Anfang September hat die AfD ihren ersten Livestream auf TikTok übertragen. Dann war der offizielle Teil vorbei – die Mikrofone aber noch an. Die AfD-Politiker sprechen über die zu erwartende Energiekrise im Winter. Einer sagt: „Es wird so dramatisch werden.“ Der AfD-Bundestagsabgeordnete Harald Weyel antwortet: „Man muss sagen, hoffentlich. Wenn es nicht dramatisch genug wird, dann geht’s so weiter wie immer“, antwortet der Bundestagsabgeordnete Harald Weyel (AfD) aus NRW. Ein anderer sagt lachend: „Wenn es nicht dramatisch wird, dann ist’s eh okay, dann braucht’s die AfD offensichtlich nicht.“ (vgl. DerWesten).
Ein interessantes Beispiel nicht nur dafür, dass Medienkompetenz eine gute Sache ist, sondern vor allem für das strategische Denken des Rechtspopulismus: Den Menschen im Land muss es schlecht gehen, sonst bleiben sie am Ende Demokrat*innen, solidarische, zufriedene Bürger*innen, die Probleme gemeinsam anpacken und lösen. Rechtspopulist*innen wollen etwas Anderes: Zwist sähen, vereinzeln, Menschen gegeneinander aufhetzen, bis Probleme unlösbar erscheinen. Und dann gibt es, statt Lösungen: Schuldige.
Wer ist schuld?
Angesichts der Energiekrise, die Deutschland einen ungemütlichen Winter zu bescheren droht, könnte das Russland sein – die haben den Krieg schließlich angefangen, um Gebiete der Ukraine zu erobern, in denen sie nichts zu suchen haben. Aber größere Teile der deutschen Rechtsaußen-Szene mögen Russland, und innenpolitischen Schaden können sie damit auch nicht ausrichten. Also: Politiker*innen. Hetze gegen aktuelle Regierungsparteien ist viel zu finden, allerdings wurden die größeren Fehler in der Energiepolitik von der konservativ geprägten Vorgänger-Regierung gemacht – dünnes Eis.
Aber warum nicht Rassismus?
In rechtspopulistischen Argumentationsräumen erscheint dann offenbar als logischer Schluss: Warum nicht Rassismus? Es ist die Form von einem eingebildeten „Wir“ gegen ein irgendwie imaginiertes „die“, die immer noch bei den größeren Teilen der Bevölkerung in Deutschland funktioniert, wenn der Ansatz nur emotional genug ist. Normalerweise nimmt die Rechtsaußen-Szene dann Kinder – diesmal aber sind es Rentner*innen. Als Kontrast dienen Geflüchtete – also in Deutschland von Krieg und Verfolgung Schutz suchende Menschen, die für Rechtsaußen aber längst unter dem Generalverdacht stehen, nicht in Gefahr zu sein und nur aus monetären Gründen nach Deutschland zu kommen.
Und dann wird die Szenerie aufgemacht der armen Rentner*innen, die von Politiker*innen nur die Tipps bekämen, sich Pullover anzuziehen und kalt zu duschen. Und auf der anderen Seite erscheint das Bild von Geflüchteten, die bräsig in heiß beheizten Unterkünften säßen. Was seit Wochen durchs rechtsalternative Internet geistert, hat Bild-TV nun breit in die Gesellschaft getragen. Bild-TV-Chef Claus Strunz twittert: „Es droht ein zweites 2015 – nur schlimmer. Wenn Rentner wegen hoher Energiekosten zuhause erfrieren oder verhungern und Familien pleite gehen, aber illegale Einwanderer in warmen Unterkünften warmes Essen bekommen, gefährdet das den sozialen Frieden.“
Bisher ist zwar niemand zu Hause erfroren und wie gemütlich die Unterkünfte (Container? Turnhallen?) von Geflüchteten sind, sei vielleicht auch dahingestellt – aber ein solcher Beitrag klickt. Taktisch geschickt, aber strategisch quasi bedeutungslos ist hier von „illegalen Einwanderern“ die Rede – und das betont Strunz auch immer wieder im Bild-TV-Video, das mit dem Zitat geteilt wird: Es ginge ihm ja um Menschen, die illegal nach Deutschland kämen. Allerdings werden in diesem Video später auch Geflüchtete aus Afghanistan als illegal bezeichnet, oder ukrainische Geflüchtete, die aber vielleicht gar keine ukrainischen Geflüchteten wären, sondern nur einen ukrainischen Pass hätten.
Warum nicht solidarische Lösungen statt Neid-Debatten?
Merke: Eigentlich soll doch der Unterschied aufgemacht werden zwischen Deutschen und „Fremden“, mit der Annahme, die als Deutsche Definierten hätten Hilfe verdient, die Schutzsuchenden aber nicht. Es ist eine rassistische und eine schäbige Aussage: Statt nach Lösungen zu suchen, allen bedürftigen Menschen zu helfen, werden Armutskonkurrenzen aufgemacht. Solche hetzerischen Argumentationen gefährden den sozialen Frieden mehr als die Tatsache, dass aktuell verschiedene Menschen, die in Deutschland leben, aus verschiedenen Gründen Hilfe brauchen.
Medienkompetenz wird zentraler – und schwieriger
Einen interessanten Aspekt bildet dabei vielleicht auch mediale Desinformation und mangelnde Informationskompetenz, denn die Einordnung von Informationen online wird immer komplizierter. Durch rechtsextreme Kanäle geistert seit Tagen ein TikTok-Video. Martin Sellner, Kopf der „Identitären Bewegung“, hat es viel auf seinen Social-Media-Kanälen verbreitet. Das Video scheint die Erzählung der unverschämt beheizten Flüchtlingsunterkünfte zu belegen: Es ist von einem Geflüchteten in Deutschland gedreht und geteilt worden. Zu sehen ist, wie eine Hand einen Heizungsregler an einem langen Heizkörper auf Stufe 5 dreht, dazu die Beschriftung „Life as asylum in camp in Germany – U don’t care about (Heizung) bills and its on – on 5 all nights“. Dazu viele Smileys.
Das Video wirkt in der Tat unverschämt und provokant – doch eigentlich will es etwa ganz anderes sagen, wie der Autor in den Kommentaren mit bitterem Humor beschreibt: „Ja, ich möchte mich natürlich bei Deutschland bedanken, dass alle ukrainischen Geflüchteten sofort arbeiten dürfen und ich seit 3 Jahren hier in einem Flüchtlingslager festsitze, keinen Job bekommen und so keine Rechnungen bezahlen muss.“ Der ganze TikTok-Account dreht sich um das Leben des Geflüchteten in einer Großunterkunft in einer ländlichen Gegend, wie gern er arbeiten und selbstbestimmt leben würde und wie das deutsche Asylrecht ihn daran hindert, das tun zu können. Auch die Bitterkeit, anders behandelt zu werden als ukrainische Geflüchtete, schwingt darin mit. Es ist aber auch ein Beleg dafür, dass manche nicht ganz ernst gemeinten TikTok-Videos schnell missbraucht werden können, um Rassismus hervorzurufen – weil der Kontext immer mehr verloren geht, je schnelllebiger die Plattformen werden.