Das Interview führte Simone Rafael.
Warum unterstützt Du die ?Aktionswochen gegen Antisemitismus??
Ich bin gefragt worden. Nein, ich finde die Idee, sich während der ?Aktionswochen? konzentriert mit Antisemitismus auseinander zu setzen und zu überlegen, wie wir dem begegnen, absolut unterstützenswert und deshalb gebe ich gern mein Statement , wenn es dieser Sache dient.
Beschäftigt Dich das Thema Antisemtismus?
Ja, grundsätzlich, aber auch aus persönlichen Gründen, weil es deutsche Juden beschäftigt, die Freunde von mir sind, israelische Musiker, mit denen ich spiele, und ich habe auch einen familiären Background, bei dem es Verbundenheit mit jüdischen Deutschen über Generationen hinweg gibt. Deshalb bin ich bei dem Thema sensibel und wünsche mir, dass es mehr Menschen sind.
Wo nimmt Du Antisemitismus wahr?
Ich kann das nur als Mensch beantworten ? in meiner Funktion als Musiker gibt es da nichts extra Bemerkenswertes.
Als Mensch ist doch okay.
Also, ich nehme Antisemitismus als über Jahrzehnte vererbte Ressentiments wahr, die in Gesprächen geäußert werden, in Verschwörungstheorien, in der Anti-Globalisierungs-Szene oder der Anti-Imp-Szene, in unqualifizierten Verallgemeinerungen und Verkürzungen zum Nahost-Konflikt. Als links sozialisierter Mensch ist für mich Antisemitismus in dieser Szene persönlich ein Thema. In Hamburg konnte letztens der Film ?Warum Israel?? von Claude Lanzmanm nicht in einem alternativen Kino gezeigt werden, weil sich anti-imperialistisch verstehende Linke den Kinoeingang blockiert haben, damit diese ?zionistische Propaganda? nicht gezeigt würde ? so etwas erschüttert mich.
Reagierst Du darauf, wenn Du ? im persönlichen Gespräch oder in der Öffentlichkeit ? Antisemitismus wahrnimmst?
Ich finde, das ist die persönliche Pflicht eines jeden Menschen mit Anstand und einem politischen Bewusstsein! Aber ich mache lieber so etwas , wie jetzt die Aktionswochen durch ein Statement zu unterstützen oder eine Soli-Konzert zu geben, statt zehn Lieder dagegen zu schreiben, da glaube ich nicht dran. Persönlich ärgert es mich übrigens auch immer sehr, wenn Prominente wie etwa Martin Walser Platz bekommen, sich in Feuilletons über die ?Moralkeule Auschwitz? beschweren ? so wird Antisemitismus im bürgerlichen Mainstream gesellschaftsfähig.
Hast Du den Eindruck, Antisemitismus nimmt zu, beziehungsweise Leute leisten es sich schneller, solche Ressentiments auch öffentlich zu äußern?
Seit der Wiedervereinigung nimmt jedenfalls das Gefühl stark wieder zu ?wieder wer zu sein?. So wird ja des Öfteren versucht, Tocotronic ins ?deutsche Kulturgut? einzuordnen ? das heißt, wir werden als Band nach Beiträgen zu Samplern gefragt , die unter ?jung und deutsch? oder ähnlich firmieren ? das müssen wir dann immer von uns weisen. Auch die Freude an vermeintlichen ?Tabubrüchen? nimmt zu.
Was tun gegen Antisemitismus?
Nun, ich denke, Strategien liegen vor, die Aktionswochen zeigen das. Wichtig ist meiner Meinung nach aber auch die Erziehung in den Familien. Antisemitismus scheint mir oft vererbt zu sein. Die Kinder hören antisemitische Ressentiments von Eltern und Großeltern und übernehmen so Stereotype ? und modifizieren sie zu modernem Antisemitismus etwa in der Diskussion um den Nahostkonflikt. Dagegen müssen wir uns immer wieder gemeinsam aussprechen.
Die komplette Liste der 231 Veranstaltungen der deutschlandweiten „Aktionswochen gegen Antisemitismus“:
| www.aktionswochen-gegen-antisemitismus.de
Zum Thema:
| „Aktionswochen gegen Antisemitismus starten mit prominenter Unterstützung
Im Internet:
| Antisemiten verhindern Lanzmann-Film auf St. Pauli (Störungsmelder)
| Dirk von Lowtzow zum antisemitischen deutschen Süppchen: „Lasst es uns gemeinsam versalzen!“ (mut-gegen-rechte-gewalt.de)