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Eine Erinnerung an den 25 Jahre zurückliegenden mörderischen Brandanschlag in Solingen

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Am 28.05.2018 wurde in Solingen der Opfer des rechtsextremen Brandanschlags gedacht. (Quelle: U. Schmidt)

 

 

600 Menschen erinnerten am 28. Mai in Sollingen in einer Kundgebung an diesen 25 Jahre zurückliegenden Mordanschlag, dem fünf Solinger Menschen zum Opfer fielen. In mehreren Redebeiträgen wurde der gesellschaftlichen Rassismus benannt und die dubiose Rolle des Verfassungsschutzes hierbei beleuchtet: Die Kampfsportschule, in der drei der vier Solinger Täter trainierten, wurde von einem V-Mann des Verfassungsschutzes betrieben.

Vor dem ehemaligen, niedergebrannten Haus der Familie Genc erinnern fünf Bäume an die Ermordeten. In einer Schweigeminute sowie in mehreren Ansprachen wurde an die heimtückische Mordtat erinnert.

Politisch und menschlich völlig unerträglich war hingegen der Auftritt der stalinistischen und „antizionistische“ Sekte MLPD, die mit 25 Leuten sowie einer Lautsprecheranlage erschienen war. Sie versuchten, den Solinger Mord für ihre abstruse „antizionistische“ Sekte zu instrumentalisieren. Obwohl bereits im Vorfeld von den Organisatoren eindeutig erklärt wurde, dass keinerlei Parteien und Nationalfahnen erwünscht sind, setzte sich der sektiererische, strikt zentralistisch organisierte Gelsenkirchener Familienbetrieb einer 0,1 Prozent Partei mit ihrem Lautsprecher immer wieder hierüber hinweg. Ein würdevolles Gedenken sieht anders aus. Obwohl die Veranstalter und 95 Prozent der Demonstranten das MLPD-Gebahren unterbinden wollten, setzte erst der laute Einsatz von Musik durch den Demo-LKW dem Tun ein Ende. 

Der Grüne Politiker Volker Beck hatte vor der letzten Bundestagswahl ein Verbot der MLPD angeregt unter Verweis darauf, dass auch die terroristische PFLP als Teil von deren „internationalistischen Bündnis“ aufgeführt wurde. Volker Becks Skandalisierung war übrigens auch juristisch erfolgreich: „Ich kann nun wieder unbekümmert die Kumpanei der MLPD mit der Terrororganisation PFLP offen kritisieren“, freute sich Volker Beck Ende 2017 nach einem entsprechenden Urteilsspruch (vgl. taz). 

Spätestens nach diesem erneuten Eklat ist ein linker Konsens darüber notwendig, dass das Erscheinen dieser stalinistischen, antidemokratischen Sekte MLPD zukünftig nicht mehr bei linken Demonstrationen geduldet wird. 

 

Wir dokumentieren nachfolgend die auf der Kundgebung gehaltene Rede der Initiative „Keupstraße ist überall“.

 

Die Initiative „Keupstraße ist überall“ unterstützt Überlebende und Betroffene des Nagelbombenanschlags, der am 9. Juni 2004 von den Mitgliedern des NSU auf die vorwiegend von Migrant*innen bewohnte Kölner Keupstraße verübt wurde.Durch diesen geplanten Massenmord wurden allein 23 Menschen teilweise schwer verletzt und unzählige traumatisiert. Es ist nur einer Reihe von Zufällen zu verdanken, dass niemand getötet wurde. Die Überlebenden leiden bis heute an den Folgen des Anschlags, die sowohl aufgrund körperlicher als auch psychischer Auswirkungen den Lebensalltag der meisten stark beeinträchtigen.

Dieses durch den Anschlag verursachte Leid ist nicht das Einzige Leid, das sie beklagen. Nein, sie klagen auch das an, was ihnen im Nachgang widerfahren ist – in den sieben Jahren danach, bis zum Auffliegen des NSU und dem Bekanntwerden der wahren Täter*innen: den institutionellen Rassismus. Dieser äußerte sich u.a. in Form von rassistischen Ermittlungsmethoden, durch die sie jahrelang z.B. von Ermittlungs- und Finanzbehörden schikaniert und stigmatisiert wurden. Dadurch wurden sie letztendlich von Opfern zu Täter*innen gemacht. Dieser von den staatlichen Behörden bis heute geleugnete institutionelle Rassismus zeigte seine hässliche Fratze nicht nur während der Ermittlungen gegen die Überlebenden der Keupstrasse. Er äußerte sich auch bei den Ermittlungen zum Anschlag auf ein von einer iranischstämmigen Familie geführtes Lebensmittelgeschäft in der Kölner Probsteigasse im Januar 2001 und bei den 10 Morden des NSU. 9 der Ermordeten hatten eine Zuwanderungsgeschichte.

Hierzu möchte ich aus dem Plädoyer von Arif S., einem Überlebenden des Anschlags, zitieren, das dieser im Rahmen der Plädoyerphase vor dem OLG in München gehalten hat, wo seit 5 Jahren der Prozess gegen lediglich 5 Mitglieder und Unterstützer*innen des NSU geführt wird: „Die Keupstraße ist eine Straße in Köln, sie ist ein Ort, der zu Köln gehört, eine Straße dieses Staates. Und aus diesem Grund hat der Staat sich um uns zu kümmern. Wir zweifeln an der Justiz, an Gerechtigkeit und an Gleichheit, an der Demokratie eines Staates, der sich nicht um uns kümmert.“

Der in Deutschland grassierende Rassismus und die Gewalt der extremen Rechten haben eine ungebrochene Kontinuität in diesem Land, die uns Migrant*innen nicht erst seit 25 Jahren entgegenschlägt. Es stimmt uns zutiefst traurig, dass sich in der Gesellschaft offensichtlich nicht viel geändert hat und Neo-Nazis wie die des NSU nach Solingen, Mölln und Rostock weiterhin unbehelligt morden und Anschläge verüben können. Insbesondere am heutigen Tag, bei diesem wichtigen Gedenken an die von Nazis ermordeten 5 Frauen und Mädchen, ist der Schmerz darüber, dass diese Menschen aufgrund von Hass nicht mehr unter uns sein können, sehr groß. Aber natürlich können wir uns nur ansatzweise vorstellen, welche Trauer und welches Leid die Angehörigen erleben mussten und sicherlich auch noch müssen. Unsere Gedanken sind bei ihnen.

Die unreflektierte Haltung der staatlichen Institutionen bezüglich Rassismus und Neofaschismus in Deutschland hat ihre Wurzeln in einem flächendeckenden strukturellen Rassismus innerhalb der Gesellschaft. Dies ist der Nährboden, der nach Morden und Anschlägen von Neonazis dazu geführt hat, dass die Angehörigen der Ermordeten von staatlichen Ermittlungsbehörden kriminalisiert und leider auch von großen Teilen der Gesellschaft allein gelassen wurden. Dies haben die Menschen von der Keupstraße treffend als „Anschlag nach dem Anschlag“ bezeichnet. Auch Mevlüde Genç hat sich dazu geäußert, als Zweifel durch z.B. eine gefälschte eidesstattliche Erklärung an der Täterschaft des Brandanschlags gestreut und durch die Medien weiterverbreitet wurden. Sie sagte damals „Sie haben dafür gesorgt, dass meine Familie ein zweites Mal verbrannt wurde.“

Das mangelnde Interesse der Öffentlichkeit, die Verbreitung von Vorurteilen durch die Medien, in Form von Schlagzeilen wie „Die Mauer des Schweigens“ oder „Döner-Morde“ hatten zur Konsequenz, dass es einen Riss durch die Gesellschaft gab, der bis heute nachwirkt und das Zusammenleben belastet. Dieser Vertrauensverlust ist etwas, das wieder gut gemacht werden muss. Die Verantwortung hierfür liegt nicht bei den Angehörigen der Mordopfer oder den Überlebenden der Anschläge. Sie liegt bei denjenigen, die weggeschaut haben, die Vorurteile bereitwillig geschluckt haben und dadurch das Feld denen überlassen haben, die kein Interesse an einer umfassenden Aufklärung haben – nämlich den staatlichen Institutionen.

Bis heute gibt es nicht den notwendigen Druck der Öffentlichkeit, der eine Offenlegung der Verstrickung staatlicher Behörden wie der Verfassungsschutzämter fordert, die mit ihrer V-Leute-Praxis maßgeblich dafür verantwortlich waren, dass weitere Morde des NSU nicht nur nicht verhindert wurden, sondern durch Steuergelder u.a. in Form von V-Leute-Gehältern mitfinanziert wurden. Auch nach 2011 wurde dieser Kurs beibehalten. Akten, die erforderlich für die Aufklärung waren, wurden geschreddert, Aussagegenehmigungen verweigert und die Dimension des NSU-Netzwerks kleingeredet. Verharmlosende Formulierungen wie „Pannen“ und Behauptungen wie „Ich kann mich nicht mehr erinnern“ waren die wohl am häufigsten zu hörenden Aussagen von Zeug*innen, die stellvertretend für ihre Behörden in Untersuchungsausschüssen und während des Prozesses am OLG „aussagen“ durften. Dies spiegelt eine maßlose Respektlosigkeit gegenüber den Angehörigen der Ermordeten und Betroffenen wider und ist an Zynismus kaum zu übertreffen.

Aber dennoch gipfelt diese Methode im derzeit noch laufenden Prozess gegen die 5 Angeklagten am OLG in München. In diesen Prozess hatten die Familien der Mordopfer und die Überlebenden der Anschläge anfangs viel Hoffnung gesteckt und erwartet, dass hier ihre drängenden Fragen beantwortet und die Taten und das Netzwerk des NSU und die Verstrickungen des Staates aufgeklärt werden. Aber das Gericht hat von Anfang an klar gemacht, dass dieser Wunsch und diese Forderungen nicht das Ziel des Prozesses sind. Bei diesem Prozess sollen nur die 5 Angeklagten verurteilt werden, die Fehlleistungen des Staates stehen hier nicht vor Gericht. Auch weitere Mitglieder und Unterstützer*innen des NSU anzuklagen bzw. zu hören, hat das Gericht torpediert, trotz zahlreicher Beweisanträge der Nebenklage-Anwält*innen, die zum größten Teil abgelehnt wurden.

Hierzu ein weiteres Zitat von Arif S.: „Überall, wo ich hingehe, spaziere, herumlaufe, bin ich immer noch in Furcht, denn solange die wahren Täter nicht gefasst und der Justiz übergeben worden sind, werden meine Ängste weiterbestehen. Solange der Staat ihnen Toleranz entgegenbringt, werden sie ungestört tun und lassen, was sie wollen. Für mich sind alle, die in ihren Organisationsstrukturen sind, schuldig und sollten bestraft werden.“

Wir fragen uns, welches Signal geht von solch einer Methode der zur Aufklärung verantwortlichen Institutionen an die Gesellschaft aus? Sicherlich nicht das notwendige Signal, dass alle extrem rechten Täter*innen für Ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Und sicherlich auch nicht, dass endlich in Deutschland eine breite, öffentliche Debatte über Rassismus und Neofaschismus geführt wird. Nein, Deutschland möchte nach Außen z.B. das Motto der WM 2006 „Zu Gast bei Freunden“ propagieren und ist lediglich daran interessiert, seinen Ruf als vermeintlich antirassistisches und wirtschaftlich attraktives Land zu verteidigen. Aber davon sind wir, insbesondere aufgrund der derzeitigen politischen Entwicklungen, weit entfernt und ehrlich gesagt, waren wir auch nie in der Nähe davon.

Um diesem Bild auch nur ansatzweise näher zu kommen, müssen wir das gesellschaftliche Versagen gerade auch in Bezug auf die Mordserie und die Anschläge des NSU, überwinden und gesellschaftliche Gegenpositionen entwickeln. Der Impuls zur Bekämpfung von Rassismus wird nicht aus der Politik kommen, die Politik wird erst handeln, wenn wir sie gemeinsam durch unsere Präsenz und durch öffentlichen Druck dazu zwingen. Wenn wir uns nicht gegeneinander aufhetzen lassen und uns allzu dummen und simplen Erklärungsmodellen, die den Hass und die Hetze befeuern, solidarisch entgegenstellen. Erst wenn wir hinterfragen, wem diese Angstmacherei vor Migration und Pluralität eigentlich dient werden wir in der Lage sein, den kontinuierlich wachsenden Rassismus zurückzudrängen. Dann werden wir uns vielleicht nicht mehr fragen, warum Rassist*innen und Neonazis derzeit so viel Zulauf erhalten.

Daher appellieren wir an euch, unterstützt die Überlebenden und Betroffenen in ihrem mutigen Kampf für eine umfassende Aufklärung, seid gemeinsam mit ihnen so laut, dass ihre Forderung nach Gerechtigkeit nicht ungehört bleibt. Die nächste Möglichkeit hierzu werdet ihr bei der nahenden Urteilsverkündung im sogenannten NSU-Prozess haben. Lasst uns alle gemeinsam nach München fahren und dort ein Zeichen setzen – gegen Rassismus und Faschismus!

Keupstraße ist überall, Solingen ist überall – her yer Keupcaddesi, her yer Solingen!!!

 

Hintergründe:

Der Rechtsextremismus-Experte Anton Maegerle hat die Hintergründe dieses 25 Jahre zurückliegenden Mordanschlages im Beitrag „Ein V-Mann und die Neonazis“ im Blick nach Rechts aufgearbeitet: Der WDR hat eine Dokumentation – „25 Jahre Brandanschlag Solingen: Die Lücke bleibt“ – erstellt: https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/morgenecho/serien/solingen-104.htmlEine weitere eindrückliche WDR-Dokumentation zeichnet die Hintergründe des heimtückischen Mordes nach: https://www.youtube.com/watch?v=92nQCne9dHI&t=2601sKennzeichen D brachte bereits am 16.6.1993 einen Hintergrundbeitrag über die Solinger Kampfsportschule „Hak Pao“ (Schwarze Panther): https://www.youtube.com/watch?v=XZMa8A6Lba0

 

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