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„Down the rabbit hole“ Verschwörungsideologie vs. Verschwörungstheorie

(Quelle: Unsplash)

Down the rabbit hole“ heißt eine neue Handreichung von No World Order, einem Projekt der Amadeu Antonio Stiftung und gibt Einblicke in Hintergründe, aktuelle Entwicklungen und Möglichkeiten der Intervention. Der folgene Text ist ein Auszug aus der Broschüre.

Was sind Verschwörungstheorien?

Allgemein wird unter „Verschwörungstheorien“ die fantastische (also der Fantasie entsprungene) Idee verstanden, der zufolge bestimmte oder alle vergangenen und gegenwärtigen gesellschaftlichen Ereignisse das Ergebnis einer Verschwörung sind. Es wird behauptet, dass eine bestimmte Gruppe im Hintergrund die Fäden zieht. Der Begriff „Verschwörungstheorie“ ist sehr weit verbreitet und wird gemeinhin als Abwertung verstanden: Eine „Verschwörungstheorie“ ist demnach eine Spinnerei, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat.

Auf den Begriff „Verschwörungstheorie“ soll in dieser Handreichung verzichtet werden. Er vermag es nicht, den gesellschaftlich problematischen Inhalt in angemessener Form zu benennen. Dabei ist nicht so sehr der verbreitete Vorwurf das Problem, es handele sich nicht um eine Theorie im wissenschaftlichen Sinne. Die Gefahren von „Verschwörungstheorien“ gehen nicht unmittelbar davon aus, dass ihre Inhalte nicht zu widerlegen sind. Das Problem mit dem Begriff ist viel eher das Ausblenden des ideologischen Gehalts dieser „Theorien“. So sehen einige Wissenschaftler:innen in „Verschwörungstheorien“ gar ein legitimes Mittel, aus einer stigmatisierten Position heraus gesellschaftliche Missstände zu kritisieren. Diese Auffassung ist insofern gefährlich, als sie keine eindeutige Unterscheidung zwischen notwendiger Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen und dem problematischen Inhalt von „Verschwörungstheorien“ zulässt. Die alleinige Kategorisierung als unterdrücktes oder stigmatisiertes Wissen reicht für dessen kritischen Gehalt nicht aus. „Verschwörungstheorien“, insbesondere auf der Ebene der mutmaßlichen Weltverschwörung, werden aus berechtigten Gründen stigmatisiert. Sie stellen in ihrer Gesamtheit keine legitime Form von Gesellschaftskritik dar – selbst wenn sie reelle Ungerechtigkeiten, Leid oder Missstände benennen –, vielmehr handelt es sich bei ihnen um ideologische Denksysteme, die Kritik und Widerspruch ausschließen. Im Extrem reproduzieren sie indirekt oder ausdrücklich antisemitische Stereotype. Besonders für eine zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung mit „Verschwörungstheorien“ ist folglich die Bezeichnung Verschwörungsideologie besser geeignet.

Was sind Verschwörungsideologien?

Der Begriff der Verschwörungsideologie wurde vom Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Armin Pfahl-Traughber für die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung vorgeschlagen. Anstelle des Begriffs der „Verschwörungstheorie“, den er aus den oben genannten Gründen als ungenügend charakterisierte, unterscheidet er zwischen Verschwörung, Verschwörungshypothese und Verschwörungsideologie bzw. -mythos. Die Existenz von Verschwörungen stellt Pfahl-Traughber nicht infrage. Menschen verschwören sich ständig in kleinen geheimen Gruppen mit dem kurzfristigen Ziel des Machterwerbs und -erhalts. Da Verschwörungen existieren, ist es legitim anzunehmen, dass ein bestimmtes oder mehrere Ereignisse das Ergebnis einer Verschwörung seien. Diesen Verdacht bezeichnet Pfahl-Traughber als Verschwörungshypothese. Sie bleibt im Rahmen legitimer demokratischer Diskurse, solange sie eine korrigierbare Annahme, eine mögliche Betrachtung eines Ereignisses bleibt. Sofern die Verschwörungshypothese jedoch widerlegt wird, der Verdacht nicht hinreichend oder mit menschenfeindlichen Aussagen begründet wird, sollte sie korrigiert oder fallengelassen werden. Wird dagegen an der Verschwörungsvermutung festgehalten und immunisiert sich die Hypothese gegen jede Kritik, so handelt es sich um eine Verschwörungsideologie.

Allen Verschwörungsideologien ist gemein, dass sie davon ausgehen, einige wenige würden im Geheimen, mit bösen Absichten, die Geschicke der gesamten Menschheit steuern. Sie beschreiben Verschwörungen globalen Ausmaßes, die in manchen Fällen bereits seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden andauern würden. Der Begriff der Ideologie verweist außerdem darauf, dass es sich bei den Vorstellungen nicht nur um private Spinnereien oder falsche Wahrnehmungen handelt – sie haben ihren Ursprung auch in der Gesellschaft. Vereinfacht bedeutet dies: Es gibt Dinge in dieser Gesellschaft, die ihre Mitglieder daran glauben lassen, eine kleine Gruppe hätte sich gegen die Mehrheit verschworen – etwa die Art und Weise, wie moderne repräsentative Demokratien funktionieren oder wie Waren und Dienstleistungen im Kapitalismus produziert und getauscht werden. In beiden Fällen spielen abstrakte und anonyme Zwänge eine Rolle, die nicht von einzelnen Mächtigen bewusst kontrolliert werden (können), sondern durch das Zusammenwirken aller Teile des gesamten Systems zustande kommen. In Verschwörungsideologien erfolgt eine Personifizierung solcher abstrakten Prozesse, d.h. sie und besonders ihre Ergebnisse werden als absichtliche Handlungen einer Gruppe von Menschen und/oder Individuen dargestellt. Die „unsichtbare Hand des Marktes“ – eine Metapher, die der Ökonom Adam Smith zur Beschreibung dieser abstrakten Prozesse nutzte – bekommt in Verschwörungsideologien nicht nur einen vollständigen Körper, sondern auch Name und Anschrift.

Als Variation von Verschwörungsideologien können Verschwörungsmythen angesehen werden. Während Verschwörungsideologien reale Gruppen, wie z.B. Geheimdienste, Wirtschaftstreffen oder Freimaurerlogen, die sich auch wirklich im Geheimen/Nicht-Öffentlichen treffen, für alles Schlechte in der Welt verantwortlich machen, beziehen sich Verschwörungsmythen in ihrer Feinddarstellung auf ausgedachte Gruppen. Beispiele hierfür wären der Glaube an eine Verschwörung außerirdischer Reptilienwesen, an den 1784/85 verbotenen Illuminatenorden oder an eine „jüdische Weltverschwörung“ der „Weisen von Zion“. Es kommt bei Verschwörungsmythen weniger auf Beweise einer solchen Verschwörung an als vielmehr auf den Glauben an diese.

Die Grenze zwischen Verschwörungsideologien und Verschwörungsmythen sind fließend und nicht immer klar zu bestimmen – reelle und mythische Gruppen werden in Weltverschwörungserzählungen je nach Vorliebe miteinander vermengt. Nachfolgend soll der Einfachheit halber vornehmlich der Begriff Verschwörungsideologie genutzt werden.


Die neue Broschüre Down the rabbit hole — Verschwörungsideologien: Basiswissen und Handlungsstrategien können Sie hier herunterladen oder bestellen.

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