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EM rechtsaußen Die Mär vom unpolitischen Fußball

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Symbolfoto (Quelle: picture alliance / Eibner-Pressefoto | Dennis Duddek/ Eibner )

Die Europameisterschaft ist vorbei und so ganz das im Vorfeld herbeigesehnte Sommermärchen ist es nicht geworden. Die DFB-Elf zeigte zwar zeitweise sehr guten Fußball, scheiterte aber bereits im Viertelfinale am späteren Europameister Spanien. Positive Schlagzeilen machten unter anderem schottische Fans, die in Köln einen älteren Mann mit Rollator mit einem Regenschirm begleiteten, oder auch das rumänische Team, dass nach seinem Ausscheiden im Achtelfinale eine blitzsaubere Kabine und ein Dankesschreiben hinterließ.

Es gab jedoch auch Schlagzeilen ganz anderer Art. Bereits im Vorfeld hatte es Diskussionen über eine Umfrage gegeben, deren Inhalt in der ARD-Dokumentation „Einigkeit und Recht und Vielfalt“ thematisiert wurde. Laut dieser wünschten sich 21 Prozent der Befragten „mehr weiße Spieler“ im Dress der Nationalmannschaft. Der Aufschrei war groß. Dabei konnten die Zahlen nur diejenigen überraschen, die die Ergebnisse vergangener Studien bereits wieder vergessen hatten.

Die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung maß 2023 für fremdenfeindliche Einstellungen eine Zustimmung von 16,2 sowie einen Graubereich von 30,3 Prozent. Nur knapp über die Hälfte der Befragten lehnten Fremdenfeindlichkeit also explizit ab. Zwei Jahre zuvor waren es noch 74,1 Prozent gewesen. Im selben Jahr kam die Studie „Being Black in the EU“ der EU-Agentur für Grundrechte zu dem Ergebnis, dass nirgendwo in den 13 untersuchten Mitgliedstaaten Schwarze Menschen häufiger Rassismus erfahren als in der Bundesrepublik. 76 Prozent der Befragten gaben an, innerhalb der letzten fünf Jahre rassistisch diskriminiert worden zu sein.

Dennoch war es sicherlich richtig, den hier erneut offenbar gewordenen Rassismus innerhalb der deutschen Gesellschaft zu kritisieren. Das war wohl auch die Intention von Katrin Göring-Eckardt, Politikerin der Grünen und Vizepräsidentin des Bundestags, die nach dem Auftaktsieg der DFB-Elf auf X postete: „Diese Mannschaft ist wirklich großartig. Stellt euch kurz vor, da wären nur weiße deutsche Spieler.“ Zwar löschte sie den Post schnell wieder, der Schaden war jedoch bereits angerichtet.

Rechte Akteur*innen hingegen nutzten die Europameisterschaft zu gezielter Desinformation und rassistischer Hetze. So wurden, wie die Tagesschau auflistete, unter anderem Falschmeldungen zu muslimischen Gebetsräumen auf Fanfesten und vermeintlichen islamistischen Gesten des deutschen Abwehrspielers Antonio Rüdiger verbreitet. Der ehemalige Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl Maximilian Krah verlautbarte auf TikTok: „Diese Mannschaft ist keine Nationalmannschaft“ und bezeichnete das Team als „politisch korrekte Söldnertruppe, Regenbogenmannschaft, Pride Mannschaft“.

Auch außerhalb des Internets gab es bereits am Tag des Eröffnungsspiels unschöne Szenen. Wie der Tagesspiegel berichtet, gab es in Bremen, Warnemünde, Neubrandenburg und im saarländischen Schiffweiler Polizeieinsätze, weil Menschengruppen, wohl inspiriert von dem Vorfall im Mai auf Sylt, auf die Melodie des Lieds „L‘amour toujours“ von Gigi D’Agostino „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ sangen.

In Warnemünde wurde zudem der Hitlergruß gezeigt und es wurden Polizeibeamt*innen angegriffen. In Neubrandenburg wurde „Heil Hitler“ und „Sieg Heil“, in Bremen eine judenfeindliche Parole gerufen. In St. Wendel im Saarland wurde in einer Gaststätte ebenfalls der Hitlergruß gezeigt. Die Bild berichtet von zwei ähnlichen Vorfällen, die sich tags darauf beide im Rahmen privater Feiern in Saarbrücken ereigneten.

Auch im weiteren Verlauf des Turnieres kam es immer wieder zu vergleichbaren Zwischenfällen – häufig, aber nicht nur im Rahmen von öffentlichen Liveübertragungen von Spielen. In Braunschweig, Heilbronn und Parchim gab es „Sieg Heil“-Rufe, und immer wieder wurde auch die Rassismus-Version von „L’amour toujours“ gesungen, unter anderem in Passow und Gadebusch (beide Mecklenburg-Vorpommern), in Gärtringen bei Stuttgart und abermals in Braunschweig. Ebenfalls gesungen wurde das Lied von 13 jungen Männern, die während einer Zugfahrt in Oberbayern zwei indischen Fahrgästen mit Gewalt bedroht haben sollen.

Die Liste ließe sich wahrscheinlich beliebig fortsetzen, zumal die Dunkelziffer enorm hoch sein dürfte. „L’amour toujours“ ist einer der Sommerhits des Jahres. Nur eine Woche nachdem das Video aus Kampen auf Sylt publik geworden war, stieg der Song auf Platz acht in die deutschen Singlecharts ein und hält sich dort seither beharrlich in den Top 50. Seit Oktober 2023 gab es bereits mehr als 360 Polizeieinsätze, weil das Lied gesungen wurde. Auch ungarische Fans in Stuttgart sangen die Melodie, österreichische Fans sangen sie in Leipzig mitsamt dem neuen rassistischen Text.

Es gab jedoch auch zahlreiche nationalistische und rassistische Vorfälle, die nichts mit Gigi D’Agostinos Hit von 2001 zu tun hatten. So präsentierten österreichische Fans im Berliner Olympiastadion beim Gruppenspiel gegen Polen ein Banner mit der Aufschrift „Defend Europe“, einem Slogan, der von der extrem rechten Identitären Bewegung popularisiert wurde. Polnische Fans wiederum filmten sich dabei, wie sie in Hamburg am Millerntor-Stadion des FC St. Pauli ein Spruchband mit der Aufschrift „Vereinsliebe statt Vaterlandsliebe“ entfernten.

Besonders im Fokus standen auch die Fans der Teams von Serbien, Kroatien und Albanien. Bei der Partie der beiden letzteren in Hamburg sangen Fans beider Mannschaften, wie das ZDF berichtet, gemeinsam „Ubi, ubi, ubi Srbina“ („Tötet, tötet, tötet den Serben“). Nach dem Spiel griff der albanische Spieler Mirlind Daku zum Megafon und stimmte vor der albanischen Fankurve Rufe an, die mit „Fick dich, Serbien“ und „Fick dich, Mazedonien“ übersetzt werden können. Serbische Fans wiederum zeigten bei allen drei Gruppenspielen eine Fahne mit einer Landkarte, auf der der Kosovo als Teil Serbiens eingezeichnet war.

Der türkische Nationalspieler Merih Demiral schließlich feierte den Sieg seines Teams im Achtelfinale gegen Österreich mit dem sogenannten Wolfsgruß der Grauen Wölfe. Als es in der deutschen Öffentlichkeit daraufhin Proteste gab und sich insbesondere auch Vertreter*innen von in der Türkei unterdrückten Minderheiten zu Wort meldeten, bestellte die türkische Regierung den deutschen Botschafter ein und beim Fanmarsch vor dem Viertelfinale in Berlin wie auch beim Viertelfinale selbst zeigten tausende türkische Fans den Gruß.

Demiral und die türkischen Fans haben damit ungewollt das Scheinwerferlicht auf ein Dunkelfeld deutscher Diskurse über die extreme Rechte gelenkt, nämlich auf den Faschismus und Ultranationalismus der türkischen Ülkücü-Bewegung. Diese „Idealisten“ sind einerseits in Form der Milliyetçi Hareket Partisi (MHP) Koalitionspartner der regierenden AKP. Andererseits begehen Mitglieder der Bewegung seit Jahrzehnten blutige Attentate gegen Minderheiten und Andersdenkende. So kam es gerade erst in Kayseri zu pogromartigen Ausschreitungen gegen syrische Geflüchtete.

Die Bundeszentrale für politische Bildung nennt die Grauen Wölfe „die größte rechtsextremistische Organisation in Deutschland“. Es wird Zeit, diese Bedrohung endlich ernst zu nehmen. Bereits 2020 beschloss der Bundestag einen Prüfantrag für ein Verbot der Grauen Wölfe. Geschehen ist seither wenig bis nichts. Sollten die Ereignisse bei der Europameisterschaft dazu führen, dass sich das nun ändert, bekämen wir vielleicht doch nur unser Sommermärchen, wenn auch ein ganz anderes als erwartet.

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