Am 10. April 2022 findet in Frankreich die erste Runde der Präsidentschaftswahl statt, zwei Wochen später die Stichwahl. Einige Kandidat:innen stehen bereits fest. Marine Le Pen wird sich nach 2012 und 2017 zum dritten Mal um das höchste Amt der Republik bewerben. Doch für die Vorsitzende des rechtsextremen Rassemblement National (RN) könnte es Konkurrenz geben. Seit Wochen wird in Frankreich über eine Kandidatur des rechtsextremen Autors Éric Zemmours spekuliert. Bekanntgegeben hat er sie bisher nicht. In Umfragen hatte der Parteilose Marine Le Pen zwischenzeitlich überholt. Die Medien debattieren seine Präsidentschaftskandidatur ständig, in diesem Bereich ist er Spitzenreiter.
Wer ist Éric Zemmour?
Der inzwischen 63-jährige Journalist und Autor schreibt regelmäßig Bücher mit großem Erfolg, das Thema ist meist der Niedergang Frankreichs. So wurde sein 2014 erschienenes Buch Le Suicide français (Der französische Suizid) über 500.000 mal verkauft. Aktuell reist er durchs Land, offiziell um sein neues Buch La France n’a pas dit son dernier mot (Frankreich hat sein letztes Wort noch nicht gesprochen) zu bewerben. In dem Buch stigmatisiert er den Islam und wirft dabei die Religion und Islamismus in einen Topf. Muslimische Einwander:innen würden die europäische Bevölkerung „überschwemmen”, diese würden somit Europa „kolonisieren” und das Weiterleben der französischen Nation gefährden. „Keine kleine Stadt, kein kleines Dorf in Frankreich ist sicher vor wilden tschetschenischen, kosovarischen, maghrebinischen oder afrikanischen Banden, die stehlen, vergewaltigen, plündern, foltern und töten,” ist in dem Buch zu lesen.
Die Auftritte im Rahmen der Buchtour haben aber eher Wahlkampfcharakter. Im Publikum tragen Menschen „Zemmour 2022“-T-Shirts. Inspiration für sein Buch war unter anderem Donald Trump. In einem Interview mit der New York Times erklärte der sich selbst in der Tradition Charles de Gaulles sehende Autor, dass nicht nur sein Buchcover von Trumps 2015 erschienenen Buch Great Again beeinflusst wurde. Auch den direkten Weg von den Medien in die Politik sieht er als Parallele zwischen sich und dem ehemaligen US-Präsidenten. In Frankreich wird er deshalb schon als „französischer Donald Trump“ bezeichnet.
Karriere machte Zemmour zunächst bei der Zeitung Le Figaro. Dort arbeitete er von 1996 bis 2021, zwischenzeitlich auch für das Magazin der auflagenstärksten Zeitung Frankreichs, seine Themen: Rechte und Rechtsextreme. Nebenbei veröffentlichte er seine Bücher. Popularität erreichte er mit einem bewusst provokanten Buch aus dem Jahr 2006 über die Gefahren der, wie er es nannte, „feministischen Ideologie“. Von 2019 bis 2021 hatte er dann bei CNews, dem französischen Pendant zu Fox News eine Fernsehsendung. In Face à l’Info konnte er zur Primetime täglich seine rassistischen Thesen verbreiten. Regelmäßig hetzte er gegen Migrant:innen, vor allem Muslim:innen hatte er zu seinen Feinden erkoren. Jeden Abend eine Stunde Zemmour, seine Bekanntheit wurde dadurch noch einmal deutlich gesteigert. Inzwischen musste er allerdings seine Sendung aufgeben. Die staatliche Regulierungsbehörde hatte eine Begrenzung seiner Sendezeit angeordnet, weil er als Akteur der nationalen Politik angesehen werden könnte. Schnell verbreitete er und seine Unterstützer:innen ein Zensur-Narrativ. Im Interview mit der New York Times gab er aber im September zu Wort: „It was a blessing in disguise.” Damit konnte er weiter sein Image des „truth-teller“ schärfen.
Für seine Aussagen steht er auch regelmäßig vor Gericht. Über ein Dutzend Verfahren gab es gegen den Parteilosen bereits. 2011 wurde er wegen Provokation zur rassistischen Diskriminierung verurteilt. 2018 für Provokation zum Hass gegen Muslime. Zurzeit steht er wegen Volksverhetzung vor Gericht. Er hatte minderjährige Migrant:innen in seiner Sendung als „Diebe, Mörder und Vergewaltiger“ verunglimpft. Ein Urteil wird Mitte Januar erwartet. Der französische Justizminister bezeichnete ihn im Oktober als gefährlichen Rassisten und Holocaust-Leugner. Auch mit geschichtsrevisionistischen Ansichten fiel er bereits auf. So behauptete Zemmour, der selbst Jude ist, dass Philippe Pétain, „Staatschef” der Vichy-Regierung, die mit dem NS-Regime kollaborierte, die französischen Juden gerettet habe, anstatt ihre Deportation in die Todeslager zu unterstützen.
Inhaltlich wird er rechts von Marine Le Pen eingeordnet. Er verbreitet häufig die Verschwörungserzählung vom sogenannten „Großen Austausch“, Le Pen hat diese Formulierung bisher nicht verwendet. Dazu vertritt er die Meinung, dass der „weiße, heterosexuelle Mann” von ethnischen Minderheiten einerseits und von einer „Schwulenlobby“ andererseits bedroht wird. Frankreich werde zu einer „islamischen Republik“, wenn die Einwanderung nicht gestoppt werde. Vor kurzem erklärte der Sohn einer Hausfrau und eines Rettungssanitäters, dass er „nicht-französische“ Vornamen verbieten lassen würde, da sie einen Assimilationsprozess behinderten, der die Einwandernden zu „echten” Franzosen und Französinnen machte. Zudem möchte er mit Frankreich die Europäische Menschenrechtskonvention aufkündigen. Zu sozialen Fragen hat der 63-Jährige programmatisch allerdings wenig in petto. Er spricht sich für eine Anhebung der Lebensarbeitszeit aus, aber auch pro Woche soll mehr gearbeitet werden. Hier unterscheidet er sich vom RA, der seinen Nationalismus mit sozialen Versprechungen verbindet.
Für Zemmour allerdings ist der Rassemblement National zu soft geworden, man brauche einen radikaleren Ansatz im „Krieg der Zivilisationen“. Dafür will er einen ultrakonservativen Bogen von der etablierten Rechten bis zur Rechtsextremen schlagen und dabei sowohl Wähler:innen aus einkommensschwachen Schichten als auch aus dem, wie er es nennt, gebildeten „patriotischen Bürgertum“ ansprechen.
Für die Professorin an der Stanford University und Expertin für französische politische Semantik Cécile Alduy ist das was Zemmour von sich gibt nichts neues, sondern ein alter französischer Diskurs. „Neu ist jedoch die Rezeption und Akzeptanz dieses Diskurses in der öffentlichen Diskussion (…) Es ist ein Wendepunkt in der französischen politischen Geschichte, dass Zemmours Diskurs so viel Raum und Legitimität in den Medien erhält“ sagt sie gegenüber dem Guardian. So zeige eine Textanalyse von Zemmours neuem Buch Ähnlichkeiten mit den Werken von Marie Le Pens Vater Jean-Marie Le Pen, dem Gründer des Front National, der 2018 in Rassemblement National umbenannt wurde. Aber Zemmour könne weiter gehen als Le Pen es hätte tun können.
Wer unterstützt ihn?
Zemmour hat zwar keine Parteistruktur im Rücken, trotzdem aber ein relativ starkes und breites Unterstützer:innenfeld. Sein ethnischer Nationalismus scheint beliebt, seine Umfragewerte gehen seit Monaten nach oben. Dabei ist er bei gutbürgerlichen Familien aus dem katholischen Milieu erfolgreich, aber auch bei Akademiker:innen, ehemaligen Militärs so wie den einstigen Wähler:innen des konservativen Ex-Premierministers François Fillon. Zemmour vermittelt das Gefühl rassistisch sein zu können, sich dabei aber intelligent zu fühlen. Während Le Pen eher die Arbeiter:innenschicht, die Jüngeren und die Landbevölkerung erreicht, sind es bei Zemmour eher Firmenchefs, Ältere und die Stadtbevölkerung. Nicht nur diejenigen, für die Le Pen angeblich zu sanft geworden ist erreicht er, sondern auch das konservative Bürgertum.
Dabei hat er sehr prominente Unterstützer:innen. So erklärte die Nichte Marine Le Pens, dass sich die Rechte bei dieser Wahl hinter dem oder der aussichtsreichsten Kandidaten oder Kandidatin versammeln müsse. In Paris gilt ihre Unterstützung für Zemmour als ein offenes Geheimnis. Aber auch Marine Le Pens Vater unterstützt den Parteilosen. Der 2015 aus dem Rassemblement National ausgeschlossene Parteigründer wird nicht müde bei jeder Gelegenheit zu erklären, dass seine Tochter zu lasch geworden sei.
Der RN steckt derweil in einer internen Krise. Während die Partei in den 1990er Jahren unter dem Gründer Jean-Marie Le Pen rund 50.000 Mitglieder hatte, erreichte die RN 2017 einen Höchststand mit 83.000. Inzwischen soll die Partei laut der französischen Zeitung le Monde nur noch lediglich rund 20.000 Mitglieder haben. Bei Listenaufstellungen werden langjährige Mitglieder angeblich übergangen und Quereinsteiger:innen häufig bevorzugt. Die der Parteizentrale will so ihren Einfluss in der „bürgerlichen Mitte“ vergrößern. Während der Zeit von Jean-Marie Le Pen war der RN ein Sammelbecken vieler ideologischer Strömungen, welche mit viel Autonomie ausgestattet waren. Unter Marine Le Pen wurde diese historisch gewachsene Macht beschnitten. Davon waren vor allem die intern starken katholischen Traditionalist:innen und Fundamentalist:innen betroffen. Für diese tritt die jetzige Parteivorsitzende zu antiklerikal auf. Diese verfehlte interne Kaderpolitik sorgte für viele Parteiaustritte und Unmut bei den Verbliebenen.
Erfolgschancen?
Zemmour hat auch Anhänger:innen im konservativen Lager. Antoine Diers, Büroleiter des konservativen Bürgermeisters von Plessis-Robinson, ein Ort im Pariser Umland, tritt zum Beispiel in Talkshows als Zemmours Sprecher auf. Der konservative Abgeordnete Eric Ciotte aus Nizza hatte im September bereits angekündigt bei einer Stichwahl zwischen Macron und Zemmour zweiteren zu wählen.
In Frankreich als Präsidentschaftskandidat:in zugelassen zu werden ist nicht einfach. Eine Voraussetzung sind 500 Unterschriften von Bürgermeister:innen, Abgeordneten der Nationalversammlung, dem Senat und Europaparlament oder Angehörigen von Bezirks- und Regionalparlamenten zu sammeln. Diese Hürde ist auch für den Rassemblement National nicht einfach zu nehmen, auch wenn er zuletzt 1981 an den formalen Voraussetzungen scheiterte. Jean-Marie Le Pen konnte damals nicht genug Unterschriften für sich erreichen. Zemmour hat die Unterschriften noch nicht gesammelt.
In der Bevölkerung wächst dabei die Zustimmung für den Autor. Im Juli erreichte er bei Umfragen noch fünf Prozent. Bis Mitte September konnte er laut Demoskop:innen schon zehn Prozent von sich überzeugen. Inzwischen liegt er bei rund 15 Prozent und lag im Oktober zwischenzeitlich sogar vor Marine Le Pen, allerdings hinter Amtsinhaber Emmanuel Macron. Aktuell liegt er auf dem dritten Platz, zwei Prozentpunkte hinter Le Pen. Die politische Lage in Frankreich ist dynamisch und Zustimmungswerte ändern sich schnell. Wahlprognosen sind daher kaum möglich.