Seit im April 2022 vier Männer als Führungsteam der Gruppe der „Vereinten Patrioten“ verhaftet wurden, ist viel über die Gruppe geschrieben worden, die sich unter anderem über Telegram-Chats organisierte. Sie wollten mit Angriffen auf die Stromversorgung einen „Tag X“ provozieren, den Tag des Sturzes der Bundesregierung. Sie wollten Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, Hassfigur der rechtsextremen und Coronaleugner*innen-Szene zugleich, entführen, Deutschland „mit Blut tränken“ und vieles mehr. Berichtet wurde über Thomas O., Sven B., Michael H. und Thomas K., über den Unterstützer*innen-Kreis von rund 70 Gruppenmitgliedern. Aber nie über eine 75-jährige Reichsbürgerin als zentrale Figur der geplanten Gewalt. Und so überraschte die gestrige Mitteilung des Generalbundesanwaltes, Elisabeth R. sei festgenommen worden, „als Rädelsführerin an einer terroristischen Vereinigung beteiligt zu haben (…). Daneben wird ihr die mittäterschaftliche Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund zur Last gelegt.“ (vgl. GBA). Wie das bei vielen Menschen ankam, fasst vielleicht die BILD-Schlagzeile dazu zusammen: „Die Terror-Oma mit dem Kartoffelsack“ (in dem transportierte sie ihre Habseligkeiten ins Gefängnis). Das Foto des Artikels zeigt eine drahtige Frau mit weißhaarigem Pagenkopf, zwei Spängchen halten die Haare aus dem Gesicht. Verhaftet wurde sie in Flöha in Mittelsachsen, die lokale Boulevardzeitung Tag24 berichtet von ihrem „hübschen Häuschen“, viel Holz, mit Türmchen. Ja, die „Rädelsführerin einer terroristischen Vereinigung“ stellen sich Menschen vielleicht anders vor.
Laut Generalbundesanwalt war Elisabeth R. Teil des „administrativen“ Teils der „Vereinten Patrioten“, rekrutierte gleichgesinnte Unterstützer*innen, die sie vor der Anwerbung interviewte, verfasste „Schriftstücke“ für geplante Aktionen – so weit, so gendertypisch. Rechtsextreme Frauen haben oft Unterstützer*innen-Rollen, helfen dem gewalttätigen Kampf der Männer. Elisabeth R. war allerdings auch gemeinsam mit den bisher als Anführern gehandelten Thomas O. und Sven B. in die Besorgung von Waffen und Sprengstoff eingebunden. Außerdem ermutigte und beschleunigte sie die Terrorvorbereitungen, forderte die rasche Umsetzung, bot konkrete Terminvorstellungen an.
Wer zu Elisabeth R. zu recherchieren beginnt, stellt schnell fest: So klandestin sind ihre politischen Bestrebungen nicht. Online sind diverse Schriften zu finden, Briefe an die US-Regierung, die vereinten Nationen und an die Russische Föderation, alle im Namen von „Bundesstaat Preußen – Präsidialstaat Deutsches Reich 1871; in militär. Befehlshabe ernannter Staatsrath (Verf. 1871, Art. 68: Preuß. Ges. 4. 6. 1851)“, mit einer Adresse in Berlin, die Protonmail-Emailadresse lautet „Königreich Preussen“. Veröffentlicht sind sie, natürlich passenderweise, auf einem Blog aus dem Reichsbürger-Spektrum. Elisabeth R. heißt hier „Frau Prof. Dr. theol. habil. Elisabeth R.“. Der Blog gibt an, die Briefe 2021 von „Dr. med. Rigolf Hennig“ bekommen zu haben, „ehemaliger Präsident Freistaat Preußen, jetzt Rath-Bundesstaat Königreich Preußen-Präsidialstaat DR“. Der ist nicht nur ein gerichtsbekannter Reichsbürger, ehemaliger NPD-Politiker, und Holocaustleugner. Im März 2022 ist er gestorben, online publik gemacht hat seinen Tod der bekannte Neonazi Thorsten Heise (vgl. t-online).
Reichsbürger*innen, die die rechtmäßige Existenz der Bundesrepublik Deutschland anzweifeln und sich Kaiserreiche zurückzuwünschen, sind oft kreativ mit den Titeln, die sie sich geben. Im Fall von Elisabeth R. sind die gegebenen Titel aber offensichtlich berechtigt: Es gab bei der 75-Jährigen ein Leben, in dem war sie evangelische Theologin, Mediatorin, Theologie-Professorin an der Universität Mainz. Sie hat nicht-rechte Bücher geschrieben und vier Kinder bekommen. Es gibt aber auch das Leben, in dem sie ebenfalls viele Bücher und „Schriften“ geschrieben hat, bloß waren das politische Bücher voller Antisemitismus, Antiamerikanismus oder Reichsbürger-Ideologie, manchmal verkauft als „Lebenswichtiges im Hauch von Poesie – im info-lyrischen Stil“. Viele der Bücher sehen bereits einschlägig aus, mit Runen als Illustrationen auf dem Titel, andere wahren noch einen seriösen Eindruck, zumindest auf dem Einband. Eines ihrer Bücher ist auch über den rechtsextremen Antaios-Verlag zu beziehen, derzeit aber vergriffen. In der Reichsbürger-Szene ist Elisabeth R. bekannt, wenn auch nicht unumstritten, wie Telegram-Chats zeigen, in denen darum gestritten wird, welches „Deutsche Reich“ denn wieder eingesetzt werden solle. Die meisten möchten zurück in den „Ewigen Bund“ des „Deutschen Kaiserreichs“ von 1871 – denen erscheint Elisabeth R. zu „preussisch“ und damit zu Kaiser-feindlich. Das zeigt ein Telegram-Chat von Menschen, die sich für eine „Reorganisation des deutschen Indigenats zur Wiederherstellung der staatlichen Handlungsfähigkeit“ engagieren – und für den rechtsextremen, revisionistischen „Vaterländischen Hilfsdienst“.
Verhaftet wurde Elisabeth R. in Mittelsachsen. Welche Kontakte sie vor Ort hatte, lässt sich noch nicht nachvollziehen – direkte Nachbarn beschreiben sie als „kauzig“. Aber Sachsen ist bekannt für seine lebhafte Reichsbürger*innen-Szene – nicht umsonst versuchte eine der bekanntesten Reichsbürger-Gruppen, das „Königreich Deutschland“, dort mit Immobilienkäufen Fuß zu fassen. Reichsbürger*innen dominieren auch die Proteste an der B96. Zwar galten bisher vor allem Meißen, Ostsachsen und Westsachsen als Hochburgen, doch seit den Pandemieleugnungsdemonstrationen ist die Reichsbürger-Szene in Sachsen weit besser vernetzt als zuvor. „Wir beobachten, wie rechtsextreme Kreise die vermeintlichen ‚Spaziergänge‘ zur Rekrutierung nutzen“, sagt Benjamin Winkler vom Projekt „debunk“ der Amadeu Antonio Stiftung, „und auch die staatlichen Zahlen sagen, dass die Reichsbürger-Szene durch die Demonstrationen rund 850 Menschen neu rekrutieren konnten.“ Eng vernetzt sei die Szene zudem mit anderen Engagementfeldern älterer Rechtsextremer, wie mit der revisionistischen, also geschichts- und oft auch holocaustleugnenden Szene. Elisabeth R.s Schriften – ebenso wie die Telegramgruppen der „Vereinten Patrioten“, enthalten viel Antisemitismus, der Anknüpfungspunkte möglich macht.