„Meilensteine“ kündigte Hans-Georg Maaßen vergangenen Donnerstag zu Beginn einer Pressekonferenz an. Darin stellten er und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) den Stand der Reformbemühungen um den Bundesverfassungsschutz (BfV) sowie die weiteren Pläne zum Umbau der Behörde an. Wer nun darauf setzte, tatsächlich diese buchstäblichen Meilensteine präsentiert zu bekommen, der wurde – fast schon erwartet – enttäuscht.
14 Punkte umfasst der Reformplan, den Maaßen und Friedrich als „großen Wurf“ bezeichneten. Bei genauerem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass sich dieser Wurf eher als eine Mischung aus heißer Luft, Selbstverständlichkeiten und Klein-Klein zusammensetzt. Hier eine Auswahl der Punkte:
„Priorisierung: Das BfV konzentriert sich stärker auf das Wesentliche seines gesetzlichen Beobachtungsauftrags, in dem es seinen Fokus auf die Gefährlichkeit der Bestrebungen richtet.“
Mit anderen Worten: Je stärker eine Gruppierung in Verdacht steht, gewaltbereit zu sein, umso intensiver soll sie künftig vom BfV überwacht werden. Dieser Fokus soll die Effizienz der Behörde steigern – ist aber eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Je gefährlicher eine Gruppierung, desto stärker die Überwachung kann nicht als neuer großer Wurf verkauft werden.
„Informationsaustausch der Sicherheitsbehörden: Mit der Einrichtung des ‚Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums‘ (GETZ) am 15.November 2012 wurde eine neue Kommunikationsplattform für einen effektiveren Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz von Bund und Ländern für die Phänomenbereiche Rechts-, Links- und Ausländerextremismus sowie Proliferation und Spionageabwehr geschaffen.“
Zur Erinnerung: Als Reaktion auf das Versagen beim NSU-Terror richtete Innenminister Friedrich das „Gemeinsame Abwehrzentrum Rechtsextremismus“ (GAZ) ein – nach weniger als einem Jahr macht er daraus das GETZ, dessen Auftrag nun nicht mehr nur Rechtsextremismus umfasst, sondern auch „Linksextremismus, Linksterrorismus, Ausländerextremismus, Spionage und Proliferation“. Der Umbau erfolgte ohne Beteiligung des Parlaments und gegen den Protest einzelner Bundesländer. In der Reformbroschüre des BfV heißt es, dass alle Länder sich aktiv am GETZ beteiligen würden und „gut zusammen“ arbeiten würden. Doch die Länder zeigten sich nach der Präsentation der Reformpläne eher verstimmt: Denn Friedrich besteht darauf, dass das BfV künftig auch dann bei bestimmten Anlässen in Bundesländern ermitteln kann, wenn diese es nicht ausdrücklich erlauben. Für die Länder eine Einmischung in ihre Kompetenzen. Wie „gut“ die Zusammenarbeit vor diesem Hintergrund wirklich läuft, bleibt abzuwarten.
„Einsatz von V-Leuten: Der Verfassungsschutzverbund und die Innenministerkonferenz haben die Einrichtung einer zentralen ‚V-Leute-Datei‘ beim BfV beschlossen sowie deren Inhalte festgelegt.“
Neben der Zentraldatei soll es neue Standards zum Führen der V-Leute geben: So sollen solche, die schwere oder schwerste Straftaten begangen haben, nicht mehr in Frage kommen. Außerdem sollen die behördeninternen Führungsbeamte der V-Leute alle fünf Jahre ausgewechselt werden, damit keine Freundschaften entstehen. Ein weiterer Punkt: Die Entlohnung der V-Leute soll nicht mehr als Lebensunterhalt reichen. Erst vor kurzem waren die horrenden Honorare bekannt geworden, die mancher Spitzel für seine Tätigkeit erhielt.
Alles in allem ändert sich aber an der grundsätzlichen V-Mann-Problematik nichts.
„Cyber- und IT-Kompetenz: Das BfV stellt sich der wachsenden Bedeutung der Felder Cybermobilisierung, -terrorismus, -sabotage und -spionage.“
Hierfür soll dieser Bereich personell aufgestockt werden, ein „umfangreiches IT-Konzept zur technischen Modernisierung“ gebe es bereits – und das ist bitter notwendig. Denn erst vor kurzem hatte das BfV damit Schlagzeilen gemacht, dass jeder dritte Mitarbeiter keinen Internetzugang hat. Und das obwohl die Erkenntnis, dass Rechtsextreme das Netz hochprofessionell und rege zur Mobilisierung, Vernetzung und Rekrutierung nutzen, nicht neu ist. Insofern ist die Stärkung der Cyber-Kompetenz eine längst überfällige Selbstverständlichkeit.
„Verzahnung von Auswertung und Beschaffung: Die Zusammenarbeit von auswertenden und operativen Arbeitseinheiten wird optimiert. Schon jetzt arbeiten beide Bereiche bei der Beobachtung bestimmter extremistischer Organisationen im Rahmen von Pilotprojekten zielorientierter zusammen, um eine optimale Organisationsstruktur für eine enge Kooperation zu finden.“
„Pilotprojekte“, „Zieloptimierung“, „optimale Organisationsstruktur“: Die Begriffe, die in der Broschüre zur BfV-Reform verwendet werden, klingen mehr nach Unternehmensberatung als nach einer tiefgreifenden Neuausrichtung. Statt tatsächlich den Umbau der Behörde anzugehen, verbergen Marketingbegriffe, wie wenig sich wirklich ändert.
„Qualitätssicherung in der Auswertung: Seit dem 1. Juli 2013 ist die ‚Fachprüfung Auswertung‘ im Einsatz. Sie berät die Fachabteilungen und überprüft die Einhaltung neuer Qualitätsstandards bei den auswertenden Arbeitseinheiten im BfV. Die Taten des NSU wurden damals von den Sicherheitsbehörden falsch eingeordnet und gezogene Schlussfolgerungen unzureichend hinterfragt. Die neue Beratungs- und Kontrollinstanz soll daher auch ‚quer denken‘, bereits Selbstverständliches kritisch hinterfragen, ungewöhnliche Denkansätze nutzen und der Auswertung neue Impulse geben. Ihre Tätigkeit dient dazu, zukünftig Fehlinterpretationen zu vermeiden.“
Besonders stolz zeigten sich Maaßen und Friedrich über die neue „Querdenker“-Gruppe. Nicht ausgeführt wurde allerdings, wer zu dieser neuen Beratungs- und Kontrollinstanz gehören wird. Hinzu kommt: Wirklich neu ist dieses Konzept nicht. So erklärte etwa André Schulz, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, gegenüber „n-tv„, solche Querdenker seien seitjeher gängige Praxis bei Ermittlern und Kriminalpolizei: „Das zieht sich wie eine rote Linie durch alle Maßnahmen.“
„Handlungssicherheit beim Umgang mit Akten: Die internen Vorschriften zur Verwaltung von Daten und Akten werden vereinheitlicht und in ihrer Anwendung erleichtert.“
Künftig sollen eigens ernannte Aktenvernichtungsbeauftragte das Schreddern von Unterlagen genehmigen – auch das ein längst überfälliger Schritt, nachdem im Zuge der Aufarbeitung der NSU-Mordserie immer wieder über geschredderte Akten berichtet wurde.
„Parlamentarische Kontrolle und Transparenz: Die Amtsleitung des BfV unterrichtet intensiv und proaktiv die parlamentarischen Gremien. Mit einer aktiven Pressearbeit und intensivierten Öffentlichkeitsarbeit werden Arbeitsweise, Arbeitsinhalte und Erfolge modern und zielgruppengerecht u.a. mit Publikationen (Print und Online) sowie Ausstellungen dargestellt.“
Das schlechte Bild, das das BfV derzeit in der Öffentlichkeit hat, ist wohl der Auslöser für diesen Reformpunkt: Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit soll verstärkt und vor allem verbessert werden. Was sich das BfV allerdings unter einer „modernen“ und „zielgruppengerechten“ Ansprache vorstellt, wird sich noch zeigen.
Fazit
Nicht zuletzt das Versagen des Bundesverfassungsschutzes und anderer Sicherheitsbehörden im Fall des NSU hat gezeigt, woran es wirklich krankt: an eingefahrenen Denkmustern, der Scheuklappen-artigen Mentalität, mangelnder Flexibilität und Selbstkritik. Ebenso wurden Erkenntnisse, über die zivilgesellschaftliche Gruppen schon lange verfügen, ignoriert oder abgelehnt. Kein Wunder also, dass ein vollkommener Neustart des BfV gefordert wurde. Doch dieser ist nicht in Sicht. Stattdessen verkaufen Friedrich und Maaßen einen Reform-Plan als „großen Wurf“, der doch eigentlich nicht mehr ist als ein Stückwerk aus Wortblasen, längst überfälligen Maßnahmen und Tippelschritten. Ein Reförmchen, das weder etwas an der Mentalität der Behörde ändert noch eine wirkliche Neuausrichtung in Gang setzt. Chance vertan.
Weitere Informationen im Netz
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