Die Dresdner Kameradschaft „Werra Elbflorenz“ gewinnt seit 2019 immer mehr Sichtbarkeit im digitalen Raum. Vor allem auf Telegram zeigt sich die rechtsextreme Organisation besonders agil und stieg bereits zum Ende des Jahres 2022 in die Top 10 der sächsischen rechtsextremen Kanäle auf (Kiess & Wetzel 2023). Angelehnt an die Medienstrategien der Neuen Rechten und offenbar geprägt von den Mobilisierungsversuchen der Identitären Bewegung, versucht auch die Kameradschaft „Werra Elbflorenz“ ihren „digitalen Faschismus“ (Fielitz/Marcks 2020) auf Telegram voranzutreiben. Der Begriff von Maik Fielitz und Holger Marcks beschreibt den erfolgreichen Prozess rechtsextremer Akteur*innen den digitalen Raum und insbesondere Social Media mittels crossmedialer Medienstrategien, Agenda-Setting, Diskursverschiebungen und Begriffskaperungen zu erobern. Das Wirkungspotential der Plattform Telegram gerade im deutschsprachigen Raum ist auch der rechtsextremen Kameradschaft aus Dresden bewusst, die auf der Plattform seit September 2019 Brücken zu anderen antidemokratischen Organisationen und Milieus schlägt. Diese Vernetzungen sind von großer Bedeutung, weil Werra Elbflorenz eine Mischstrategie für ihre Online-Mobilisierung fährt: Zum einen versucht die Kameradschaft an die bereits geschaffenen neurechten Strukturen anzudocken, während sie gleichzeitig „Metapolitik“, also die Eroberung des „vorpolitischen Raumes“, als Mobilisierungsstrategie ausfährt. Hierbei werden auch Brücken in „bürgerliche“ Milieus geschlagen und vor allem Stimmungen verstärkt. Zum anderen adaptiert sie aber immer wieder auch jenen völkischen Diskurs, der viel mehr in der Tradition des deutschen Nationalsozialismus sowie der Programmatik etwa des III. Weges, der NPD oder der Neuen Stärke steht. Der folgende Beitrag analysiert die Kameradschaftsstruktur und ihre Genese als IB-Folgeorganisation, ihre Suche nach rechtsextremen Synergieeffekten mit anderen rechtsextremen Akteur*innen sowie ihre Telegram-Medienstrategie.
Die Genese von Werra Elbflorenz
Am 08. November 201924 sendete die Dresdner Kameradschaft auf ihrem neuen Telegram-Kanal als erstes Posting ein programmatisches Mission Statement. Das Posting thematisiert zunächst die Namensgebung „Werra Elbflorenz“, ein für die Kameradschaft geschaffener Kunstbegriff: „Werra ist altgermanisch für „sich zur Wehr setzen“ und „Elbflorenz“ ist der Kosename unserer barocken Heimatstadt [Dresden]“. Das Posting enthielt auch das offizielle Kameradschaftslogo, das stark an die Ikonografie der Identitären Bewegung erinnert. Es bildet einen Spartanischen Krieger ab, erkennbar an dem typischen Hopliten-Helm. Der Krieger hält ein Schild abwehrbereit vor seiner Brust, auf dem das Wappen der Stadt Dresden mit gelb-schwarzen Streifen zu sehen ist. An die IB-Ikonografie erinnern dabei sowohl Farbgebung als auch das Bildmotiv des spartanischen Kriegers. Auch das offizielle Logo der IB verwendet eine gelb-schwarze Farbkombination und das Lambda-Zeichen, ein Versatzstück für spartanische Hopliten-Schilder. In der neurechten Mythologie nimmt ein romantisiertes Bild von „Sparta“ als Verteidiger Europas eine besondere Rolle ein. Insbesondere Identitäre nutzen die Thermopylenschlacht 480 v. Chr., bei der etwa 300 Spartaner um ihren König Leonidas I. ihre Stellung vor einer persischen Übermacht hielten, als Symbolbild für ihren wehrhaften Charakter. Identitäre begreifen sich selbst als Hüter des ethnopluralistischen Nationalstaates, den es vor „kulturfremde[n] Nicht-Europäer[n]“ zu verteidigen gilt. Darüber hinaus beschreibt das Mission Statement der Werra Elbflorenz als Ziel der Organisation explizit die Eroberung des „vorpolitischen Raumes im Freistaat Sachsen“. Dieses Ziel ist identisch zur Metapolitik Definition der Identitären Bewegung, die laut eigenen Angaben ein Handeln „in einer Art ‘vorpolitischem Raum’, der den Diskurs bestimmt“ voraussetzt. Konkret wird eine geistige Revolution nach dem Vorbild Antonio Gramscis angestrebt, die jedem politischen Wandel vorausgehe. Mit Metapolitik möchte die Identitäre Bewegung den Kulturraum besetzen und „im Kulturbetrieb, den öffentlichen Debatten, den Medien und auf der Straße“ Präsenz zeigen.
Im Juli 2019 beschloss das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Identitäre Bewegung (IB) Deutschland unter nachrichtendienstliche Beobachtung zu stellen und öffentlich als rechtsextrem einzustufen. Der Beschluss hatte zur Folge, dass etliche Jungaktivist*innen der IB neue Tarnorganisationen gründeten, um der Beobachtung zu entgehen. Im September desselben Jahres entsteht auch die Werra Elbflorenz. Dabei sei erwähnt, dass das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen die Werra Elbflorenz als „Ortsgruppe“ der Identitären Bewegung Dresden einstuft. Des Weiteren zitiert das Amt im Onlinebericht zur Identitären Bewegung auch ein Telegram-Posting der Werra Elbflorenz, in welchem die „Werrianer“ (Selbstbezeichnung) sich gegen das IB-Verbot aus Deutschland und Österreich mit den Worten „die Idee bleibt unbesiegt!“ wehren. Bekannte Aktivist*innen der IB Dresden agieren als Gründungsmitglieder der Werra Elbflorenz, und zwar stammen sieben aus der Identitären Bewegung Dresden.
Neonazistische Online-Synergien
Die Werra Elbflorenz kann demnach als Folgeorganisation der IB-Dresden gelten, jedoch reichen die Verbindungen der Kameradschaft weit über die bereits bestehenden neurechten Strukturen in das völkisch-nationalistische und neonazistische Milieu hinein. Dieses Phänomen kann als rechtsextreme Synergie, also als szeneübergreifende Vermischung unterschiedlicher Milieus miteinander betrachtet werden. Eine genauere Analyse der Telegram-Aktivitäten der Kameradschaft untermauert dieses Argument. So werden die Telegram-Postings der Werra Elbflorenz nicht nur wie erwartet von der neurechten Szene geteilt, sondern immer häufiger auch von Neonazis mit Verbindungen zum Dritten Weg, der NPD, der Neuen Stärke oder den Freien Sachsen. Regionale rechtsextreme Akteur*innen wie Balaclava Graphics, die Freien Sachsen oder das Hausprojekt „Haus Montag Pirna“ verweisen regelmäßig auf Aktionen, Veranstaltungen oder Propagandamaterial (Sticker, Magazin, Plakate der Kameradschaft). Parallel dazu wird die Werra Elbflorenz aber auch überregional, deutschlandweit durch Akteur*innen und Kanäle wie von Tommy Frenck aus Thüringen, die Rechte aus Dortmund amplifiziert. Diese Online-Synergieeffekte signalisieren auch die Bereitschaft diverser regionaler Gruppierungen, miteinander für größere Ziele im Namen der rechtsextremen Ideologie zu kooperieren. Ideologische Differenzen und Einfärbungen sollen szeneübergreifend überwunden werden, in der Hoffnung, ein überregionales rechtsextremes Netzwerk zu etablieren oder zumindest Synergieeffekte bei der Mobilisierung zu generieren. Gleichzeitig werden Berührungsängste und ehemalige Animositäten bewältigt, um das Bild eines vermeintlichen rechten Zusammenhalts zu transportieren.
Ein Interview des EinProzent Vereins zu den rechtsextremen Asylprotesten aus Dresden legt diese Erkenntnis nahe. Im EinProzent-Interview werden O-Töne von Jörg Urban von der AfD, den Freien Sachsen, Thomas Blümel von den Freien Wählern, sowie der Werra Elbflorenz geteilt. Vor allem für die AfD Sachsen ist dieses Interview besonders bezeichnend, zumal die Partei eine Unvereinbarkeitsliste zur Nicht-Kooperation mit den Freien Sachsen im Februar 2022 veröffentlicht hat. Im Dezember 2022 verlässt ein AfD-Abgeordneter der Landtagsfraktion die Partei wegen der Nähe dieser zu den Freien Sachsen. Zwar distanziert sich die AfD öffentlich in Pressemeldungen immer wieder von rechtsextremen Gruppierungen oder Parteien, wie etwa die der Freien Sachsen oder Werra Elbflorenz, im digitalen, halböffentlichen Raum lässt sie sich sehr wohl auf Kooperationen mit ihnen ein.
Das Netzwerk um die Werra Elbflorenz verwendet crossmediale Strategien, um die Kameradschaft, ihre Veranstaltungen sowie ihre Propaganda-Materialien (z. B. Werra Elbflorenz Magazin, Sticker, Poster) zu promoten. So veröffentlichten die Freien Sachsen zum Beispiel auf Telegram einen Post über „patriotische Jugendgruppen“ aus dem Raum Dresden und verlinken dabei auch das Telegram-Profil der Werra Elbflorenz. Balaclava Graphics promoten Merchandising-Artikel der Kameradschaft wie Sticker, die es zu jeder Shop-Bestellung gratis dazu gibt. Rechtsextreme Kampfsportveranstalter, namentlich der Kanal der Reihe „Kampf der Nibelungen“, teilen Postings von Boxtrainings der Werra Elbflorenz, um zum einen auf die Kameradschaft aufmerksam zu machen und zum anderen eine Nähe zum Milieu zu signalisieren. Besonders häufig aufgegriffen wird eine Werra Elbflorenz-Protestaktion zum letztlich ausgebliebenen „Wutwinter“ im Herbst 2022. Das „Wutwinter“-Posting wurde von zahlreichen Gruppierungen und Organisationen wie DIE RECHTE, Sachsen Provider, die Freien Sachsen, aber auch von rechtsextremen Musiker*innen wie Alva und Proto NDS geteilt. Mithilfe dieser sogenannten „Spamming“-Strategie wird versucht, das gesamte Nutzer*innenpotential des jeweiligen Kanals auszuschöpfen.
Der Erfolg dieser unterschiedlichen crossmedialen Promotionsstrategien lässt sich am Telegram-Kanal der Werra Elbflorenz ablesen. Dieser erreicht eine Interaktionsrate von 202,6 % bei 1.782 Follower*innen. Dies entspricht einer durchschnittlichen Posting-Reichweite von 3.600 44 und einer Spitzenreichweite von knapp 94.000 45 bei gerade mal drei monatlichen Postings. Ohne die tatkräftige Unterstützung aus dem erweiterten rechtsextremen Netzwerk wäre die Dresdner Kameradschaft also bei weitem nicht so sichtbar oder erfolgreich auf Telegram. Dieses Phänomen rechtsextremer Synergien lässt sich auch auf andere Online-Milieus extrapolieren. Durch Spamming, Mentions (also Erwähnungen), Verlinkungen und Sharing als crossmediale Taktiken der Distribution können rechtsextreme Akteur*innen weit über das eigene Milieu hinaus auf Telegram erfolgreich werden.
Fazit
Der Erfolg der Werra Elbflorenz auf Telegram legt nahe, dass die Kameradschaft auch außerhalb ihres digitalen Milieus auf viel Zuspruch stößt. Gleichzeitig wird auch deutlich, dass Telegram ein guter Pulsmesser für gesamtgesellschaftliche Phänomene sein kann. Wenn also eine rechtsextreme Kameradschaft aus Dresden in die Top 10 der populärsten sächsischen rechtsextremen Telegram Kanäle gelangt, kann davon ausgegangen werden, dass über sie außerhalb von Telegram diskutiert wird. So legen auch die Reichweiten und die aktuelle Popularität nahe, dass „gemäßigtere“ Stimmen die Botschaften der Werra Elbflorenz rezipieren. Ihre Pyrotechnik-Proteste, die Plakate, Sticker und Gedenkmärsche finden nicht nur auf Telegram statt, vielmehr spiegeln sie ein Abbild des völkischen Versuches der Raumgreifung in Dresden. Dem muss gesamtgesellschaftlich entschlossen entgegengetreten werden und dafür müssen auch zivilgesellschaftliche Akteur*innen aufmerksam gemacht werden.
Den Digitalreport 2023-02 Vernetzung und aktuelle Entwicklungen in der rechten Telegram-Szene Sachsens gibt es hier zum Downlad.