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Dresden am 13. Februar Eindrücke zwischen Gedenken und „Gedenken“

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Zwischen Mahngang und Blockaden (Quelle: ngn/rd)

Es ist Mittwoch in Dresden. Um 14.30 Uhr versammeln sich zumeist ältere Menschen am Heidefriedhof der Stadt um den Opfern der Luftangriffe vor 68 Jahren zu gedenken. Die Schar aus Lokal- und Landespolitikerinnen und Politikern, die sich nicht nur beteiligen sondern den kleinen Marsch anführen werden, befindet sich in der Anfahrt. Ab 15 Uhr werden die Teilnehmenden des Gedenkzuges vom Obelisk der „Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer“ zu einem Massengrab des Gedenkens der Opfer des Luftangriffs auf Dresden laufen.

Wenn man diese Strecke im Vorfeld abgelaufen ist, ist man auf Ina (80) und Gabriela (63) getroffen. Auf die Frage, was ihnen dieser Tag bedeutet, antwortet die ältere von beiden sehr sachlich, dass sie die Angriffe selbst noch erlebt hat. Dem Gedenken der Lieben, die sie damals verlor, fühlt sie sich verpflichtet. Vergessen wird und will sie nicht. Beide sind gekommen, um individuell zu gedenken, aber auch um die Rede der Oberbürgermeisterin und den Gesang des Chors zu hören, die die Stille der Andacht rahmen werden. Krieg soll es ihrem Willen nach nie wieder geben.

Heidefriedhof – Kritik an der „Erinnerungsindustrie“

Am Startpunkt „Obelisk“ treffe ich auf einen jungen Mann, der Anfang zwanzig sein kann und aus denselben Gründen wie ich zur Gedenkfeier gekommen ist. Er hat vor, sich einen Eindruck des „Spektakels“ zu bilden. Unsere Intention ist dieselbe, die Prämissen und Perspektiven werden aber verschiedene sein. Ihn nervt die „Erinnerungsindustrie“, die eine Relativierung des Dritten Reichs beinhalten würde. Seiner Einschätzung nach gehe das Datum den meisten Dresdnern und Dresdnerinnen mittlerweile eh „auf den Keks“.

Während des Gangs zur Versammlung an einer Grabesstelle pinnt er sich Buttons an den schwarzen Mantel, welche den Union Jack und das Star-Spangled-Banner zeigen. Er will damit die Nationalstaaten unterstützen, die im Zweiten Weltkrieg Dresden bombardierten. Und eine nationalsozialistische Diktatur (nicht nur) in Deutschland bezwingen konnten. In Reaktion auf die Symbolik erwartet er Aggression: „Jetzt werde ich sicherlich gleich angepöbelt. Dann hast du deine Story.“ Konfrontiert wird allerdings nicht er, sondern ein Protestierender neben uns, der lautlos mit Hilfe eines Plakats fordert: „Gedenken abschaffen“. Nach einigem hin und her wird dieser von Polizisten abgedrängt. Am Zielpunkt des Gedenkganges trennen sich die Wege von mir und meinem Begleiter. Während der Zeremonie kann ich ihn sehen. Ebenso wie ich wird er keine weiße Rose des Gedenkens niederlegen, sondern die Menschen an ihm vorüberziehen lassen, die sich zu einer Sandsteinmauer begeben, um dort symbolisch zu gedenken. Mit dem Wechsel meiner Position habe ich ihn verloren.     

Nach Beendigung der Zeremonie spreche ich Uwe, einen Friedhofsmitarbeiter im mittleren Alter, an. Dieser hat die Gedenkveranstaltung als sehr würdig empfunden. Für ihn als gebürtigen Dresdner habe der Tag eine hohe Bedeutung. Die alljährliche Instrumentalisierung des damaligen Leids durch Nazis findet er unsagbar, weswegen er mit dem Blockadeengagement der Gegendemonstranten sympathisiert. Die rechtlichen Problematiken von Blockaden sollte aber nicht unbeachtet gelassen werden. Sie gilt es, seiner Meinung nach, auch im Nachgang des Tages zu diskutieren.   

Am Hauptbahnhof – Treffpunkt des  rechtsextremen „Gedenkmarschs“

Konstante Bodenkälte des Abends am Dresdner Hauptbahnhof. Im Menschenpulk einer Gegendemonstration, die den Aufmarsch der Rechtsextremen blockieren konnte, treffe ich Ursula (52) und Peter (50). Sie wirkt sehr elektrisiert, er eher gespannt. Beide zusammen sind hier, weil die Nazi-Demonstration sie „angeht“, und freuen sich über den großen Erfolg, diese zu verhindern. Ihre Hoffnung, dass die Polizei deren Teilnehmer bald wieder nach Hause schicken wird, wird sich allerdings erst in zwei Stunden erfüllen.

So viel Zeit hat ein älterer Mann an einer ruhigeren Stelle des Bahnhofsvorplatzes nicht. Aufgrund von Nazi-Gedenkmarsch und Gegendemonstrationen fahren keine Busse und Straßenbahnen zu seinem Wohnort. Am frühen Abend hat er an der Menschenkette in der inneren Altstadt teilgenommen und empfand diese als sehr „würdig“. Kopfschüttelnd resigniert er: „Zu dem hier am Bahnhof kann und möchte ich nix sagen. Ich unterstütze beides nicht. Fort komme ich hier nun aber auch nicht.“ So begibt er sich zurück zur Altstadt.

Wiener Straße – Abzug der letzten Nazis

Zwischen 22 und 23 Uhr treffen sich die Wege von Martin, der positiv gedacht wohl Mitte dreißig ist, und mir. Unsere gemeinsame Route führt uns parallel zu einem letzten Aufzug der Nazis zum Bahnhof Strehlen die Wiener Straße entlang. Martin trägt eine IG-Metall-Fahne und heißt mich in seiner Heimatstadt willkommen. Er wirkt auf mich euphorisiert vom Erfolg, die Nazi-Demonstrationen großflächig zu verhindern. Zur Verabschiedung der letzten rechtsextremen Teilnehmer streift man gemeinsam zum finalen Bahnhof durch die Winternacht. Martin echauffiert sich kurz, dass fackelziehende Nazis, wenn auch nur auf kurzer Strecke, nicht erlaubt sein dürften. Dem Ende vorausgreifend resümiert er schon jetzt: „Die Welt schaut auf Dresden.“ Die Polizei wisse das und halte sich deswegen bezüglich gewalttätiger Aktionen besonders zurück. Das umsichtige, gut geplante und gewaltfreie Vorgehen des Bündnisses „Dresden Nazifrei“ war seiner Meinung nach Hauptursache des zivilgesellschaftlichen Erfolgs an diesem Tag.

Zur Verabschiedung des Nazi-Tross‘ strapaziert er mit ca. 40 weiteren Gegendemonstranten kurz vorm Bahnhof Strehlen seine Stimme zum letzten Mal. Begleitet von lautstarken „Ihr könnt nach Hause fahren“-Rufen können die unerwünschten Gäste Dresdens nahezu unverrichteter Dinge genau das tun: wieder nach Hause fahren. Die engagierten Gegendemonstrantinnen und Gegendemonstranten jeglicher Couleur haben erneut bewiesen, dass die Bürgerinnen und Bürger Dresdens nazistisches Denken und Wirken in ihrer Stadt nicht mehr wieder zulassen werden.

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