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Erzgebirge in Sachsen Wie junge Menschen in rechtsextremen Hochburgen dagegen halten

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Malerische Bergregionen mit Rad- und Wanderwegen und historische Stadtkerne: Das Erzgebirge gilt als eines der schönsten europäischen Mittelgebirge und steht für weit mehr als nur Bergbau, Schwibbögen und traditionelle Handwerkskunst. In der regionalen Mundart heißte es: „Deitsch un frei wolln mer sei, un do bleibn mer aah derbei, weil mer Arzgebirger sei“ (1908). Ein Zitat aus einem bekannten Volkslied des Dichters Anton Günther. Sein Liedgut gilt als heimats- und identitätsstiftend für die Erzgebirger*innen. Heimatverbundenheit ist im Erzgebirge tief verwurzelt. Die Schattenseite der Region: seit den 1990er Jahren konnte sich hier die rechtsextreme Szene etablieren. Das Erzgebirge gilt als Rückzugsort für Neonazis. Gleich fünf Personen des engsten Unterstützerkreises des NSU stammten beispielsweise aus dem beschaulichen Städtchen Johanngeorgenstadt im Erzgebirge. Und so fallen in der idyllischen Landschaft die zahlreichen Wahlplakate der NPD und der AfD auf oder die rechtsextremen Sticker an Autos und in den Städten.

„Stains in the Sun“-Festival

Inmitten der erzgebirgischen Idylle findet jährlich im Sommer das „Stains in the Sun“-Festival statt, ausgerichtet vom Verein „Agenda Alternativ“. Der Bildungsverein aus Schwarzenberg lud am 23. und 24. August zum siebten Mal ein. An zwei Tagen fanden am Oberbecken in Markersbach Konzerte und Workshops statt. Um dorthin zu kommen, muss man eine kurvige Waldstraße fahren. Der Verein fördert politische Bildung im Erzgebirge und setzt unter anderem mit dem Festival ein klares Zeichen gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Am Rande des Festivalgeländes laufen immer wieder Spaziergänger lang und beäugen die linken Musikfans und Punks. Einige argwöhnisch, andere eher neugierig.

Das „Stains in the Sun“ gilt als Treffen der regionalen linken und alternativen Szene, denn für sie ist das erzgebirgische Pflaster kein einfaches. Viele junge Menschen, die den rechtsextremen Spuk nicht dulden wollen, ziehen weg, die meisten nach Leipzig, erzählt uns Max (Name redaktionell geändert) auf dem Festival, während im Hintergrund lauter Hip-Hop von der Bühne schallt. Max lebt im Erzgebirge. Er erzählt vom Leben als Linker, in einer Region, in der die Neonazi-Szene tief verwurzelt ist. Er erzählt davon, wie normal es im Jugendalter sei, mit Neonazis in Kontakt zu kommen. „Jeder der hier aufwächst kennt Neonazis auch persönlich. Das ist hier ganz normal.“

Mit Matthias Dienelt, Mandy Struck, den Zwillingsbrüdern Maik und André Eminger sowie dessen Ehefrau Susann stammen beispielsweise gleich fünf Personen des engsten Unterstützerkreises des NSU aus dem erzgebirgischen Städtchen Johanngeorgenstadt im Erzgebirge. Um die Jahrtausendwende bildeten sie die örtliche Neonaziclique.

Angriffe können jederzeit passieren

Max erzählt davon, dass er nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr zu Fuß zum örtlichen Supermarkt gehen kann. Es sei zu gefährlich. Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu Angriffen durch Neonazis. Sich immer wieder für Demokratie einzusetzen heißt nicht nur, andere zu unterstützen, sondern leider sehr oft auch, sich selbst gegen menschen- und demokratieverachtende Angriffe zu wehren, das wird hier auf dem „Stains in the Sun“-Festival immer wieder deutlich. Selbst das Stickern sei in einigen Teilen der Region zu gefährlich. Würden Neonazis in bestimmten Gegenden linke oder antifaschistische Sticker finden, könnte das für linke Aktivist*innen gefährliche Auswirkungen haben, ganz egal ob sie gestickert hätten oder nicht. Es geht um Machtansprüche der rechtsextremen Szene im Erzgebirge, erklärt Max.

Rechter Sticker in Schwarzenberg

Extrem rechter „Heimattag“ vom „Haamitleit e.V.“

Während auf dem „Stains in the Sun“-Festival am Samstag antirassistische Workshops gegeben werden, findet nur rund 20 Kilometer entfernt, auf einer abgelegenen Anhöhe in Lößnitz, ein erzgebirgischer „Heimattag“ statt. Den Erzgebirger*innen wird hier allerhand geboten: Klöppeln, Spinnen, Schnitzen, Drechseln, Schwibbögen Kinderbespaßung, Heimatmusik und Selbstgemachtes aus der Region. Der Eintritt ist frei, dafür bitten die Organisatoren am Einlass um Spenden, als Dank bekommt man einen Flaschenöffner und ein Schlüsselanhänger. Vordergründig geht es hier in Lößnitz darum, die erzgebirgische Tradition zu pflegen, mit einem besonderen Programm für Kinder.

Das Heimatfest des Haatmitleit e.V.

In der Vergangenheit war die lokale Presse stets bemüht, rechtsextreme Bezüge zu diesem Event abzutun. Schaut man sich die Besucher*innen des Festes jedoch genauer an, erkennt man schnell rechtsextreme Symboliken auf Haut und Shirts. So trägt beispielsweise ein Teilnehmer am Wochenende ein Shirt der neonazistischen Band „Terrorsphära“, ein anderer eines von „1Prozent“, dem neurechten Netzwerk um Götz Kubitschek, das eng mit der „Identitären Bewegung“ verknüpft ist. Veranstalter dieses volkstümelnden Festes ist der „Haamitleit e.V.“ (Heimatleute). Gleich zwei der Gründungsmitglieder sind rechtsextreme Aktivisten der „Identitären Bewegung“. 2016 riefen die IB-Aktivisten den „Erzgebirgischen Heimattag“ ins Leben.

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Die Strategie hinter „Haamitleit“ ist eindeutig: Die Menschen im Erzgebirge sollen stolz auf ihre erzgebirgische Identität sein und diese regionale Identität gelte es vor „Überfremdung“ zu schützen. Der Verein versucht sich als zivilgesellschaftlicher Akteur von rechts zu etablieren, um so Rassismus und Demokratiefeindlichkeit gesellschaftsfähig zu machen. Die Strategie scheint aufzugehen. Zumindest beim „Haamitleit e.V“. Auch dieses Jahr warb sogar die Stadt Lößnitz für den vierten „Erzgebirgischen Heimattag“. Und dabei ist „Haamitleit e.V.“ nicht der einzige extrem rechte Verein in dieser Region.

„Freigeist e.V.“ mit Verbindungen zur NPD

Auch der „Freigeist e.V.“ verfolgt eine klar rassistische Agenda. Um diesen Verein zu erläutern, muss man ins Jahr 2013 zurückblicken. Damals kam es in Schneeberg im Erzgebirge zu großen flüchtlingsfeindlichen Aufmärschen mit bis zu 1.800 Teilnehmer*innen, die unter dem Namen „Lichtelläufe“ bekannt wurden. Thematisch und ideologisch waren sie ein Vorläufer von Pegida und ein Abbild dessen, was zwei Jahre später in vielen weiteren Orten in Sachsen geschehen sollte: der Zusammenschluss von offenen Neonazis und „normalen Bürger*innen“ auf der Straße. Aus diesen „Lichterläufen“ ist der „Freigeist e.V.“ aus Schwarzenberg hervorgegangen. Vorsitzender ist der NPD-Mann Stefan Hartung. Der sächsische Verfassungsschutz zählt Hartung „zu den relevantesten rechtsextremistischen Akteuren im Erzgebirgskreis und im Großraum Chemnitz“. Im Kreisrat im Erzgebirge sitzt er bereits seit mehreren Jahren als NPD-Politiker. Bei den Kommunalwahlen in diesem Jahr trat der NPD-Politiker offiziell nicht für seine verfassungsfeindliche Partei an, sondern als Einzelkandidat. Bei der Wahl des ersten Oberbürgermeisters in der neu gebildeten Stadt Aue-Bad Schlema erhielt Hartung im ersten Wahlgang 19,1 Prozent, damit lag er vor dem Bewerber der LINKEN. Er sitzt nun auch im Gemeinderat in Aue-Bad Schlema. Die rechtsextreme Szene vermeidet es im Erzgebirge mittlerweile offen mit NPD-Bezug aufzutreten. Nichtmal eine JN-Gruppe (Junge Nationalisten, Jugendgruppe der NPD) gibt es im Erzgebirge.

Weil Flüchtlingsfeindlichkeit nicht mehr so gut zieht, setzten Neonazis jetzt auf „Heimat“

Zunächst setzte die Szene auf Anti-Asyl-Propaganda, als kaum noch Unterstützer*innen zu den Demonstrationen kamen, passte man die Strategie an. Der daraus entstandene Verein „Freigeist“ „versucht sich als zivilgesellschaftlicher Akteur von rechts zu etablieren und damit Rassismus und Nationalismus in der Kommune noch salonfähiger zu machen“, so das „Kulturbüro Sachsen“ in einer Publikation.

Genau wie bei „Haamitleit e.V.“ geht es beim „Freigeist e.V.“ heute vordergründig nicht mehr um flüchtlingsfeindliche Agitation, sondern um völkische Heimattümelei. So organisierte der „Freigeist e.V.“ unter Hartung im Sommer 2018 in Schwarzenberg etwa einen „Freigeistigen Heimatabend“, bei dem auch der rechtsextremistische Liedermacher Frank Rennicke auftrat – eine der Ikonen der rechten Szene. Website und Facebook-Auftritt des Vereins sind mittlerweile jedoch nicht mehr zu finden.

„Unsere Heimat – Unsere Zukunft e.V.“: Das NSU-Umfeld

Ein weiterer Verein dieser Art ist „Unsere Heimat – Unsere Zukunft e.V.“, dessen Vorstand Maik Arnold ist. Vordergründig will der Verein Traditions- und Brauchtumspflege betreiben, zeitgleich wird hier rechtsextreme Propaganda verbreitet. Arnold war ehemals Sprecher der „Nationalen Sozialisten Chemnitz“ (NSC), ein Neonazi-Netzwerk mit Verbindungen zum NSU, das 2014 verboten wurde. Nach dem NSC-Verbot war Arnold bei der faschistischen Partei „III. Weg“ aktiv.

Maik Arnold beim Neonazi-Aufmarsch TddZ 2019 in Chemnitz

Maik Arnold unterhielt offenbar enge Verbindungen in den NSU-Unterstützerkreis: Mit Ralf Wohlleben pflegte er einen politischen Austausch und in André Emingers Telefonbuch war Arnolds Telefonnummer eingetragen. Der Fund im März 2014 einer sogenannten „NSU-CD“ in Arnolds Wohnung während der Razzien im Rahmen des NSC-Verbotes macht eine Anbindung Arnolds an Personen des engeren Unterstützerkreises sehr wahrscheinlich. Interessant, aber nicht ungewöhnlich: es bestehen personelle Verbindungen zwischen UH-UZ und dem „Haamitleit e.V.“. Derzeit wird der Verein „Unsere Heimat – Unsere Zukunft“ nicht vom sächsischen Verfassungsschutz beobachtet.

Rechtsextreme Einflussnahme unter einem bürgerlichen Deckmantel

Dass sich extrem rechte Vereine wie „Haamitleit e.V.“, „Freigeist e.V.“ und „Unsere Heimat – Unsere Zukunft e.V.“ als konservative Institutionen tarnen, um rassistische und demokratiefeindliche Propaganda zu verbreiten ist nicht neu. Ebenso wenig wie ihre Strategien, unter einem bürgerlichen Deckmantel Einfluss auf gesellschaftliche Diskurse zu nehmen. Das betont bürgerliche Auftreten der Vereine mache deutlich, so das Kulturbüro Sachsen „dass die Berührungsängste zwischen vermeintlich ‘normalen Bürger*innen‘ und rechten Interessensvertreter*innen gesunken sind.“

„Colour Your Hinterland“ auch im Erzgebirge

Und auch Max, der linke Aktivist aus dem Erzgebirge erzählt uns am Samstagabend auf dem „Stains in the Sun“, dass die bürgerlich scheinende Fassade der Neonazis wirke. Während eine Punk-Band auf der Hauptbühne spielt schreit er dagegen an und sagt: „Viele Leute hier im Erzgebirge stören sich einfach nicht an den Faschos.“

Jenseits der medialen Aufmerksamkeit der Großstädte findet gerade auf dem Land oder in kleinen Gemeinden das Engagement gegen Rechts oft unter erschwerten Bedingungen statt. Umso wichtiger ist es, demokratische und antirassistische Strukturen zu stärken und zu unterstützen. Menschen wie Max sind es, die Tag ein Tag aus, gegen rassistische Stammtischparolen anreden müssen und so aktive Gegenrede betreiben.  Umso wichtiger sind linke Rückzugsräume, wie die auf dem „Stains in the Sun“-Festival. „Agenda Alternativ“ bestärkt junge Menschen, dass sie nicht alleine sind mit ihrer Haltung gegen Rassismus und für eine tolerante Gesellschaft sind. Gerade im Erzgebirge, wo es eine große und aktive Neonazi-Szene gibt, ist diese praktische politische Bildung umso wichtiger.

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