegram-Gruppen inzwischen gründlich gelernt. Auch wenn sie besonders gern von „Wahrheit“ sprechen, versuchen sie, die Öffentlichkeit zu manipulieren, wo immer es ihnen möglich ist. Die Führungspersonen wie Samuel Eckert und Bodo Schiffmann wissen, dass sie eine willige „Trollarmee“ in der Rückhand haben: Menschen, die vor Telefonterror und Hass-E-Mails nicht zurückschrecken. Attila Hildmann geht sogar soweit und ruft zum täglichen digitalen „Blitzkrieg“ auf. Umfragen verfälschen durch Massenaufrufe, oder Druckaufbau durch Dislikes oder Social Media-Kommentare sind das tägliche Brot der „Querdenker“-Community. Wird die Manipulation erkannt und etwa die Umfrage gelöscht, ist die Reaktion Empörung. Bei der Wahl zum „Goldenen Aluhut“, dem Verschwörungspreis einer der gleichnamigen Berliner Organisation, hatten sich „Querdenker“ durch Massenaufrufe zu führenden Verschwörungsgruppierung gewählt (warum auch immer sie diesen Negativpreis haben wollten). Die Organisator*innen disqualifizierten die „Querdenken“-Gruppe daraufhin – und Michael Ballweg drohte dann sogar damit, den „goldenen Aluhut“ zu verklagen (vgl. Netzpolitik.org). Am Abend der Preisverleihung im 30. Oktober 2020 wurde eine Gegendemonstration angemeldet, die zu massiven Sicherheitsvorkehrungen führte – und schließlich sang- und klanglos abgesagt wurde. Gewonnen haben übrigens „die Waldorfschulen“ (vgl. Goldener Aluhut).

In Weisdin werden argumentativ alle Register gezogen. Bodo Schiffmann erklärt sich als Arzt für systemrelevant, Rechtsanwalt Ralf Ludwig gibt an, aus beruflichen Gründen einreisen zu müssen, er habe am Folgetag eine Verhandlung am Gericht in Schwerin – was sich später als Fake herausstellt. Schiffmann erklärt den Polizist*innen die Remonstrationspflicht – also dass sie die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen anzweifeln und dann nicht befolgen dürfen. Keine*r läuft über. Im Chat wird immer wieder betont, man habe „60.000 Zeugen“ im Stream. Schließlich lässt die Polizei den Bus fahren, die „Querdenker“-Combo feiert den Sieg und fährt zu einem Unterstützer mit Autohaus im nahen Neustrelitz, bei dem sie übernachten. Tenor auf Telegram: „Gut so, wir dürfen das ja“ oder „Und nächstes Mal machen sie bestimmt mit“.

Erst am nächsten Morgen macht eine Einordnung der Polizei klar, dass dies geschehen sei, weil der Busfahrer wegen Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten pausieren musste und deshalb nicht sofort zurückgeschickt wurde. Die Tour-Crew muss in Neustrelitz warten – auf einen Eilantrag auf Einreise beim Gericht. Dieser fällt negativ aus: Das Einreiseverbot wird bestätigt (vgl. Nordkurier). Der sogenannte „Montagsspaziergang“ in Neubrandenburg, den die Corona-Bus-Tour beglücken wollte, findet mit rund 400 Menschen ohne Schiffmann, Eckert und Ludwig statt. Weil diese aber angeben, weiter nach Schwerin fahren zu wollen, statt Mecklenburg-Vorpommern zu verlassen, bringt die Polizei die Akteure eigenhändig nach Brandenburg, der Bus fährt leer hinterher.

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Allerdings macht der „Corona-Tour-Bus“ hinterher einfach weiter, fährt nach Uelzen und Hamburg und Bremerförde, heute sind sie in Vechta, Hannover und Paderborn. Über 60 Veranstaltungen haben Samuel Eckert und Bodo Schiffmann so schon gemacht, haben Menschenleben gefährdet durch ihre Veranstaltungen, die von hundert bis tausend Personen besucht werden, und durch ihre Botschaften, die Pandemie zu unterschätzen. Bis zum nächsten Einreiseverbot.

Recherche: Josef Holnburger
Text: Simone Rafael

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