Attila Hildmann hat sich innerhalb kurzer Zeit zum glühenden Antisemiten und Nationalsozialismus-Fan radikalisiert. Sein Sprachrohr: Telegram. Die Messenger-App hat nun endlich reagiert. Der Großteil seiner Kanäle ist seit Dienstagabend gesperrt.
Der vegane TV-Koch Attila Hildmann radikalisierte sich seit Beginn der Corona-Pandemie beständig. Hildmann war zwar schon immer eher ein lauter Prominenter, das ändert sich auch angesichts der Pandemie nicht. Doch sein Terrain als Koch hat Hildmann hinter sich gelassen, er begab sich auf das weite Feld der Verschwörungserzählungen und endete letztendlich als Befürworter des Nationalsozialismus. Regelmäßig rief er auf seinem rund Telegram-Kanal mit mehr als 100.000 Abonennt:innen zu Gewalt gegen Juden:Jüdinnen und Homosexuelle auf. Seine Drohungen und Gewaltergüsse blieben bisher allerdings ohne große Konsequenzen. Zwar laufen Strafverfahren gegen ihn, doch Hildmann hatte sich in die Türkei abgesetzt, wo die Haftbefehle nicht durchgesetzt werden.
„Dieser Kanal kann nicht angezeigt werden, weil er gegen lokale Gesetze verstößt.“
Zwar haben die großen Sozialen Netzwerke Hildmann nach und nach beschränkt oder von ihren Seiten geworfen doch sein größtes Sprachrohr war lange Zeit sein Telegramkanal. Der ist nun nicht mehr verfügbar. Beim Aufrufen seines Kanals erscheint folgende Nachricht: „Dieser Kanal kann nicht angezeigt werden, weil er gegen lokale Gesetze verstößt.“ Telegram hat also endlich reagiert. Neben der Sperre des Hauptkanals, sind seit Dienstagabend weitere kleinere Kanäle von Hildmann ebenfalls nicht mehr abrufbar.
Die rechtsextremen Fans Hildmanns wittern unterdes auf Telegram, dass die „linksextremistische Nancy Faeser […] die volle Kontrolle über Telegram übernommen“ habe und sowieso sei ab heute „Deutschland offiziell ein linksextremistisches Terror-Regine“ (sic!). Nun könne Faeser „mit der Deportation und Vernichtung Andersdenkender beginnen, da sie nun die Verbreitung von Nachrichten“ kontrollieren würde.
Radikalisierungsbeschleuniger Telegram
Der Messaging-Dienst Telegram ist für die rechts-alternative Szene attraktiv, da hier Nachrichten und Inhalte sowohl relativ sicher als auch ungestört von jeglicher Moderation geteilt werden können. Gegenrede ist auf Telegram praktisch unmöglich, weil alle Kanäle und Gruppen Administrator:innen haben, die unliebsame Kommentierende aussperren können. Auch deshalb geht die Radikalisierung dort so rasant. So finden sich auf Telegram zahlreiche Chats und Kanäle mit klar verfassungsfeindlichen Inhalten – so auch bei Hildmann.
Telegram, gegründet in Russland, nun Hauptsitz in Dubai, hat 500 Millionen User:innen weltweit. Zwar werden ausgewählte Telegram-Kanäle – unter anderem solche mit rechtsextremen Inhalten – auf Apples iPhones gesperrt; doch selbst dafür gibt es mittlerweile Umgehungslösungen, so dass solche Maßnahmen nur symbolisch, nicht aber praktisch wirken. Auch Attila Hildmanns Haupt-Telegram-Kanal war über Apps aus dem Google-Play-Store und aus dem Apple-Store nicht mehr zu erreichen. Wird die App aus einer anderen Quelle heruntergelanden, sind auch die Kanäle wieder verfügbar.
Erste Kontaktaufnahme mit der Telegram-Spitze
Dass der Haupt-Kanal von Hildmann nun nicht mehr abrufbar ist, ist ein großer Erfolg. Vorausgegangen war ein langes Ringen, wie deutsche Behörden mit der Messenger App umgehen sollen. Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser redete davon, die Plattform schlimmstenfalls in Deutschland „abschalten“ zu wollen, das BKA veröffentlichte die Idee, den Druck auf Telegram zu erhöhen zu wollen, indem man die Betreiber der Plattform mit Löschbitten und Datenanfragen flute. Lange Zeit hat Telegram auf keine Ersuche aus Deutschland reagiert – nicht einmal auf Bußgeldverfahren, die das Bundesjustizministerium gegen die Plattform im Sommer 2021 eröffnete.
Telegram biete weder die Möglichkeit zum Melden strafbarer Inhalte noch einen juristischen Zustellungsbeauftragten in Deutschland. Beides wird vom Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ab einer Anzahl deutscher Nutzer:innen von drei Millionen verlangt. Doch Telegram sperrte sich, beziehungsweise, die Firma reagierte einfach nicht. Der offiziell in Dubai sitzende Betreiber des Messenger-Diensts Telegram war für deutsche Justizbehörden bislang nicht erreichbar und kann daher auch nicht nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) bestraft werden. Die App, die bei Verschwöungsideolog:innen, Rechtsextremen und Terrorist:innen so beliebt ist, reagierte schlicht nicht auf deutsche Ersuche.
Am vergangenen Freitag, 4. Januar, gab Bundesinnenministerin Nancy Faeser dann auf Twitter bekannt, dass endlich ein Kontakt zur Telegram-Konzernspitze hergestellt sei: „In einem ersten konstruktiven Gespräch zur weiteren Zusammenarbeit haben wir vereinbart, den Austausch fortzusetzen und zu intensivieren.“ Dieser Schritt sei ein guter Erfolg, auf dem man aufbauen werde.
Google vermittelte die Mailadresse
Laut Innenministerium kam der Kontakt zur Telegram-Spitze über eine von Google vermittelte E-Mail-Adresse zustande. Auf einen neuen Kontaktversuch reagierte Pavel Durov, der Unternehmensgründer. Am Mittwoch, dem 2. Januar, kam es zu einer Video-Konferenz mit Innen-Staatssekretär Marcus Richter, bei der Telegram ausdrücklich seine Kooperationsbereitschaft („maximum level of cooperation as possible“) erklärte. Ob dieses Treffen zu einem Umdenken bei Telegram geführt hat, wissen wir nicht. Doch nach monatelanger Funkstille gibt es erstmals eine Chance, Hetze und Gewaltaufrufe auf Telegram zu verhindern und zu ahnden.