„Down the rabbit hole“ heißt eine neue Handreichung von No World Order, einem Projekt der Amadeu Antonio Stiftung und gibt Einblicke in Hintergründe, aktuelle Entwicklungen und Möglichkeiten der Intervention. Der folgene Text ist ein Auszug aus der Broschüre.
In Verschwörungsideologien werden Feindbilder geschaffen. Menschen, die persönlich für gesellschaftliche Missstände verantwortlich gemacht werden, leben in der Gefahr, von Verschwörungsideolog:innen angegriffen zu werden. Bei einer nichtexistierenden Gruppe, wie den Illuminaten, mag dies weniger das Problem sein. Allerdings arbeiten Verschwörungsideolog:innen stets mit großem Einsatz daran, die geheimen Mitglieder zu identifizieren. Wenn dann pauschal Jüdinnen und Juden oder Banker:innen als Mitglieder der Verschwörung identifiziert, der anonymen Verschwörung also konkrete Personen zugeordnet werden, droht diesen Menschen verschwörungsideologisch motivierte Gewalt. Die Terroranschläge von Pittsburgh (2018) und Halle (2019) haben dies verdeutlicht. Ebenso verhält es sich mit Überleben–den von Terroranschlägen. Verschwörungsideolog:innen behaupten immer wieder, dass diese Ereignisse inszeniert und die Überlebenden und ihre Angehörigen Schauspieler:innen seien. Andere Verschwörungsideolog:in–nen leiten daraus die Berechtigung ab, diese Menschen für ihre vermeint–liche Zusammenarbeit mit der Verschwörung zur Rechenschaft ziehen zu dürfen, sei es durch Drohungen oder das Veröffentlichen ihrer Adressen („Doxing“), um Dritten den Weg für Taten zu weisen.
Antidemokratische Parallelwelt
Verschwörungsideologien isolieren ihre Anhänger:innen auf Dauer vom Rest der Gesellschaft. Sie konstruieren sich mit dieser Ideologie eine wider–spruchsfreie Welt, in die alles nach einem einfachen Schema eingeordnet werden kann. Dieser Prozess untergräbt demokratische Willensbildungsprozesse. In Demokratien ist Politik ein Aushandlungsprozess zwischen Individuen und Gruppen mit komplexen Interessenlagen. Durch die Vorstellung, die Welt ließe sich in Gut und Böse einteilen, scheinen politische Entscheidungen ebenfalls diesem Schema zu entsprechen. In Kombination mit der Selbstwahrnehmung als Vertreter:innen der Mehrheit der Bevölkerung reduzieren Verschwörungsideolog:innen Demokratie auf die Vorstellung der autoritären Umsetzung eines Mehrheits- oder gar „Volkswillens“. Zum einen haben Minderheiten in diesem antidemokratischen Politikverständnis keinen Platz, zum anderen darf darin auch keine Opposition existieren.
Völkischnationalistisches Selbstbild
Mit der Gefahr der Entwicklung einer antidemokratischen Parallelwelt steht auch die der Herausbildung eines nationalistischen Selbstbilds in Verbindung. In Deutschland lässt sich beobachten, dass Verschwörungsideolog:in–nen einen besonders starken Bezug zu den Ideen von Wahrheit und einem „deutschen Volk“ nehmen. Nicht nur die Bezeichnung von Politiker:innen als „Volksverräter“ und der Medien als „Lügenpresse“ sowie die Neuinterpretation der Parole „Wir sind das Volk“ weisen auf diesen Umstand hin. Die Zugehörigkeit zum „deutschen Volk“ scheint für viele ein wichtiger Stützpfeiler zu sein, auf dem die eigene Identität errichtet wird. Das nationalistische Selbstbild bietet Anknüpfungspunkte an rechtsextreme und andere menschenfeindliche Ideologien. Auch innerhalb des Rechtsextremismus spielen Verschwörungsideologien eine wichtige Rolle. Der Mythos einer „jüdischen Weltverschwörung“ wird hier seit Jahrzehnten gepflegt.
Für Deutsche bietet das nationalistische Selbstbild im Kontext von Verschwörungsideologien einen besonderen Vorteil. Der Glaube daran, dass eine geheime Weltverschwörung alle Verfehlungen der letzten Jahrhunderte zu verantworten hat, relativiert die Schuld der Deutschen am Holocaust und den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Manche dieser Erzählungen leugnen ganz unverhohlen die Verbrechen des Nationalsozialismus, andere negieren die deutsche Verantwortung. Stets werden auf diese Weise deutsche Täter:innen zu Opfern einer Weltverschwörung umdeklariert. Wenn diese zusätzlich als „jüdisch“ vorgestellt wird, sind in der Erzählung nicht nur die Täter:innen Opfer, sondern die Opfer die „wahren“ Täter:innen. Dieses Gemisch aus nationalistischem Selbstbild, Täter-Opfer-Umkehrung und „jüdischer Weltverschwörung“ stellt eine Grundlage für die in Deutschland verbotene Leugnung des Holocausts dar.
Die Rolle des Internets
Eine besondere Rolle in der Auseinandersetzung mit Verschwörungsideologien spielt das Internet. Die Möglichkeiten des einfachen Austauschs werden seit seiner Entstehung auch zur Verbreitung von Verschwörungsideologien genutzt. Seit dem Aufkommen der Sozialen Medien wie Facebook, Twitter und anderen wird immer deutlicher: Verschwörungsideologische Behauptungen werden von vielen User:innen geliket und geteilt. Auf diese Weise bestätigen sich Men–schen innerhalb spezieller Gruppen in ihrer ideologischen Weltsicht. Durch ihr Liken und Teilen von bestimmten Inhalten, Personen oder Gruppen oder durch das Suchen und Anschauen bestimmter Videos im Internet verschließen sie sich langfristig vor Kritik. Gleichzeitig werden ihre eigenen verschwörungsideologischen Ansichten wiederholt und damit bestärkt. Ähnliches kann auch in der Offline-Welt passieren. Die Auswahl der eigenen Freundschaften, Stammtische, Zeitungs- oder Zeitschriftenabonnements etc. kann ebenfalls dazu führen, dass Meinungsvielfalt eingeschränkt wird. Das Internet begünstigt solche Prozesse:
1. Das Internet erleichtert es Menschen, sich Freund:innen sowie ihre Informationsquellen nach den eigenen Bedürfnissen zusammenzu–stellen. Gleichzeitig ist es durch ebenso einfach möglich, unliebsame Meinungen und Kritik auszublenden und zu blocken. Problematisch wird es dann, wenn die sich so entwickelnden Filterblasen men–schenfeindliche und antidemokratische Inhalte mit einschließen.
2. Die Algorithmen der Suchmaschinen und Sozialen Medien schlagen User:innen ständig neue Videos, Seiten und Personen vor, die eine ähnliche oder gleiche Position vertreten. Dieser automatische Prozess soll ihr Bedürfnis nach weiteren Informationen aus ihren Interessensgebieten befriedigen. Zwar bemühen sich die Unter–nehmen, den User:innen ein vielfältiges Angebot zu unterbreiten, gleichzeitig unterliegt das Angebot jedoch bestimmten technischen Vorgaben. Besonders auf YouTube werden Verschwörungsideologien verbreitet, was auf Grund der besonderen Beliebtheit der Video-Plattform bei jungen Menschen sehr problematisch ist. So wird auch von technischer Seite her die Verbreitung von Verschwörungsideo–logien begünstigt.
Die neue Broschüre Down the rabbit hole — Verschwörungsideologien: Basiswissen und Handlungsstrategien können Sie hier herunterladen oder bestellen.