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„Drag Story Time” Internationales Feindbild der extremen Rechten

Veranstaltungen mit Drag Queens sind in den USA schon lange Zielscheibe der extremen Rechten. Daran nehmen sich Identitäre in Österreich sowohl ideologisch als auch stilistisch ein Vorbild.

 
Abfotografiertes Bild aus den sozialen Medien auf dem ein Aktivist der Identitären Bewegung in Wien vor einem queeren Zentrum demonstriert.
Am 29. März 2023 demonstrierten Aktivisten aus dem Umfeld der rechtsextremen Bewegung vor einem queeren Zentrum in Wien und verbreiteten Fotos der Aktion über die sozialen Medien. (Quelle: Foto: BTN)

Vermummt in rot-weiß-roten Sturmhauben, mit rauchender Pyrotechnik und Transparenten, posieren am Morgen des 29. März 2023 Aktivisten aus dem Umfeld der rechtsextremen Identitären Bewegung vor der Türkis Rosa Lila Villa in Wien. Mit queer- und transfeindlichen Slogans fordern sie die Schließung des queeren Zentrums. Dabei inszenieren sie sich als besorgte Kinderschützer. Es ist nicht die erste Aktion dieser Art. Schon im Juni 2022 errichtete die IB eine symbolische Mauer in rot-weiß-rot mit der Aufschrift #nopridemonth vor dem Eingang einer Buchhandlung.

Anlass für beide Aktionen waren Kinderbuchlesungen von Drag Queens, gegen die Martin Sellner, Kopf der IB in Österreich mobilisierte. Auf Telegram forderte Sellner dazu auf, Drag-Story-Time-Veranstaltungen, die im März 2023 in Wien stattfanden, wie auch eine Lesung in der Wiener Villa Vida am 16. April 2023, aktiv zu stören. Auch Martin Rutter, das Gesicht der Corona-Leugner*innen in Österreich und Mitgründer der rechtspopulistischen Splitterpartei „BZÖ“, lädt via Telegram zur „Megademo“ gegen „Globo-Homo“, „Frühsexualisierung“ und „jede Form des Kindesmissbrauchs“ ein. Auch die Wiener „FPÖ“ forderte in einer extra einberufenen Sondersitzung im Wiener Landtag ein „Verbot von Drag-Queen-Shows für kleine Kinder.“ Die Allianz aus rechtsextremen Identitären, Corona-Leugner*innen und parlamentarischen Akteuren von Rechtsaußen ist dabei keine neue.

Drag-Story-Time

Bei Drag-Story-Time-Veranstaltungen lesen Drag Artists Kindern aus Kinderbüchern vor. Kinder lernen Diversität, Toleranz, die Vielfalt von Geschlechteridentitäten und Genderrollen. Die Lesungen sind auch ein Zugang zu emanzipatorischen Vorstellungen von Gesellschaft, abseits von Trans- und Queerfeindlichkeit oder Antifeminismus.

Mary Huber, Mitgründerin von Queer Base Vienna, verdeutlicht im Gespräch mit dem Radiosender FM4, wie die Angriffe auf die Drag Community mit reaktionären Männlichkeitsbildern zusammenhängen. Wie die trans Community wird jetzt auch die Drag Community zur Zielscheibe, da Drag „auch in Frage stellt, wie sehr Männer in ihrem Dasein klassische Männlichkeit reproduzieren müssen”, so Huber.

Für die Kinder

Kinder und das vermeintliche Einstehen für das Kindeswohl ist ein altbewährtes Mobilisierungsthema Rechter aller Couleur. Das haben sowohl die Coronaproteste als auch die rassistische Hetze gegen Geflüchtete, die als Gefährdung für „die Kinder” dargestellt wurden, gezeigt. Auch beim Thema Trans- und Queerfeindlichkeit kommen die Kinder nicht zu kurz. Dort wo es um die Aufklärung über Geschlechterrollen geht, sprechen Rechtsextreme wie Martin Sellner von „Fühsexualiserung” und „Kindesmissbrauch”.

Alles nur geklaut

Seit der Gründung der deutschsprachigen „Identitären Bewegung“ im Jahr 2012 hat die IB einige Veränderungen durchlaufen. In den letzten Jahren sind Identitäre immer wieder unter neuen Namen aufgetreten, z. B. als „Wiener Widerstand“ oder seit Beginn der Coronaproteste als „Die Österreicher.“ Mitgründer von „Die Österreicher“ ist IB-Aushängeschild Martin Sellner. Neben dem Namens-Wirrwarr prägen mittlerweile neue Aktionsformen das Auftreten der Gruppierung. Die Aktionen der IB dienen vorwiegend zur bildlichen Inszenierung in den Sozialen Medien.

Die Performance der Identitären vom Morgen des 29. März ist kein Unikat. Inspiration findet die extreme Rechte in Österreich seit ihrer Neuausrichtung scheinbar bei der US-amerikanischen „Patriot Front“ (PF), einer neo-faschistischen Gruppierung aus Texas.

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Sowohl ihre Aktionsformen als auch ihre Feindbilder scheint sich die IB, unter welchem Namen auch immer sie gerade auftritt, von der US-amerikanischen Alt-Right abzuschauen. Auch in der Schweiz ist ein ähnlicher Trend innerhalb der sogenannten neuen Rechten zu beobachten. Im letzten Jahr wurde eine Drag-Story-Time-Lesung in Zürich zur Zielscheibe rechtsextremer Aktivisten. Die Schweizer Neonazi-Gruppe „Junge Tat“ bespielte dabei mit Sturmhauben und Pyro-Rauch dieselbe „Ästhetik“ wie die IB und die PF. Der „neue“ rechte Look ist martialisch, bildstark und vor allem Content für die Sozialen Medien.

„Patriot Front“: Trans- und Queerfeindliche Aktionen

Die „Patriot Front“ wird von der Anti-Defamation-League als führende „white supremacist“ Gruppe in den USA eingeordnet. Gegründet wurde die PF als Splittergruppe der neofaschistischen „Vanguard America“ nach der „Unite the Right”-Demonstration 2017 in Charlotesville, bei der eine Gegendemonstrantin ermordet wurde. Neben Antisemitismus und Rassismus sind Antifeminismus, Trans- und Queerfeindlichkeit zentrale ideologische Bezugspunkte des rechtsextremen und antimodernen Weltbilds der PF. Zusammen mit anderen rechtsextremen Akteuren wie den „Proud Boys“, Neonazis, aber auch Konservativen aus dem christlichen Milieu arbeitet sich die PF besonders an Drag und vor allem an Drag-Story-Time-Veranstaltungen ab. Zum Beispiel am 11. März. 2023 in Akron, Ohio. Regelmäßig werden Veranstaltungen, wie die besagten Kinderbuchlesungen, von der trans- und queerfeindlichen Hetze der PF begleitet. Drag-Events müssen abgesagt werden, da sich die rechtsextremen Drohungen im Vorfeld häufen. Kaum eine Veranstaltung mit Drag-Bezug bleibt von der PF ungestört.

„LGBT Lobby“ und „Globohomo”

Bei ihrer Agitation gegen die Lesungen in Wien greifen die Identitären auf der IB-Plattform „Heimatkurier“ auf queerfeindliche und strukturell antisemitische Narrative wie die „LGBT-Lobby“ oder „Globohomo“ zurück. „Globohomo” ist ein Begriff, mit dem innerhalb der „neuen“ Rechten vor einer imaginierten absoluten Herrschaft der LGBTQ-Community gewarnt wird. Der Code verbindet die antisemitische Erzählung von den „Globalist*innen” mit dem queerfeindlichen Narrativ der „Homo- Lobby“. „Globohomo” arbeitet laut IB-Ideologie am „Großen Austausch”, einem zentralen Ideologieelement der „neuen” Rechten: Die weiße Bevölkerung soll demnach durch eine nichtweiße ersetzt werden. Verantwortlich seien „Politik“, „Medien“ und eine „linksextreme, ethnomasochistische Clique.“

„Die USA“ – Es bleibt ambivalent

Die USA nehmen in den Verschwörungsideologien der Identitären eine ambivalente Rolle ein: Einerseits wird propagiert, „queere Ideologien“ würden von den USA nach Europa gebracht werden. Andererseits fordern die Aktivisten einen ähnlichen trans- und queerfeindlichen Backlash wie die USA ihn gerade erleben. In mehreren US-Bundesstaaten machen es sich aktuell Republikaner*innen mit Anti-Drag Bills zum Ziel, Drag Shows zu verbieten. In Tennessee war ein solches Gesetz kurz davor, in Kraft zu treten. Es wurde jedoch vorübergehend gestoppt.

Dass Rechtsextreme in den USA und zunehmend auch in Österreich regelmäßig Drag und spezifisch Drag Queen Lesungen für Kinder angreifen, verdeutlicht, dass trans Menschen international zum führenden Feindbild der Szene geworden sind. Queere Orte, Veranstaltungen und Lebensentwürfe als Zielscheibe rechtsextremer Hetze sind dabei nichts Neues. Zunehmende Sichtbarkeit von Queerness bedroht das rechtsextreme, patriarchale Selbstbild, auch deshalb nehmen die Diffamierungen und Angriffe weiter zu.

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