Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

„Dresdner Thesen“ PEGIDA radikalisiert sich nun auch schriftlich

Von|
Freilaufende Wutbürger_innen bei Bagida in München. Passend zu den Teilnehmer_innen verlassen jetzt auch die Pegida-Thesen den demokratischen Grundkonsens nach rechtsaußen. (Quelle: Sascha Arnhoff)

Von Felix Benneckenstein

Nach außen haben die Initiator_innen es stets so dargestellt, als sei die ‚GIDA‘-Bewegung der Zusammenschluss des bürgerlich-mittig-rechten Volkes. Faktisch vereinte sich anfangs unter den schwarz-rot-goldenen Fahnen der Pegida-Bewegung auch alles, was rechts ist – von Reichsbürger_innen über verurteilte Rechtsterroristen bis hin zu „konservativen Kräften“ und Rechtspopulist_innen. Doch schnell stellte sich die propagierte Bürgerlichkeit der Bewegung als trügender Schein heraus: Neonazis aus dem militanten Kameradschafts-Umfeld nutzten beispielsweise in Bayern die BAGIDA-Aufmärsche vor allem zur Rekrutierung von Demonstrant_innen für ihre eigenen, antidemokratischen Netzwerke. Michael Stürzenberger, ehemaliger CSU-Pressesprecher (München) und inoffizieller BAGIDA-Chef, sah diese Gefahr und distanzierte sich – zunächst. Dann jedoch folgte ein Bettelbrief auf dem radikal-rechten Blog ‚PI-News‘, die Nazis mögen doch einfach umdenken und sich seiner Bewegung anschließen.

Als Pegida Konkurrenz von Noch-mehr-Rechtsaußen bekam…

Inzwischen hat PEGIDA auch noch unerwünschte Konkurrenz bekommen. „PEGADA“ (das A steht für „Amerikanisierung“ des „Abendlandes“) hat sich gegründet. Dahinter stecken Menschen, die auch tendenziell für „mehr Deutschtum“ sind, die aber die Hauptgefahren der Welt in Israel und Amerika begründet sehen. Anschläge wie jene von Paris, für PEGIDA ein Garant für tausende zusätzliche Mitdemonstranten, hält man hier für inszeniert. Und auch, wer den Holocaust leugnet oder ihn „zumindest in seiner Größendimension anzweifelt“, wird hier auf weniger Gegenreden stoßen. Von den tausenden Neonazis, die sich Montag für Montag den GIDAs angeschlossen haben, wurden einige von Gegendemonstrant_innen und Journalist_innen häufig ziemlich ‚auf die Schippe genommen‘, wenn sie für PEGIDA marschierten. Nazi-Funktionär XY befragen, wie es sich denn so läuft „für das jüdisch geprägte Europa“, das war sozusagen ein Running Gag unter den Fotograf_innen und kritischen Demobegleiter_innen. Damit ist jetzt Schluss: Die „Dresdner Thesen“ wurden am vergangenen Wochenende bei einem deutschlandweiten „Vernetzungstreffen“ einstimmig beschlossen. Vergleicht man sie mit dem vorherigen Positionspapier, ist sie vor allem konsequent – aber auch verzweifelt. Die Message könnte lauten: „Es soll keine Protestbewegung jenseits der PEGIDA geben“. Außerdem ist eine deutliche Radikalisierung nun auch „schwarz auf weiß“ attestiert.

PEGIDA 2.0: Nichts mehr mit „jüdischem Abendland“

Im Vorläufer der „Dresdner Thesen“, dem 19-Punkte-Positionspapier, das bisher die Bibel der Pegidas war, war nämlich noch unter Punkt 13 die Rede von einer Verteidigung und dem Erhalt einer „christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur“. Am Sonntag brachte Lutz Bachmann – effektheischend in einem Youtube-Video dokumentiert – ein neues Pamphlet an die Tür der Dresdner Kreuzkirche an (er hämmerte aber nicht wie Luther einst, sondern klebte mit Tesafilm). In diesem, nun „geltenden“ PEGIDA-Programm ist das „christlich-jüdische“ einfach ersatzlos gestrichen worden. Stattdessen will man nun, unter Punkt 1 „Schutz, Erhalt und respektvoller Umgang mit unserer Kultur und Sprache.“ Damit dürften Neonazis tatsächlich viel besser leben können. Es ist zu vermuten, dass PEGIDA nichts gegen den sächsischen Akzent hat, der in der Dresdner Region das Schriftdeutsch ersetzt, sondern gegen Anglizismen, den „Einfluss der Amerikaner“ auf „unsere Werte und die über Jahrtausende angewachsene Sprache der Deutschen“, wie es Neonazis umschreiben würden.

Asyl: Menschenwürdige Unterbringung? Gestrichen!

Der Satz, nachdem es „Menschenpflicht“ wäre, immerhin Kriegsflüchtlinge aufzunehmen, ist dem Rotstift dabei ebenso zum Opfer gefallen wie die Kritik an der Unterbringung von Flüchtlingen in „teilweise menschenunwürdigen Heimen“. Wohl nicht aus Platzgründen, denn an dieser Stelle steht jetzt, man würde Asylbewerber nur nach „Sozialprognose“ des Antragstellers und vor allem nach den „kommunalen Möglichkeiten“ überhaupt aufnehmen.

Um deren Betreuung sorgt sich PEGIDA nun auch offiziell nicht mehr. Relativ weit oben, unter Punkt 5 der „alten“ Positionspapiere, war noch die Sorge angeprangert, dass die „teils traumatisierten Menschen“ „faktisch keine Betreuung“ erhalten würden. Der Schlüssel, wonach 200 Asylbewerberinnen und Asylbewerber sich einen einzigen Betreuer „teilen“ müssen, sollte damals noch dringend nach oben korrigiert werden. Dieser ganze Abschnitt ist überhaupt nicht mehr aufzufinden – so stellt er sich als das Feigenblatt rassistischer Argumentationen heraus, das er schon immer war. Neu ist auch die offizielle Forderung nach einem „europäischem Verbund“, mit dem kaum die EU gemeint sein dürfte, der sich in „starken, souveränen Staaten“ erhebt. In Neonazi-Pathos würde dies „Europa der Vaterländer“ genannt werden. Meint dasselbe – und bedeutet in der Praxis vor allem, dass wir nicht mehr so einfach zu unseren Nachbarn aus Frankreich, Österreich und Tschechien etwa kommen können sollen – und vor allem die nicht mehr zu uns. Ein Rückschritt, der fatale Auswirkungen auf den innereuropäischen Frieden hätte.

Es gibt keine Bewegung außer PEGIDA: Wir gegen alle!

Etwas Platz war dann wohl noch auf der A4-Seite – und so hat man, ganz Wutbürger_innen-Bewegung, einfach noch die Themen angehängt, die sonst irgendwie systemkritisch scheinen, besonders aktuell sind oder die zumindest in anderen Regionen auch das Potenzial haben, mehr Wutbürger_innen auf die Straße zu bringen. „Frühsexualisierung“ wird dort nun plötzlich angeprangert. Seit mehreren Monaten gehen sogenannte „besorgte Eltern“ auf die Strasse, die Aufmärsche sind häufig homophob geprägt und werden auch von Rechtsradikalen besucht. Hier will man nun offensichtlich ebenso fischen wie bei Aktivist_innen gegen das Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft), die genau wie die von CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement)  und TISA (Trade in Services Agreement) nun ihren Platz auch bei PEGIDA in Sachsen finden sollen. Hier sorgt man sich dann um eine (gesamt-?)“europäische Selbstbestimmung“. Spätestens mit Begriffen wie „gegen jede Kriegstreiberei“ und der neu manifestierten bedingungslosen Solidarität mit der aktuellen russischen Außenpolitik soll sich auch der letzte Amerika-Hasser bei PEGIDA nun wohl fühlen können. Ob man damit lediglich der rasant gesunkenen Teilnehmer_innen-Zahl entgegenwirken will, sei dahingestellt. Funktionieren wird es nicht. Schon jetzt laufen bei PEGIDA und seinen Ablegern neben immer weniger Israel-Fahnen (in München war es meist nur eine) diejenigen, die Israel „von der Karte streichen“ möchten.

Wer noch immer denkt, über die Positionen von PEGIDA „könne man reden“ und man müsse, wie der Chef der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen, gar „PEGIDA die Herzen und Türen öffnen“, der darf sich gerne einmal auch das Parteiprogramm der NPD ansehen und dann die Herren und Damen zum Gespräch einladen. Vor allem der Anti-Amerikanismus und die Judenfeindlichkeit, denen mit dem neuen Programm nun auch inhaltlich keinerlei Riegel mehr entgegenstehen, dürfte das vorgeblich „Pro-Amerikanische“ und „Pro-Israelische“ Pflegeimage der deutschen Rechtspopulist_innen weiter in argumentative Bedrängnis bringen.

Das Phänomen ‚PEGIDA‘ ist ebenso schnell gewachsen, wie es geschrumpft ist – und sich radikalisiert hat. Bleibt zu wünschen, dass es ebenso schnell scheitert – am besten an den eigenen Inhalten.

Der Autor Felix Benneckenstein auf Facebook

Weiterlesen

3403949730_c305ae0a24_o

Studie Rassismus gegen Ostdeutsche?

Eine neue Studie will belegen, dass Ostdeutsche und Muslime ähnliche Diskriminierungserfahrungen erleben. Warum solche Vergleiche nicht funktionieren – ein Gastbeitrag.

Von|
FAP Artikelbild

Rechtsextreme Parteien Das Erbe der FAP

Die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) galt von den 1980er Jahren an bis zu ihrem Verbot 1995 als größtes militantes Neonazi-Netzwerk in Deutschland. Viele ehemalige Kader prägten später den bundesdeutschen Rechtsextremismus und sind auch heute noch aktiv, auch mit Verbindungen zur sogenannten „neuen” Rechten oder der rechtsextremen „Identitären Bewegung”. Eine Übersicht.

Von|
Eine Plattform der