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Eine Lehrerin erzählt, wie sie und ihre Kolleg/innen Abschiebungen aus der Schule verhindern

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Demo gegen Abschiebungen nach Afghanistan in Frankfurt am Main im Januar 2017 (Quelle: Flickr / Sebastian Scholl / CC BY-NC-ND 2.0)

Was passiert mit Mitschüler_innen und Lehrer_innnen, wenn plötzlich Menschen aus ihrer Mitte von der Polizei abgeholt und abgeschoben werden sollen? Lehrer_innen dürfen als Beamte eine Abschiebung eigentlich nicht verhindern. Allerdings gibt es auch Beispiele, in denen die Treuepflicht gegenüber dem Staat anders ausgelegt wird.

Wir haben uns mit einer Lehrerin aus einem sogenannten Berliner „Problembezirk“ unterhalten. Seit 15 Jahren ist sie Lehrerin, vorher hat sie als Streetworkerin und in der Jugendhilfe gearbeitet. Ihre Schule hat einen Anteil von 93 Prozent Schülern nichtdeutscher Herkunft. Viele davon sind potenziell von Abschiebungen bedroht. Aber es gibt ein Netzwerk, das versucht zu verhindern, dass es soweit kommt. Die meisten Erfahrungen hat sie vor ein paar Jahren gemacht, als Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien verstärkt von Abschiebungen betroffen waren.  Sie will anonym bleiben, ihr Name ist der Redaktion bekannt.

Belltower.News: Wie läuft es in deiner Schule ab, wenn eine Schüler_in abgeschoben werden soll?

Wir haben einen Notfallplan. Wenn die Ausländerbehörde tatsächlich kommt, ist die Schulleitung verpflichtet Auskunft zu geben. In dem Moment, wenn die Beamten das Sekretariat verlassen haben, hat die Sekretärin den jeweiligen Lehrer im Klassenraum angerufen, der oder die hat dann die betroffenen Schüler_in über einen anderen Ausgang rausgelotst. Wir waren immer ein paar Sekunden schneller als die.

Wie läuft das denn genau ab?

Die Beamt_innen – in der Regel ist das eine Mitarbeiter_in des Ausländeramtes und zwei Polizist_innen – gehen erstmal ins Sekretariat, weil da ja die Schülerliste liegt. Meistens haben sie nur den Namen und vielleicht noch die Klasse. Die Sekretärin muss dann erstmal diese Liste durchgehen, in der alle Schüler alphabetisch aufgelistet sind. Die Suche kann natürlich lange dauern. Es gab auch den Fall, dass der Schulleiter den Namen gehört hat und dann was sehr dringendes in seinem Büro erledigen musste. Der hat dann natürlich schon bei der Klassenlehrerin angerufen. Die Sekretärin hat dann – sehr sorgfältig natürlich und deswegen vielleicht ein bisschen langsam – diese Liste durchsucht. Vielleicht musste sie auch nochmal nachfragen, weil sie bei so einem nichtdeutschen Namen nicht genau weiß, wie man den schreibt. Das dauert alles. In unserer Schule gibt es mehrere Sozialpädagogen, die man auch noch anrufen kann, wenn die Lehrer_innen nicht erreichbar sind oder man ruft direkt im Lehrerzimmer an und schickt von dort aus jemanden in die Klasse. Das muss auch alles keine Absicht sein. Es kann passieren, dass ein Teil der Klasse gerade in einem anderen Raum ist. Die Beamt_innen durchsuchen nicht die Schule und die wissen auch nicht, wie der- oder diejenige aussieht. Viele Schüler_innen haben entweder keinen Ausweis oder ihn nicht dabei. In diesen Situationen würde keine der anderen Schüler_innen petzen. Das haben wir ein paarmal gemacht und dann haben sie’s aufgegeben, weil es offenbar an unserer Schule nicht funktioniert.

Gibt es auch ein größeres Netzwerk mit anderen Schulen?

Nein, das liegt aber auch daran, dass es eine Gratwanderung für die Schulleiter_innen ist. Es gibt auch welche, die Notlügen erfinden und sagen, dass die Klasse zum Beispiel an dem Tag gerade außer Haus ist. Die meisten von uns sind Beamte und als solche eben auch Staatsdiener. Streiken dürfen wir nicht und wir dürfen uns auch eigentlich nicht gegen solche Aktionen wehren. Deswegen kann man sich schlecht vernetzen. Es geht wirklich nur intern. Jede Schule muss selber versuchen, das zu verhindern oder zumindest, dass es an der Schule passiert. Wir haben damals einen offenen Brief geschrieben und viele Schulen haben darauf reagiert und sich angeschlossen. Wichtig ist, dass man klar macht, was man den Kindern antut und auch den Lehrern.

Die Ausländerbehörde sagt vorher nicht Bescheid, dass sie kommen?

Nein, die stehen einfach im Sekretariat.

Wie ist das, wenn Schüler_innen außerhalb der Schulzeit abgeschoben werden? Erfahrt ihr das?

Nein. Die kommen einfach nicht mehr. Wir telefonieren hinterher. Niemand meldet sich, Wir schreiben Schulversäumnisanzeigen – in den Fällen sind die eigentlich überflüssig, in Berlin gibt es keine Schulpflicht für Kinder ohne gesicherten Aufenthaltsstatus – aber uns sagt niemand was. Die Kinder sind natürlich gut vernetzt und erzählen dann irgendwann, dass die Familie weg ist. Wir zählen dann eins und eins zusammen. Manchmal erfahren wir es auch von verwandten Kindern. Aber von den Behörden bekommen wir überhaupt keine Information. Die Vernetzung der Behörden funktioniert da überhaupt nicht.

Wie erklärt man so eine Abschiebung aus dem Klassenzimmer den anderen Schülern?

Bei den Beispielen, die jetzt durch die Presse gegangen sind, gab es immer viele deutsche Mitschüler_innen und denen das zu erklären, ist schon schwierig. Aber wie soll ich das an einer Schule wie unserer machen? Jede Schüler_in, die das mitkriegt, weiß: der oder die kommt aus dem gleichen Land wie ich, hat den gleichen Status wie ich, das kann mir jederzeit auch passieren. Darüber denken die Behörden überhaupt nicht nach. Was ist das auch für eine Motivation? Die Kinder denken doch, ‚Wenn ich dahin gehe, kann ich abgeholt werden.‘ Manche von denen wollen direkt nach Hause zu ihren Eltern, weil sie Angst haben, dass die plötzlich auch weg sind. Viele reagieren damit, dass sie die Schule schwänzen. Die merken, dass das Klassenzimmer kein geschützter Raum mehr ist. Die Motivation zur Schule gehen ist gleich null.

Du bist gut vernetzt und hast auch Lehrerfortbildungen gemacht, bei denen Abschiebungen immer wieder Thema waren.

Die Lehrer_innen wussten überhaupt nicht, wie sie damit umgehen sollten. Manche sind krank geworden dadurch. Das hinterlässt eben nicht nur Spuren bei den Kindern, sondern auch bei den Lehrer_innen. Man hat ein schlechtes Gewissen und es nagt an einem. Viele Eltern fragen uns, warum wir der Ausländerbehörde überhaupt sagen, wo die Kinder sind. Müssen wir aber, weil wir uns strafbar machen, wenn wir das nicht tun. Deswegen sind wir mit dem Notfallplan ja auch immer mit einem Bein im Knast. Die Schulleitung ist verpflichtet, Auskunft zu erteilen. Ich habe jetzt gerade ein zehnte Klasse und die haben gefragt, was an der Schule passieren würde, wenn es zu so einem Fall käme. Denen habe ich von dem Plan erzählt.

Wie geht man damit persönlich um?

Ich frage mich, wenn ich in der Zeitung lese, dass Kinder aus der Schule abgeholt werden, weil man keine Nacht und Nebel-Aktionen machen will, ob es sonst keine anderen Tageszeiten gibt. Muss das in der Schule sein, wo noch 20 Kinder im Raum sind? In manchen Schulen gehen nicht die Polizei oder die Leute aus der Ausländerbehörde in den Raum, sondern die Schulleiter_in. Aber so oder so muss ich ja trotzdem in den nächsten Tagen erklären, warum er oder sie nicht mehr wiederkommt. Ich erkläre den Kindern, dass ich mit der Politik nicht einverstanden bin, aber nichts dagegen tun kann. Außer eben das, was wir praktizieren. Wir können die Abschiebung natürlich nicht verhindern, aber zumindest in der Schule. Schule sollte ein geschützter Raum sein, zumal gerade in den Grundschulen viele, viele Kinderseelen dadurch kaputt gemacht werden.

Titelbild oben: Flickr Sebastian Scholl / CC BY-NC-ND 2.0

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