Von: Christoph M. Kluge
„Als würde man mit einem Blitz Geschichte schreiben!“, soll Woodrow Wilson ausgerufen haben nachdem er den Film „Birth of a Nation“ gesehen hatte. Ob der US-Präsident tatsächlich genau diese Worte benutze, um seine Begeisterung auszudrücken, ist zwar umstritten. 1915 wurde noch nicht jede Aussage präzise im Internet dokumentiert. Vollkommen außer Frage steht jedoch, dass das mehr als drei Stunden lange Epos der erste Stummfilm war, der jemals im Weißen Haus gezeigt wurde. Regisseur D. W. Griffith beeindruckte nicht nur den Präsidenten sondern das Weltpublikum mit zuvor noch nie gesehenen Spezialeffekten, die die Bildsprache des Mediums Film nachhaltig prägten.
Doch „Birth of a Nation“ gehört auch zu den berüchtigtsten Propagandafilmen der Geschichte, denn er verbreitet Rassismus und glorifiziert den frühen Ku-Klux-Klan. Erzählt wird eine Geschichte aus der Reconstruction-Ära unmittelbar nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Griffith stellt die Befreiung der Sklaven als gefährliche Fehlentwicklung dar. Die Schwarzen werden als dumme Untermenschen gezeigt, die weiße Frauen vergewaltigen. Der Klan erscheint als Retter in der Not. Kapuzenmänner galoppieren auf Pferden heran, um die rassistische Ordnung mit Gewalt wiederherzustellen und die Wilden in ihre Schranken zu weisen. Wagners ‚Walkürenritt‘ erklang dazu, gespielt vom Kinopianisten.
Die Sünden des Vaters
Nur wenige Monate nach der Filmpremiere versammelte der Prediger William Joseph Simmons eine Gruppe weißer Protestanten am Stone Mountain in Georgia. Die Männer zogen weiße Roben und Kapuzen über, setzten ein Holzkreuz in Brand und gründeten den Ku-Klux-Klan neu. Der Geheimbund war 1871 aufgelöst worden und beinahe in Vergessenheit geraten. Nun kehrte er zurück und terrorisierte die nicht-weiße Bevölkerung. Der Klan übte aber auch politischen Druck auf die Gesetzgebung aus. Mitte der 1920er Jahre wuchs er zu einer Massenbewegung mit über 4,5 Millionen Mitgliedern heran. Unter ihnen – ein Zugeständnis an die Moderne – auch etwa 500.000 Frauen.
1927 berichtete die New York Times über einen Aufmarsch von etwa 1.000 KKK-Anhängern im New Yorker Stadtteil Queens. Die Zeitung zählte einige Männer auf, die von der Polizei verhaftet worden waren. Unter ihnen: Fred Trump, der spätere Vater von Donald Trump. Fred war zu diesem Zeitpunkt 21 Jahre alt und lebte in Queens. Unklar ist, ob er dem KKK angehörte. Er könnte auch als Schaulustiger verhaftet worden sein. Der Festnahme folgte keine Anklage. Erst Donald Trumps rassistischer Wahlkampf 2016 brachte die uralte Randnotiz wieder ans Tageslicht. Fest steht jedoch, dass das Immobilienunternehmen Trump Organization schwarze Mieter systematisch diskriminierte – bevor und nachdem Donald die Geschäfte 1971 von seinem Vater übernahm.
„Wo soll das enden?“
2011 bekannte sich der TV-Star Donald Trump in einer Morgensendung zu einer Verschwörungstheorie, die die Rechtmäßigkeit von Barack Obamas Präsidentschaft anzweifelte. Anhänger der „Birther“-Theorie behaupten ohne jeden Beweis, der erste schwarze Präsident sei in Afrika geboren worden. Die Konnotation ist offensichtlich: Ein Nicht-Weißer kann kein echter Amerikaner sein. Inzwischen ist Trump selbst Präsident und mehrere Schritte weitergegangen. Mit seinen relativierenden Äußerungen zur rassistischen Gewalt in Charlottesville hat er sich unverhohlen auf die Seite der White-Supremacy-Bewegung gestellt.
Trump kritisierte den Abbau von Denkmälern der Südstaaten-Konföderation. Dabei setzte er deren Generäle, die für den Erhalt der Sklaverei kämpften, mit den Gründungsvätern der USA gleich und sagte:
„In dieser Woche ist es also Robert E. Lee. Ich habe gesehen, wie Stonewall Jackson gestürzt wurde. Ich frage mich: Ist George Washington nächste Woche dran? Und Thomas Jefferson in der Woche darauf. Wisst ihr, ihr müsst euch wirklich fragen: Wo soll das enden?“
Die Gleichsetzung hinkt gewaltig: Jefferson und Washington haben Sklaven besessen, was einen Schatten auf ihr politisches Erbe wirft. Doch sie werden in den heutigen USA nicht dafür geehrt, sondern für ihre Rolle bei der Staatsgründung.
General Lee hingegen – dessen Denkmale Steine des Anstoßes sind – lief von der Unionsarmee zur Südstaaten-Konföderation über, um für den Erhalt der Sklaverei zu kämpfen. Nach der Niederlage nutzte Lee seinen politischen Einfluss, um den Fortbestand der Ungleichheit zu sichern. Die ersten Denkmale für die Konföderation wurden unmittelbar nach deren Untergang errichtet. Einer Studie des Southern Poverty Law Centers zufolge erreichte der Kult seinen Höhepunkt jedoch erst Anfang des 20. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit wurde die Segregation der afroamerikanischen Bevölkerung verschärft und der Klan kehrte zurück. Die Verherrlichung der Vergangenheit des Südens war eine Waffe im Kampf um die Zukunft der gesamten Nation.
Pakt mit dem Teufel
Trump hat keine Ahnung von der Geschichte der Vereinigten Staaten, seine Ignoranz gegenüber jeglicher Form von Bildung hat er immer wieder unter Beweis gestellt. Dennoch beschwört er den Mythos einer weißen, christlichen Nation, in der alles Fremde unerwünscht ist. Dieses Amerika wird heute nicht nur von KKK und Neonazis verherrlicht, sondern in etwas subtilerer Form auch von neurechten Websites wie Breitbart News. Der ehemalige Breitbart-Chef Steve Bannon leitete Donald Trumps Wahlkampfteam und ist heute ein enger Berater. Der Journalist Joshua Green zeichnet in seinem Sachbuch Devil’s Bargain minutiös nach, wie Bannon die diffusen Vorurteile des Kandidaten Trump mit einer düsteren, in sich geschlossenen Weltanschauung untermauerte. Seine Polemik erschloss eine bedeutende Wählergruppe: die frustrierten weißen Männer.
Verbindendes Element ist die mythische Verklärung einer vermeintlich besseren Vergangenheit. Der Revanchismus trauert nicht mehr unbedingt der historischen Konföderation hinterher, sondern allgemein einer patriarchal organisierten Welt, in der die Privilegien weißer Männer als unantastbar gelten. Als Feindbild dienen nicht ausschließlich Schwarze, sondern auch Latinos, Muslime, Juden und andere Minderheiten. Präsident Trump mag wenig von den politischen Abläufen in Washington verstehen. Aber er weiß, dass sich seine Basis zu einem erheblichen Teil aus Anhängern und Sympathisanten der radikalen Rechten rekrutiert. Als geübter TV-Entertainer und opportunistischer Provokateur folgte er im Wahlkampf seinem Instinkt und bediente die Ressentiments des Publikums.
Donald Trump hat schon viele diskriminierende und geschmacklose Dinge gesagt. Dennoch markieren seine Äußerungen am Dienstag einen point of no return. Der 45. Präsident hat bewiesen, dass seine Präsidentschaft direkt an das finsterste Kapitel der US-amerikanischen Geschichte anknüpft. Der offen rechtsradikale Teil der Trump-Basis bejubelt das, zum Beispiel der ehemalige KKK-Anführer David Duke. Doch gleichzeitig dürfte die Zahl der Amerikaner, die sich eine Amtsenthebung lieber heute als morgen wünschen, sprunghaft gestiegen sein. Und der Konflikt um die Konföderations-Denkmale und die Werte, die sie in der Gegenwart repräsentieren, könnte zu einem entscheidenden innenpolitischen Konflikt werden.
Christoph M. Kluge ist Historiker, Literaturwissenschaftler sowie freier Journalist in Berlin und beobachtet die neurechte Szene.