Einen Autonomen Nationalisten lieben
Wie soll man umgehen mit einer Frau wie Nadja Drygalla? Offensichtlich ist die 23-Jährige seit Jahren mit einem ausgesprochen aktiven Neonazi liiert. Dabei wiegt schwerer als Michael Fischers NPD-Mitgliedschaft, dass er lange Jahre ein Teil der Rostocker Szene der „Autonomen Nationalist*innen“ (AN) ist (oder nach eigener Aussage, die zunächst zu bezweifeln ist, war). Wer in dieser Szene unterwegs ist, der denkt nicht nur rechtsextrem – der lebt die Ideologie auch. Rechtsextremer Lifestyle, das heißt unter anderem: Einschlägige Musik hören, einschlägige Label tragen, an Veranstaltungen teilnehmen, die Propaganda in die Welt tragen. Michael Fischer tat all dies als Kopf der „Nationalen Sozialisten Rostock“. Und das nicht einmal ungeschickt, denn bei Straf- und Gewalttaten, die der für die Öffentlichkeit unangenehmste Teil des rechtsextremen Lifestyles ist, ließ er sich nicht erwischen. Zumindest ist dies nicht öffentlich bekannt. Was allerdings einfach nachzuvollziehen ist: Der Mann brannte für die rechtsextreme Ideologie, so sehr, dass er sich als ihr Öffentlichkeitsarbeiter verstand: Als Anti-Antifa-Fotograf dokumentierte er Menschen, die er als politische Gegner*innen wahrnahm – wohl wissend, was aus solchen Fotos in der rechtsextremen Szene, gerade Mecklenburg-Vorpommerns, oft wird: Gewalt gegen die Abgebildeten. Ebenso schrieb er für das übelste und einflussreichste rechtsextreme Hetzportal im Norden, die Seite „MUPinfo“ des Kameradschaftsaktivisten und NPD-Landtagsmitarbeiters David Petereit. Auch bei dieser Seite ist es ein Ziel, zu Gewalt gegen Nicht-Rechte aufzurufen. Aber natürlich auch geschickt: Etwa durch Adresslisten und der Aufforderung zu „Hausbesuchen“.
Wer mit einem AN zusammen ist, kann selbst beim besten Bemühen die rechtsextreme Gesinnung des Lebenspartners nicht ignorieren. Auch Nadja Drygalla ist das nicht gelungen. Wie es zu diesem Thema aber in ihrem Kopf aussieht, ob sie selbst Rassistin ist oder gegen „Kinderschänder“ die Todesstrafe fordern würde, weiß die Sportlerin bislang nur allein – denn öffentlicht geäußert hat sie sich dazu offensichtlich zumindest nicht nachweisbar. Das einzige, was bekannt ist, sind ihre Handlungen: Wenn, was selten genug der Fall war, die Sprache auf die Gesinnung ihres Freundes kam, lief sie weg. Verabschiedete sich offenbar ohne Wimpernzucken von Polizeikarriere und Sportförderung. Oder verließ nun das Olympische Dorf, nachdem plötzlich Aufmerksamkeit auf ihr Nazi-Umfeld fiel. Damit ist klar: Das einzige, auf das sie offenbar nicht bereit ist zu verzichten in ihrem Leben, ist der rechtsextreme Freund. In der Mediendebatte dieser Tage ist viel zu lesen davon, dass dies wahre Liebe sei. Es könnte natürlich auch ein Festhalten an der rechtsextremen Ideologie sein. Oder eine Art von psychischer Abhängigkeit. Vielleicht sogar Angst? Man weiß es nicht.
Der Umgang vor Olympia
Erstaunlich an der Affäre um Drygalla ist vor allem der Umgang mit dieser Tatsache. Denn die war bekannt: Ihren Ruder-Kolleg*innen ebenso wie ihrem Ruderclub, der 2010 ihren Freund Michael Fischer ausschloss und Drygalla behielt, wie auch dem Land Mecklenburg-Vorpommern, dem sie als Polizeianwärterin unterstand und dessen Sportfördergruppe sie angehörte – bis ihr 2011, wegen ihrer Kontakte ins rechtsextreme Milieu, ein Austritt nahegelegt wurde, den sie anschließend vollzog. In all diesen Fällen sind Entscheidungen getroffen worden: Kann eine Frau aus einem rechtsextremen Umfeld die Polizei und das Land Mecklenburg-Vorpommern als Vorbild demokratischen Zusammenlebens vertreten? Nein, das legten die Behörden Drygalla nah und waren bestimmt froh, dass diese ihnen die entscheidende Ausschluss-Tat abnahm und selbst ging. Kann eine Frau aus einem rechtsextremen Umfeld, die selbst aber nicht agitiert, weiter rudern? Ruderclub und Mit-Ruder*innen entschieden sich für: Ja, wir akzeptieren dies. Dies alles sind Entscheidungen, die bewusst getroffen wurden. Wie gelungen sie sind, darüber kann diskutiert werden. Auch, ob die Grundlage stimmt, auf der sie getroffen werden.
Der Umgang zu Olympia
Mit der Olympia-Nominierung Nadja Drygallas änderte sich die Sachlage aber ein weiteres Mal. Wer als Sportler*in zu den Olympischen Spielen fährt, der misst sich nicht nur in seiner Sportart, sondern repräsentiert auch sein Land, die Ideen, die es vertritt und die olympischen Ideale. Kein Wunder, dass es Anti-Rechts-Aktivist*innen so noch einmal wichtig war, darauf hinzuweisen, dass hier jemand Deutschland repräsentiert, der sich zumindest in einem Umfeld bewegt, dass demokratiefeindlich, rassistisch und gewalttätig ist, was den olympischen Werten diametral entgegen steht. Es ist ein Umstand, der diskutiert werden sollte – um eine Haltung dazu zu finden. Zumal sich der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) ansonsten nominell klar gegen Rechtsextremismus als Gefahr für die Demokratie stellt.
Die Medien
Netz-gegen-Nazis.de hat sich entschlossen, zunächst nichts zu publizieren, so lange nicht die entscheidende Frage weiter geklärt ist: Ist Drygalla persönlich rechtsextrem aufgefallen? Andere Medien berichteten die bis dato bekannten Fakten, manche gingen auch darüber hinaus in den spekulativen Bereich. Die Reaktion Drygallas wirkte wie ein Schuldeingeständnis: Überhastete Abreise aus dem Olympischen Dorf (ohne Zweifel erleichtert durch die Tatsache, dass ihr Ruder-Achter bereits ausgeschieden war). Unklares Lavieren auf den Seiten der Sportfunktionäre zwischen möglichst entschiedener Ablehnung rechtsextremen Gedankenguts und Inschutznahme der Person Drygallas. Was leider weiterhin fehlte: Belege. Außerdem: Der Mut zu einer Haltung. Etwa, ob die Toleranz gegenüber Rechtsextremismus, Demokratiefeindlichkeit, Rassismus und Gewalt, die eine Beziehung mit einem „Autonomen Nationalisten“ fordert, nicht selbst schon ein Grund ist, die Zusammenarbeit und den Umgang zu beenden. Was zunächst fehlte, war auch die größere Perspektive: Geht es hier um eine Ruderin persönlich oder doch um den Umgang der Vereine und Sportfunktionäre mit dem Phänomen des rechtsextremen Lifestyles, das es so schwierig zu handhaben ist?
Der Wandel in der Wahrnehmung
Die Medien blieben zunächst auf der persönlichen Ebene, und so verstanden es Drygalla und ihr Freund Michael Fischer mit Hilfe einer Nachrichtenagentur, das Blatt in der öffentlichen Wahrnehmung zu wenden: Nadja Drygalla inszenierte sich im Interview als verfolgte Unschuld und präsentierte zudem ihren Freund überraschend als NPD-Aussteiger. Wenige Tage später bestätigte dieser, auch der Deutschen Presseagentur, dass er zwar seine Aktivitäten in der rechtsextremen Szene nicht bereue, aber seit Ende Mai kein NPD-Mitglied mehr sei. Dies wurde als Ausstieg wahrgenommen, obwohl ein Austritt aus der NPD keine Abkehr vom rechtsextremen Gedankengut bedeuten muss – wie rassistische Kommentare Fischers auf Facebook während seiner Reise zu den olympischen Spielen nach London zeigten, die jetzt „Humor“ beziehungsweise „Sarkasmus“ sein sollen. Auch Fischers bis Ende Juni fortgeführten Aktivitäten für die Kameradschaftsszene deuten darauf hin, dass der NPD-Austritt anders motiviert war. Seine ehemalige Hetzseite „MUPInfo“ schreibt den Fischers „Ausstieg“ so auch in Gänsefüßchen. Erstaunlich auch die überaus moderaten Reaktionen von NPD und Kameradschaftsszene: Ernsthafte Aussteiger müssen in der Regel mit sehr viel mehr Häme bis zu sehr viel mehr Gewalt leben.
Wie damit umgehen, dass offene Nazis seltener werden – subtile aber zunehmen?
Aber auch dies sind nur Beobachtungen. Die Belege fehlen erneut. Wie so oft, wenn man es mit der rechtsextremen Szene zu tun hat. Nazis, die „vorschriftsgemäß“ öffentlich den Hitlergruß machen, NS-verherrlichende T-Shirts tragen und „Landser“ hören, werden immer seltener. Nur verbreiten die subtiler und moderner auftretenden Neonazis Rassismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus in augenzwinkernden, aktionistischen oder verschwörerisch raunenden Andeutungen leider weiterhin gut, wenn nicht gar besser: Weil sie die Gesellschaft verwirren. Schnell geraten etwa Menschen, die darauf hinweisen, dass auch völkisches und nationalistisches Denken rechtsextreme Menschenfeindlichkeiten erzeugen – auch wenn sie nicht explizit mit, sagen wir, NS-Verherrlichung einhergehen – in die Defensive. Wie viele Menschen billigen rassistischen Islamhasser*innen eine scheinbare Ferne zum Rechtsextremismus zu, nur weil sie aus taktischen Gründen Israelfreundlichkeit auf ihre Fahnen geschrieben haben? Das geht bis zum Verfassungsschutz, der aufgrund des hier (scheinbar) fehlenden Antisemitismus jahrelang demokratiefeindlichste Gruppierungen und Internetforen nicht beobachtet hat.
Lauter Verlierer*innen
Aktuell ist die Diskussion auf einem Stand, der nur Verlierer*innen erzeugt. Der Diskussionsverlauf in den Medien, angefacht auch durch Kommentator*innen und Politiker*innen, ist ärgerlich, weil er Drygalla und ihr Freund als „unschuldige Opfer“ einer pathetisch benannten „Sippenhaft“ erscheinen lässt. Dies gelingt, obwohl klar ist, dass man sich die eigene Überzeugung wie auch den eigenen Freund doch stets bewusst aussucht, weil Nachweise rechtsextremer Aktivität fehlen. Wenn aber statt über einen gesellschaftlichen Umgang mit demokratiefeindlicher Ideologie in all ihren Spielarten über persönliche Schicksale diskutiert wird, ist eine solche Wendung praktisch unvermeidlich.
Es helfen nur Entscheidungen
Dabei hilft es nichts: Es geht hier nicht um die einzelne Ruderin, sondern um den gesellschaftlichen Umgang mit Rassismus und Rechtsextremismus. Darf jemand aus einem Neonazi-Umfeld als sportliches Vorbild gefördert werden und Deutschland auf internationalen Wettkämpfen vertreten, so lange er oder sie selbst sich nichts Rechtsextremes nachweisen lässt? Wenn sich der DOSB, die Sportverbände und Vereine dafür entscheidet, müssen sie aushalten, dass dies kritisiert wird – aber auch hinter den Sportler*innen stehen. Wenn sich die Verbände dafür entscheiden, dass Menschen aus einem rechtsextremen Umfeld nicht als Repräsentant*innen in Frage kommen, ist es ebenso. Die Diskussion um eine „Extremismusklausel“ in der Sportförderung, wie das Bundesinnenminsterium sie zunächst überlegte, ist lächerlich. Jeder Neonazi, der sich sicher ist, dass ihm seine Gesinnung nicht nachzuweisen ist, wird sie ohne zu zögern unterschreiben. Er glaubt ja nicht einmal an das Land, dass sie von ihm fordert. Zu wünschen wäre vielmehr eine aufmerksame Zivilgesellschaft, die vor rechtem Lifestyle nicht die Augen verschließt, sondern selbst die Entscheidungen trifft, wo sie ihre Grenze im Umgang mit Demokratiefeind*innen zieht – und mit ihren Freund*innen.
Mehr zur Nachrichtenlage zum Fall Drygalla in der Presseschau vom