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Dimes Square Provokante Subkultur oder Gefahr für die Demokratie?

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Die Schausoielerin und Aktivistin Dasha Nekrasova betreibt zusammen mit Anna Khachiyan den Podcast Red Scare. (Quelle: picture alliance / Everett Collection | Copyright © Everett Collection / Everett Collection)

Im New Yorker Mikro-Viertel Dimes Square hat sich eine Szene gebildet, die mit provokantem Humor, Zynismus und gezielten Tabubrüchen gesellschaftliche Normen herausfordert. Hier ist ein Netzwerk von Künstler*innen, Intellektuellen und Influencer*innen entstanden, das politische Korrektheit verspottet, feministische Themen zynisch kommentiert und rechte Positionen zunehmend normalisiert. Während der Corona-Pandemie entwickelte sich Dimes Square zu einem Treffpunkt für diejenigen, die sich bewusst über Regeln und Verordnungen hinwegsetzten. Aus diesem Kern formte sich rasch eine Szene, die seitdem als symbolisches Epizentrum einer breiteren Bewegung gilt – ein kultureller Hotspot, dessen Einfluss mittlerweile weit über New York hinausreicht.

Bekanntheit erlangte die Dimes Square-Szene vor allem durch den US-Podcast „Red Scare“, moderiert von Kulturkritikerin Anna Khachiyan und Schauspielerin und Regisseurin Dasha Nekrasova. Ihr Podcast machte die Mischung aus Zynismus und Ironie salonfähig und trug zur Entstehung einer Gegenkultur bei, die sich bewusst gegen „woke“ Ideale, linke Identitätspolitik und Mainstream-Aktivismus stellt. Neben „Red Scare“ gehören auch Podcasts wie „Chapo Traphouse“ und „Cum Town“ zur sogenannten „Dirtbag Left“, einem politischen Spektrum innerhalb der US-amerikanischen Linken, die mit spöttischen und provokanten Äußerungen herkömmlichen Aktivismus sowie Debatten um Identitätspolitik ins Lächerliche ziehen. Der Einfluss dieser Szene hat die Diskussionen über gesellschaftliche Normen und politische Korrektheit verschoben: Dimes Square steht heute sinnbildlich für einen „Culture Shift“ in den USA, der die Grenzen des Sagbaren neu austestet, einen nihilistischen Individualismus feiert und die moralischen Maßstäbe der „woken Linken“ ironisch auseinandernimmt.

Für viele junge Menschen ist dieser Lebensstil mittlerweile ein Symbol kulturellen Widerstands geworden. Doch fördert die Dimes Square-Szene wirklich eine lebendige demokratische Debatte? Oder werden unter dem Vorwand von Zynismus und Ironie demokratiefeindliche Überzeugungen salonfähig gemacht?

Vom Nischen- zum Mainstream-Phänomen: Der kulturelle und politische Einfluss von „Red Scare“

Im „Red Scare“-Podcast provozieren Anna Khachiyan und Dasha Nekrasova bis zu zwei Stunden lang mit expliziten Inhalten und teils rechter Rhetorik, die sie als „linke“ Kritik am Liberalismus inszenieren. Ihren Podcast haben die beiden New Yorkerinnen mit post-sowjetischem Hintergrund nach dem Begriff „Rote Angst“ benannt, der die Phasen antikommunistischer Hysterie und Verfolgung der politischen Linken in den USA beschreibt. Khachiyan und Nekrasova ziehen immer wieder mit Tabubrüchen die Aufmerksamkeit auf sich, etwa durch T-Shirts, auf denen die Flagge der Terrororganisation „Islamischer Staat“ als ihre Merch-Vorlage dienen. Neben solchen provokanten Marketingstrategien hat der „Red Scare“-Podcast aber nicht zuletzt dank der prominenten Unterstützung von Schauspielerinnen wie Lena Dunham und Elizabeth Olsen weltweit an Bekanntheit gewonnen.

Nekrasova und Khachiyan bezeichnen Liberale abfällig als „Snowflakes“ oder „Loser“ und kokettieren mit rechter Männlichkeitsromantik und antifeministischen Positionen. Sie zeigen eine Vorliebe für traditionelle Geschlechterrollen, toxische Beziehungen und Sexualität im Kontext von Gewalt, während sie sich von den Grundsätzen der #MeToo-Bewegung distanzieren und ihre Glaubwürdigkeit in Frage stellen. Sie hassen Politiker*innen wie Hillary Clinton, die vermeintliche „Cancel Culture“ und den Begriff „Girlboss“. Provokante Ansichten wie diese haben „Red Scare“ sowohl Kritik als auch Kultstatus eingebracht. In jedem Fall zahlen sich die Kontroversen aus: Rund 18.900 Zuhörer*innen erreicht der Podcast und bringt monatlich rund 45.550 US-Dollar ein. Auch der milliardenschwere Techinvestor Peter Thiel, der offen rechtskonservative US-Politiker wie Donald Trump und Ron DeSantis unterstützt, hat in den „Red Scare“-Podcast investiert. Teile der Dimes Square-Szene stehen sogar in Verbindung mit rechtsextremen Akteur*innen wie dem Influencer und White-Supremacy-Anhänger Nick Fuentes, was die häufig beschworene zynische Distanz zur Politik unglaubwürdig erscheinen lässt.

Das Phänomen des „Irony Poisoning“

In ihrem Podcast bewegen sich Nekrasova und Khachiyan auf einem schmalen Grat zwischen Kunstfigur und echtem politischen Statement, so undurchsichtig, dass ihre Fans oft nicht wissen, was sie ernst meinen und was bloße Provokation ist. Diese Unklarheit spiegelt sich auch im Phänomen „Irony Poisoning“ wider. Die Moderator*innen beschreiben „Irony Poisoning“ als eine Form der psychischen Distanzierung und emotionalen Entlastung von moralischen Erwartungen, die politischer Diskurs mit sich bringe. Ironie und Zynismus sei dabei ein Mittel, um sich der dogmatischen Ernsthaftigkeit in gesellschaftlich aufgeladenen Debatten zu entziehen und eine neue „Anti-Mainstream“-Bewegung zu schaffen. Doch die im „Red Scare“-Podcast und in der Dimes Square-Szene verbreitete radikale Ironie und der Zynismus führen dazu, dass ernsthafte Auseinandersetzungen mit politischen Inhalten zur Nebensache werden.

Die Dimes Square-Bewegung könnte nach dem Wahlsieg von Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl am 5. November weiter an Einfluss gewinnen. In einem Land, das zwischen den ideologischen Lagern der Demokrat*innen und Republikaner*innen tief gespalten ist, zieht der Dimes Square zunehmend Menschen an, die sich von beiden Seiten entfremdet fühlen. Besonders junge Menschen, die sich im Zweiparteiensystem der USA nicht repräsentiert sehen, suchen nach Räumen, die mit kritischer Distanz neue Perspektiven auf Gesellschaft und Politik bieten. Die Dimes Square-Szene formt eine Kultur, die das Potenzial hat, insbesondere junge Wähler*innen nachhaltig zu beeinflussen.

Die Mischung aus ironischer Distanz zum politischen Aktivismus, der Verbreitung antidemokratischer Inhalte und einem gefährlich spielerischen Umgang mit dem Thema Wahlverweigerung könnte zur wachsenden politischen Entfremdung und Resignation führen, sodass beispielsweise die Wahlbeteiligung sinkt. Gleichzeitig besteht das Risiko, dass Wählerstimmen durch Provokationen in eine radikale Richtung abdriften. Ob die Dimes Square-Szene jedoch eine kritische Masse erreicht und in Zukunft eine größere politische Wirkung entfaltet oder als flüchtige Modeerscheinung verblasst, bleibt noch offen. Eins steht jedoch fest: Wenn Ironie und Zynismus den politischen Diskurs dominieren, ernsthaftes Engagement verdrängen und rechtspopulistische Inhalte relativieren, ist die Demokratie bereits in Gefahr.

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