Der Thüringer Justizausschuss hat die Immunität des AfD-Fraktionschefs Björn Höcke aufgehoben. Damit machte der Ausschuss den Weg für Ermittlungen gegen Höcke frei. Dem Vernehmen nach geht es bei den Ermittlungen unter anderem um eine Rede, die Höcke in Merseburg, Sachsen-Anhalt, gehalten hat und mit dem Satz „Alles für Deutschland“ beendete, einer Losung der NSDAP.
Kalkulierten Mehrdeutigkeit, die dazu führe, dass sich jegliche Schlussfolgerungen von Seiten der AfD im Bedarfsfall wieder relativieren ließen, das ist das perfide Kommunikationsprinzip in großen Teilen der AfD und im Besonderen von Björn Höcke. Mit dieser Strategie gelingt es ihnen, die Grenzen des Sagbaren auszuloten und auszuweiten. Die Thüringer AfD wurde im März vom Landesverfassungsschutz als gesichert extremistisches Beobachtungsobjekt eingestuft. Der Bundesverfassungsschutzchef Thomas Haldenwang hatte Höcke zudem als Rechtsextremisten bezeichnet.
In einer Wahlkampfrede vom 29. Mai 2021 sagte Höcke wörtlich: „Im Brustton voller Überzeugung sage ich: Ja, alles für unsere Heimat. Alles für Sachsen-Anhalt. Alles für Deutschland.“ Flankiert wurde der Abschluss von Höckes Rede mit lauten „Höcke, Höcke“-Rufen.
Der sachsen-anhaltische Grünenvorsitzende Sebastian Striegel hatte daraufhin Strafanzeige wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gestellt. Es geht um die Worte „Alles für Deutschland“.
Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags kam am 10. Dezember zu dem Urteil, dass die Verwendung „der Sentenz ‚Alles für Deutschland‘ im Rahmen einer Rede auf einer Versammlung“ strafbar ist, „da es sich hierbei um die Losung der SA handelte.“ Die Sturmabteilung (SA) war die paramilitärische Kampforganisation der NSDAP während der Weimarer Republik. Der Wahlspruch der SA lautete: „Alles für Deutschland“.
„Äußerung erfolgt als Abschluss einer durchorchestrierten Rede“
In seinem Strafantrag schreibt Striegel, der Thüringer AfD-Vorsitzende habe den Spruch wohl kaum spontan getätigt: „Die Äußerung erfolgt als Abschluss einer durchorchestrierten Rede durch den Vertreter einer Partei, die in Thüringen Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes ist“, so Striegel. „Der angezeigte Redner darf gerichtsfest als ‚Faschist‘ bezeichnet werden, weil dieses Werturteil auf einer überprüfbaren Tatsachengrundlage beruhe.“ Und in der Tat, Höckes Reden zeichnen sich dadurch aus, dass er nichts dem Zufall überlässt. Alles ist bis ins kleinste Detail durchgeplant. Zufällig wird er daher wohl kaum die SA-Losung genutzt haben.
Zwar wünschen wir uns in unserer Demokratie von unseren Politiker:innen, dass sie alles für Deutschland tun, das ist schließlich irgendwie ihr Job. Die Worte „Alles für Deutschland“ waren aber nun mal ein Slogan der Nazis gewesen. Und Höcke war vor seiner Zeit in der Politik ausgerechnet Geschichtslehrer. Er wird diese Losung daher sehr wahrscheinlich kennen.
Die Strategie des „Dog Whistling“
Was Höcke bei seiner Rede in Merseburg und bei zahlreichen anderen also betreibt, ist astreines „Dog Whistling“. Eine von rechten Akteur:innen gerne genutzte Kommunikationsstrategie, mit der man bewusst doppeldeutige und codierte Sprache verwendet. Man sagt Dinge, die man relativ harmlos interpretieren kann, die aber auch eine zweite Bedeutung haben, die die eigene Anhängerschaft eindeutig versteht. Wenn man für die zweite Bedeutung kritisiert wird, kann sich der Redner jedoch als Opfer generieren und beschweren, dass Dinge hineininterpretiert werden. Besonders für Eingeweihte und Fans ist eindeutig, was gemeint ist; doch bei Kritik von außen kann auf die reine Formulierung verwiesen werden.
Weil es sich nur schwer eindeutig nachweisen lässt, ist „Dog Whistling“ eine nützliche Strategie für Gruppen, die extreme Ideologien vertreten, sich allerdings noch als harmlos und gemäßigt präsentieren wollen – ideal also für Aktivist:innen der sogenannten „neuen“ Rechten und für große Teile der AfD.
Höcke ist Meister in „Dog Whistling“-Kommunikation
Und da „Dog Whistling“ nur selten rechtlich geahndet werden kann – schließlich erscheinen die Aussagen ohne ihren Kontext oftmals harmlos – sind diese Art von Anspielungen ein probates Mittel, um bisher inakzeptable Ansichten in den Mainstream einzuführen. So auch im Falle der Höcke-Rede. „Alles für Deutschland“ wird erst in seinem Kontext, zu einer verfassungsfeindlichen Aussage. Große Teile des AfD-Publikums und die rechtsextreme Szene, werden sehr genau gewusst haben, worauf Höcke hier anspielt.
Höcke ist Meister in „Dog Whistling“-Kommunikation. Ein weiteres Beispiel: Auf dem jährlichen Treffen des rechtsnationalen und offiziell aufgelösten „Flügels“ der AfD im Juni 2018 bediente sich der Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke der Sprache des nationalsozialistischen Propagandaministers Joseph Goebbels. Dieser schrieb während seiner Zeit als Gauleiter von Berlin in einem Leitartikel der NSDAP-Zeitung „Der Angriff“ folgende Worte: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns aus dem Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. […] Wir kommen nicht als Freunde. […] Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir“.
In seiner Ansprache an den AfD-„Flügel“ sagte der Gymnasiallehrer für Geschichte Höcke: „Heute, liebe Freunde, lautet die Frage nicht Hammer oder Amboss. Heute lautet die Frage Schaf oder Wolf. Und ich, nein wir, entscheiden uns in dieser Lage, Wolf zu sein.“ Diese Formulierung könnte als eine vereinfachende Darstellung eines Kampfes zwischen Schwachen und Starken verstanden werden. Doch der Kontext von Höcke, der bereits mehrfach nationalsozialistische Sprache verwendet hatte und sich beruflich mit der deutschen Geschichte befasste, und des Publikums von rechtsradikalen Mitgliedern der AfD legt den Verdacht nahe, dass es mit direktem Bezug zu Goebbels um die rhetorische Strategie der „Dog Whistle“ geht. Der ehemalige Geschichtslehrer Höcke dürfte genau wissen, aus welchem Zitatenschatz er sich hier bedient.
Höcke hat sich am Mittwochnachmittag auch zur Aufhebung seiner Immunität geäußert. Er fordert eine „Reform des Immunitätsrechts – jetzt!“ und suhlt sich, kaum überraschend, mal wieder in seiner ihm selbst zugeschnitten Opferrolle. In Thüringen wurde in der Vergangenheit häufiger die Immunität von Landtagsabgeordneten aufgehoben. Ende 2020 gab es Ermittlungen gegen Höcke wegen des Verdachts auf Volksverhetzung.
Zum Ende seines Statements schreibt Höcke in seinem Statement dann noch: „Was in anderen Ländern als Patriotismus bezeichnet wird, heißt in Deutschland nicht selten Volksverhetzung.“ Also soll dann im Sinne von Björn Höcke das Zeigen des Hitlergrußes oder die Losung „Heil Hitler“ wieder guter deutscher Patriotismus werden?