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Elsässers Traum Eine Querfront mit Wagenknecht

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Ein Teilnehmer der Pro-Russland-Contra-Coronamaßnahmen-Demonstration im Oktober 2022 in Halle hält ein Foto von Sahra Wagenknecht und den Worten "Danke Sahra Wagenknecht" in die Höhe. (Quelle: picture alliance/dpa | Heiko Rebsch)

Jürgen Elsässer hat einen Traum: Sahra Wagenknecht als Kanzlerin. Sie soll Teile der Linkspartei mit der AfD vereinen. In der Dezember-Ausgabe des Compact-Magazins huldigt Herausgeber Elsässer der Linkenpolitikerin. Er schreibt: „Sahra Wagenknecht ist die nationalste Versuchung, seit es Sozialismus gibt. Ihre Mischung aus Nitro und Glyzerin sprengt die Blockade auf, mit der das Regime jede Diskussion um Islam und Asyl, um Gender und Transen, um Corona und Russland eingemauert hat.“

Überraschend? Nein, die beiden kennen sich tatsächlich gut. Jürgen Elsässer bezeichnete sich selbst früher als links. Er und Wagenknecht schrieben 1996 sogar gemeinsam ein Buch: „Vorwärts und vergessen? Ein Streit um Marx, Lenin, Ulbricht und die verzweifelte Aktualität des Kommunismus“. Aus dem gleichen Jahr, also 1996, stammt auch ein Interview mit Wagenknecht, das im November 2022 im Compact-Magazin wiederveröffentlicht wurde. Das ist ein Schachzug, um mit einem vermeintlichen Wagenknecht-Interview für Compact zu punkten, obwohl es Compact damals für Elsässer noch gar nicht gab. Im Interview selbst geht es um das Verhältnis von „Parlament und Straße“ sowie „Staat und Revolution“, aktuelle Relevanz besitzt es keine. Ob Wagenknecht die Wiederveröffentlichung im Compact-Magazin autorisiert hat, beantwortet sie auf Belltower.News-Anfrage nicht.

Doch das ist nicht das erste Mal, dass Wagenknecht vom Compact-Magazin gefeiert wird. Bereits im September wünschte man sich Wagenknecht als Rednerin auf einer rechten Demonstration in Leipzig, wie das Compact-Magazin in einem Aufruf auf Telegram mitteilte. Auch die rechtsextreme Regionalpartei „Die Freien Sachsen“ teilte in ihrem Kanal diesen Aufruf. Damit reagierte man auf die zeitgleich stattfindende Demonstration der Linken am 5. September 2022 in Leipzig. Dort war Sahra Wagenknecht ausdrücklich ausgeladen worden.  Auf der Gegenseite fanden sich jedoch zahlreiche Wagenknecht-Fans, die laut „Sahra, Sahra“ skandierten.

Die Gefahr einer Querfront

Die Inszenierung einer Querfront ist keine neue Strategie. Sie wurde aus dem extrem rechten Lager bereits in den 1920ern angestrebt, um eine Zusammenarbeit zwischen antidemokratischen Teilen von Gewerkschaften und der NSDAP zu ermöglichen. Diese Kräfte sollen sich auf das besinnen, was sie gemein haben: Feindbilder wie „das Establishment“, die parlamentarische Demokratie oder antisemitische Verschwörungsideologien. Miteinander solle es darum gehen, den gemeinsamen Feind zu besiegen, und dabei politische Fragen von rechts oder links beiseite zu lassen.

Diese Querfront-Strategie birgt reale Gefahren. Denn wenn vermeintlich linke Ideen und rechtsextreme Positionen zusammen kommen, kann keine Abgrenzung zu menschenfeindlicher Ideologie mehr erfolgen. Beide argumentieren vielleicht gegen „die da oben“, wenn auch die einen mit der Idee, Minderheiten zu schützen, die anderen mit der Idee, Minderheiten zu unterdrücken – aber das wird zum vermeintlichen Nebenwiderspruch deklariert. Rechtsextremismus wird so salonfähig gemacht oder zumindest verharmlost. Indem Gemeinsamkeiten deklariert und Gegensätze unter den Tisch gekehrt werden, sollen Menschen zur Zusammenarbeit motiviert werden.

Dies ist eine besonders beliebte Strategie der rechtsextremen Seite. So hat sich Sahra Wagenknecht zumindest nominell von einem Faschisten wie Björn Höcke abgrenzt, aber Publizist Jürgen Elsässer wird nicht müde, die inhaltlichen Überschneidungen von Wagenknechts Überzeugungen und den Positionen der AfD zu betonen. Er schreibt: „In der Klima-, Gender-, Corona- und Russlandpolitik sowie bei der Förderung von Industrie und Mittelstand berühren sich die Enden des Hufeisens.“ Unterschiede sieht er nur in wenigen Fragen, beispielsweise beim Thema Flucht und Migration. Dort habe die AfD radikalere Positionen als Wagenknecht. Doch auch da gibt es Anknüpfungspunkte. Sahra Wagenknecht sagte 2016 als Reaktion auf die Silvesternacht in Köln auf einer Pressekonferenz der Linken: „Wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht verwirkt.“ Das meint inhaltlich kaum anderes als AfD-Propaganda zu „kriminellen Migrant*innen“, die man abschieben solle.

Das Beispiel zeigt aber exemplarisch, warum Wagenknecht trotz ihrer Linken-Mitgliedschaft  so gut bei Rechten ankommt. Die Politikerin bedient sich überraschend oft einer Rhetorik, die sonst aus AfD-Kreisen bekannt ist. Sie betont dabei zwar, dass sie gegen Diskriminierung sei, aber der Einsatz für Minderheitenrechte geht ihr schnell zu weit, wie sich auch in ihrem Abstimmungsverhalten zeigte. So stimmte sie bei der Abstimmung im Mai 2021 im Bundestag gegen das Selbstbestimmungsgesetz, welches die Rechte transsexueller Menschen verbessern sollte.

Und was sagt die Linke dazu?

Im April 2021 veröffentlicht Sahra Wagenknecht das Buch „Die Selbstgerechten – Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“. Darin beschreibt sie den „Lifestyle-Linken“ der im Gegensatz zu traditionellen Linken, die soziale Frage vergessen habe. Auch Linke, welche die soziale Frage stellen, verabscheut sie, solange sie sich für offene Grenzen und Minderheitenrechte einsetzen. Denn das bezeichnet sie als Linksliberalismus und der wäre untrennbar verbunden mit Wirtschaftsliberalismus. Wagenknechts Lösung: Heimatgefühle und starker Nationalstaat.

Als Reaktion auf dieses Buch wurde ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet. Im Mai diesen Jahres entschied die nordrhein-westfälische Landesschiedskommission jedoch: Wagenknecht bleibt in der Partei. Wie lange, wird sich zeigen: Nach einer umstrittenen Rede von Wagenknecht im Bundestag zur Russlandpolitik am 8. September 2022 forderten die drei Landtagsabgeordneten der Linken Katharina König-Preuss, Henriette Quade und Juliane Nagel in einem offenen Brief den Ausschluss von Wagenknecht aus der Fraktion. Grund war Wagenknechts Vorwurf gegen die Bundesregierung, Deutschland würde „einen beispiellosen Wirtschaftskrieg“ gegen Russland führen und ihre Forderung nach einem Stopp aller Wirtschaftssanktionen gegen Russland.

Einen Parteiausschluss halten aber nicht alle für die richtige Lösung. Wagenknecht hat immer noch eine treue Unterstützerschaft in Teilen der Partei. Andere Linke-Mitglieder sorgen sich, dass die Partei ihren Status als Fraktion ganz verlieren könnte, wenn ihr nur zwei Abgeordnete folgen würden.

Sogar die Gründung einer eigenen Partei steht im Raum, welche als Abspaltung aus der Linken hervorgehen soll. Einen ersten Versuch in eine ähnliche Richtung wagte Wagenknecht mit der Sammelbewegung „Aufstehen“ im Jahr 2018, welche innerhalb kurzer Zeit zahlreiche Unterstützer*innen verzeichnete. Allerdings wurde daraus nie eine richtige Bewegung – was auch daran liegen könnte, dass es an demokratisch legitimierten Strukturen mangelte. Im März 2019 verkündete Wagenknecht schließlich ihren Rückzug von Aufstehen.

Wie steht es um eine Wagenknecht Partei?

Die Frage um eine mögliche Abspaltung von Wagenknecht und ihrem Flügel von der Linken wird schon länger heiß diskutiert. Bereits im September 2022 erschien beim Institut Wahlkreisprognose eine Befragung zur Bundestagswahl, bei welcher eine potenzielle „Wagenknecht-Partei“ zehn Prozent der Stimmen erhalten hätte. Eine Befragung für den Spiegel aus dem November lieferte noch drastischere Ergebnisse: fast 50 Prozent der Ostdeutschen könnten sich vorstellen, eine „Wagenknecht-Partei“ zu wählen.

Rechtsextreme vom Compact-Magazin bis zu den „Freien Sachsen“ dürfte das freuen. Sie werden Sahra Wagenknecht vermutlich auch weiterhin feiern, wenn sie in ihren Aussagen vermeintliche Bestätigung für die eigenen menschenfeindlichen Haltungen finden. Es lässt sich nur hoffen, dass sich Elsässers Traum einer Koalition aus einer „Wagenknecht-Partei“ und der AfD nicht bewahrheitet.

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