Am 15. April wurde die ägyptische Gaststudentin Shaden M. im Cottbusser Stadtzentrum von einem Auto erfasst. Drei Tage lang lag sie mit schweren Kopfverletzungen auf der Intensivstation. Dann hatten die Ärzt*innen den Kampf um das Leben der jungen Frau verloren und schalteten die lebenserhaltenden Geräte ab. Ihre Verletzungen waren derart schwer, dass sich viele fragten, wie es auf einer sehr engen Fahrbahn in einer Tempo 30-Zone neben einer Straßenbahnhaltestelle zu einem derart schlimmen Unfall kommen konnte. Die Lokalzeitung berichtete: „Eine ausgelassene Nacht mit Freunden“ habe an diesem Karfreitag ein „tragisches Ende“ gefunden, „als die Frau unvermittelt auf die Berliner Straße trat, kam ein Auto und erfasste sie.“ Auch in einer Pressemitteilung der Polizei hieß es, die junge Frau habe plötzlich aus einer Personengruppe heraus die Fahrbahn betreten. Ein Staatsanwalt wird ebenfalls in der Zeitung mit der Aussage zitiert, der Autofahrer habe den Unfall nicht verhindern können, so der rbb.
Freunde, die mit der Studentin in jener Nacht unterwegs waren, sagten dem rbb, von einer „ausgelassenen Nacht“ habe keine Rede sein können. Den Unfall selbst schildert ein Zeuge wie folgt: „Wir hörten plötzlich hinter uns ein Auto beschleunigen. Es beschleunigte immer mehr. Shaden ging uns voraus. Der Wagen traf sie heftig. Sie landete auf dem Bürgersteig bei der Straßenbahnhaltestelle, und der Fahrer fuhr einfach weiter, ohne seine Geschwindigkeit zu verringern“.
Autoinsassen kehren zum Unfallort zurück, Beifahrer ruft rassistische Parolen
Ein weiterer Zeuge des Unfalls schätzt die Geschwindigkeit des Fahrzeugs auf etwa 60 bis 70 Stundenkilometer. Die Insassen des Tatfahrzeugs sollen nach dem Vorfall zu Fuß zum Unfallort zurückgekommen sein. Dass einer von ihnen dann auch noch angefangen haben soll, auf Migrant*innen zu schimpfen, habe der Zeuge direkt mitbekommen. Noch am gleichen Abend hat der Zeuge über WhatsApp eine Sprachnachricht an seine Freunde geschickt, in der er sagt: „Die Leute, die im Auto saßen, haben überhaupt keine Einsicht gezeigt. Sie haben gelacht und Sachen gesagt, wie: ‚Ja, die müssen halt gucken, die haben ja da zu Hause keine Straßen. Und die sollen sich in ihr Scheiß-Land verpissen…‘ und so was. So ne Sprüche rausgehauen, obwohl die grad ein Mädchen vielleicht tot gefahren haben.“
Auch die herbei gerufene Polizei hätte die rassistischen Rufe des Fahrers und seines Beifahrers wahrgenommen, so der Zeuge. Einer der Polizisten soll immer wieder gesagt haben: „Wir müssen jetzt hier den Unfall aufnehmen, und unsere Arbeit machen. Alles andere ist egal.“ Lange Zeit wird der Vorfall keinem breiten Publikum bekannt. Erst als eine junge Frau Flugblätter zur Tat verteilt, wird die Presse aufmerksam, berichtet rbb. Erst jetzt, durch den öffentlichen Druck beginnt die zuständige Staatsanwaltschaft auch wegen Beleidigung und Volksverhetzung zu ermitteln.
Im Prozess am Amtsgericht Cottbus hat nun auch ein Gutachten der Anklage ergeben, dass das Opfer mit großer Wahrscheinlichkeit überlebt hätte, wäre die vorgegebene Geschwindigkeit vom Fahrer des Wagens eingehalten worden. Laut Anklage soll Kilian S. mit einer Geschwindigkeit von etwa 50 Stundenkilometer unterwegs gewesen sein, als er Shaden M. im Bereich des Stadthallenvorplatzes erfasste.
Und auch die Richterin betonte, der Angeklagte hätte zwangsläufig Menschen wahrnehmen müssen. In ihrer Urteilsbegründung vom Montag, den 20. Januar, ging auch sie davon aus, dass der Autofahrer noch schneller gefahren sei. „Wir glauben, dass sie mehr als 50 Stundenkilometer gefahren sind“, zitiert sie die Sächsische.
Richterin ist „sehr erschüttert“ über die „Würdelosigkeit“ der Verteidigung
Während des Prozesses zeigte sich das Gericht „sehr erschüttert“ über die „Würdelosigkeit“, mit der die Verteidigung im Prozess aufgetreten sei. Eine Entschuldigung von Kilian S. bei den Hinterbliebenen des Opfers etwa habe sie „in hohem Maße“ vermisst, sagte die Richterin. Die Familie von Shaden M. war zur Urteilsverkündung nicht erschienen. Eine Freundin der Familie, sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Mutter habe nicht noch einmal die Kraft gehabt, nach Cottbus zu kommen. Sie sei bis heute nicht über den Tod der Tochter hinweggekommen, erzählte sie. Auch sie habe das Verhalten des Verteidigers als zynisch und respektlos empfunden.
Das Urteil lautet: Ein Jahr auf Bewährung
Der Angeklagte Kilian S. bekommt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung. Die Staatsanwaltschaft hatte nur acht Monate gefordert. Offenbar wenig beeindruckt durch den von ihm verursachten Tod an der jungen Frau sammelte Kilian S. zwei weitere Eintragungen ins Verkehrsregister nach der Tat – wegen Alkohols am Steuer und abermals wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Der heute 22-jährige Kilian S. muss binnen eines Jahres nun 200 Stunden in einer lebensrettenden Einrichtung absolvieren. „Das soll Sie noch lange daran erinnern, welche Schuld Sie auf sich geladen haben“, erklärt Richterin Dr. Marion Rauch. Dass der 22-Jährige zu einer Jugendstrafe und nicht nach Erwachsenenrecht verurteilt wurde, begründete das Gericht mit einem jugendtypischen Verhalten des Täters. Es sei nicht auszuschließen, dass „Imponiergehabe“ eine Rolle gespielt habe.
Die Staatsanwaltschaft hatte auch gegen den Beifahrer des angeklagten Autofahrers wegen des Verdachts der Volksverhetzung und Beleidigung ermittelt. Aus Mangel an Beweisen, dass rassistische und volksverhetzende Parolen gefallen seien, wurde dieses Verfahren eingestellt.
Anmerkung:
In einer früheren Version stand, dass auch der Fahrer rassistische Parolen gerufen haben soll. Laut Medienberichten habe sich aber nur der Beifahrer rassistische geäußert.