Berga im Süden Sachsen-Anhalts ist eigentlich kein überregional bekannter Ort. Das änderte sich im August 2013: Rund 800 Neonazis fanden am 10. August den Weg in die Gemeinde an der Landesgrenze zu Thüringen. Für die neonazistischen Besucher hatten die Organisatoren auf dem Festgelände ein sommerliches Wohlfühlpaket geschnürt. Verkaufsstände für rechte Waren aller Art waren ebenso zu finden, wie Hüpfburg, Bratwurststand und Kuchen. Als Redner trat u.a. der Fraktionschef der NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Udo Pastörs, auf. Frank Rennicke und „Oidoxie“ sorgten für die musikalische Umrahmung des „Fests der Nationalen“. Ohne Störungen sei die Veranstaltung verlaufen, ließ die Polizei im Anschluss wissen. Und auch die Neonazis waren mit dem Verlauf zufrieden, lobten die eingesetzten Polizisten für ihre Freundlichkeit und kündigten an, im kommenden Jahr wiederzukommen.
Der rechte Liedermacher Frank Rennicke trat beim „Fest der Nationalen“ am 9. August in Berga auf (Foto: Miteinander e.V./s.he.)
Im zu Ende gehenden Jahr gab es in Sachsen-Anhalt eine Vielzahl neonazistischer Konzerte. Die endgültige Zahl steht noch nicht fest. Doch die Tendenz ist eindeutig. Nachdem andere Bundesländer zuletzt rigider gegen neonazistische Konzerte vorgegangen waren, wollten manche Konzertveranstalter nach Sachsen-Anhalt ausweichen. Die Konzerte reichten vom neonazistischen Großevent wie in Berga bis zum Liederabend für Kameraden, an dem nur wenige Neonazis teilnahmen. Neonazistische Bands aus Sachsen-Anhalt spielen zudem in der deutschen Rechtsrockszene keine unwichtige Rolle. Hatecore-Bands wie „Fight Tonight“ und „Two Minutes Warning“ treten bundesweit und international bei neonazistischen Konzerten auf.
Gezielt ohne Gegenwind
Wochenlang hatte sich das Bündnis gegen Rechts in Sangerhausen öffentlich gegen das angekündigte „Fest der Nationalen“ in ihrem Ort engagiert. Am Ende verlagerten die Veranstalter das Festival kurzfristig in das nahegelegene Berga. Dort innerhalb kurzer Zeit einen wirkungsvollen Protest zu organisieren, war sehr schwierig. Gezielt suchen neonazistische Konzertveranstalter Orte aus, in denen sie wenig Gegenwind für Ihre Veranstaltungen erwarten. Umso wichtiger sind Zeichen, die deutlich machen, dass Neonazis auch in kleinen Orten unerwünscht sind. Dass Proteste und die Selbstorganisation der Bürger vor Ort durchaus erfolgreich sein können, zeigt der Fall Groß Germersleben. Dort hatte der Neonazi Oliver Malina das Grundstück der örtlichen Schlossruine gekauft, mutmaßlich um es für seine jährlichen Konzerte zu nutzen. Doch sehr schnell nach dem Bekanntwerden der Kaufabsicht formierte sich vor Ort der Widerstand. Gegen alle Beschwichtigungs- und Vertuschungsversuche aus Teilen der Verwaltung erreichte die Bürgerinitiative „Groß Germersleben rechtsrockfrei“, dass die für Mai und September geplanten Konzerte nicht zu Stande kamen. Die Arbeit der Bürgerinitiative hat so eindrucksvoll gezeigt, dass ein langer Atem und das sachkundige Engagement vor Ort zum Erfolg gegen die Aktivitäten von Neonazis führen können.
Nationale Hüpfburgen beim „Fest der Nationalen“ am 9. August in Berga (Foto: Miteinander e.V./s.he.)
Ein vielfach zu hörender Einwand gegen die öffentliche Bedeutung neonazistischer Konzerte ist die Auffassung, dass die Mehrzahl dieser Konzerte doch ohne formale Außenwirkung bliebe und somit keine unmittelbare Gefahr darstelle. Dies mag im Sinne des Ordnungsrechtes stimmen, wo sich neonazistische Konzertveranstalter mühen, die Auflagen der Behörden penibel einzuhalten. Doch lässt dies die Tatsache außer Acht, dass diese Konzerte einer neonazistischen Gesinnungsgemeinschaft Ausdruck geben, die Szeneanhänger ermutigt, selbstbewusste und gewalttätig in der Öffentlichkeit aufzutreten. Der alleinige Verweis der zuständigen Behörden auf das Ordnungsrecht reicht eben nicht, um solche Events zu bewerten und zu verhindern. Nur wo es gelingt, die politische Dimension neonazistischer Konzerte in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen, beginnt eine öffentliche Auseinandersetzung um die von Rechtsrockbands vertretenen Inhalte. Und nur dann kann der Erlebniswelt Rechtsrock – nicht nur – in Sachsen-Anhalt Einhalt geboten werden.
Nazi-Aufmärsche in Magdeburg und Bad Nenndorf
Neonazistische Konzerte sind jedoch der alleinige Indikator für die Beantwortung der Frage, welche Herausforderungen neonazistische Aktivitäten 2013 darstellten. Im Januar 2013 zogen 800 Neonazis durch einen Stadtteil im Süden Magdeburgs. Anlass war der Jahrestag der Bombardierung der Stadt im Januar 1945. Neben dem Aufmarsch in Bad Nenndorf ist jener in Magdeburg das letzte erinnerungspolitische Großevent des neonazistischen Spektrums. Doch auch hier stagniert die Zahl der Teilnehmenden. Dennoch bleiben bis auf weiteres das Spektrum der neonazistischen Kameradschaften sowie jugendkulturelle Angebote die bestimmenden Elemente des Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt.
Im Gegensatz zur (militanten) Neonazis-Szene ist der parteigebundene Rechtsextremismus in der Öffentlichkeit kaum noch wahrnehmbar. Bei den Bundestagswahlen im Jahr 2013 erhielt die NPD lediglich 2,5 Prozent der Zweitstimmen im Bundesland und kann damit ihr Ergebnis von 2009 bestätigen. Allerdings musste sie im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2009 und den Landtagswahlen 2011 Stimmverluste hinnehmen.
NPD gegen Flüchtlingsunterkünfte
Neben den Wahlkampfaktivitäten trat die NPD nur bei Themen in Erscheinung, von denen sie eine Mobilisierung von rassistischen und Anti-Establishment-Ressentiments in der Bevölkerung versprach. So machte die Kampagne für die Abschaffung des Euro mehrfach Station in Sachsen-Anhalt, traf aber nur auf geringe Resonanz. Wesentlich mehr Aufmerksamkeit erzielten die Versuche der NPD, die Proteste gegen die Zuzug von Flüchtlingen zu radikalisieren. Die bundesweit als sogenannte Bürgerinitiativen in die Öffentlichkeit tretenden Interessengruppen wurden vielfach von örtlichen NPD-Funktionsträgern koordiniert. In Sachsen-Anhalt z.B. unternahm der NPD-Kreisverband Wittenberg mehrfach den Versuch, an Aktionen und öffentlichen Auftritten einer im Januar 2013 gegründete Bürgerinitiative gegen die Unterbringung von Asylsuchenden in Vockerode (Ortsteil der Stadt Oranienbaum-Wörlitz) teilzunehmen. Zwar distanzierte sich die Bürgerinitiative von den Intentionen und Aktivitäten der NPD. Ein Teil der Forderungen wiesen jedoch durchaus inhaltliche Überschneidungen auf.
Jenseits solcher politischen Interventionen ist der Landesverband der NPD jedoch nach wie vor politisch kaum handlungsfähig. Offen ist jedoch, ob angesichts der bevorstehenden Kommunal- und Europawahlen 2014 und der 2016 stattfindenden Landtagswahl eine Wiederholung jener Entwicklung möglich ist, wie sie sich ab 2007 im Vorfeld der letzten Landtagswahlen vollzog. Damals kam es zu einer langfristig angelegten strategischen Übernahme von Schlüsselpositionen innerhalb des NPD-Landesverbandes durch eine Gruppe militanter Neonazis aus dem Spektrum der Freien Kameradschaften. Diese sorgten im Vorfeld der damaligen Kommunal- und nachfolgenden Landtagswahlen für eine Professionalisierung der Politikangebote der Partei und deren erfolgreiche öffentliche Kommunikation. Am Ende dieses Prozesses stand mit dem Ergebnis von 4,6 Prozent Stimmanteil ein nur knapp verpasster Einzug der Partei in den Landtag von Sachsen-Anhalt.
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