Fragile Männlichkeit ist wohl eines der Hauptmotive, aus dem sich die Alt-Right und die „neue“ Rechte speist. Hier rekrutiert die rechtsextreme Szene ihr Personal, junge, unzufriedene Männer, die ihren Platz in modernen Gesellschaften nicht gefunden zu haben scheinen. Sie geben ihnen einen vermeintlichen Sinn. Nach dem neofaschistischen Wunsch, sollen sie wieder richtige Kämpfer sein. Sie sollen in völkischer Tradition für „Familie und Vaterland“ kämpfen. Den ideologischen Nährboden bereitet dabei der Worthülsenakrobat Jordan Peterson, mit seinem Alpha-Male-Hummer-Geraune.
Vor einigen Jahren noch war er ein weitgehend unbekannter Psychologieprofessor aus Kanada. Nun gehört Jordan Peterson, Jahrgang 1962, zu den bekanntesten und gefährlichsten Intellektuellen im Internet. Talkshows mit ihm sind randvoll, seine Bücher sind Bestseller. Zuhörer*innen seiner Talks merken schnell, dass hier einer spricht, der rhetorisch versiert ist. Millionen Menschen verfolgen seine geistigen Ergüsse auf verschiedenen Social-Media-Kanälen. Sein YouTube-Kanal hat mittlerweile 5,5 Millionen Abonnenten und insgesamt über 443 Millionen Aufrufen (Stand September 2022). Auf Twitter folgen ihm 2,8 Millionen Menschen. 2018 waren es noch 650.000 Twitter-Follower*innen und eine Million YouTube-Abonnenten. Sein professoraler Psychologenhabitus wie auch seine ständigen Selbstbeteuerungen, kein Rechter, sondern Liberaler zu sein, machen ihn einer Vielzahl von Leser*innen und Zuschauer*innen offenbar auf den ersten Blick unverdächtig. Wer ist Jordan Peterson und warum ist er so gefährlich?
Der kanadische Professor der klinischen Psychologie Jordan Peterson begeistert seit einigen Jahren ein demokratie- und gleichwertigkeitsfeindliches Publikum mit seinen Videos über Identitätsfragen, die Bibel, die Gefahren des Feminismus und die angebliche Lüge des „white privilege“ (die antirassistische Annahme, dass mit Weißsein, zahlreiche Privilegien einhergehen). Seine Kampagnen richten sich stets gegen die Menschenrechte von Frauen, Muslimen, PoC, Queeraktivist*innen und sogenannten „Social Justice Warrior“ (Gutmenschen).
Peterson wuchs in der kanadischen Provinz auf, studierte Psychologie, lehrte in Harvard und kam dann nach Toronto. Sein erstes Buch „Maps of Meaning“ fand eher wenig Beachtung. Recht früh begann er seine Vorlesungen bei YouTube hochzuladen. Einem größeren Publikum wurde der Psychologieprofessor aus Toronto 2016 als Gegner des kanadischen Gesetzes „Bill C-16“ 2016 bekannt. Ein Gesetz zur Änderung des kanadischen Menschenrechtsgesetzes über die Verwendung von durch Betroffene gewünschte Pronomen, das seiner Meinung nach politisch korrekte Redeweisen vorschreibt. Peterson lamentierte, das Gesetz würde ihm verbieten, beispielsweise trans Menschen mit dem von ihnen gewünschten Pronomen anzureden. Was natürlich nicht stimmte. „Bill C-16“ greift nur bei Verbrechen, die aus Hass auf die Geschlechtsidentität des Opfers verübt werden („Hate Crime“) und andererseits, wenn es um die Verurteilung von Hasspropaganda gilt. Ein falsches Pronomen zu nutzen, fällt in keine der beiden Kategorien. Es ist kein Hassverbrechen, sondern eine Unverschämtheit, wie Tom Uhlig bei Belltower.News schrieb.
Und so war Petersons Aufbegehren vergebens: Das Antidiskriminierungsgesetz wurde im Sommer 2017 erlassen. Peterson sah darin einen Angriff auf die Rede- und Meinungsfreiheit. Er wurde international zur Ikone im Kampf gegen Political Correctness. Und zur zweifelhaften Galionsfigur der englischsprachigen Alt-Right-Bewegung. Ein Intellektueller, der sich laut für den Erhalt klassisch liberaler Werte wie einen offenen Diskurs einsetzt. Doch Peterson ist nicht einfach nur ein „Classic Liberal“, ein kritischer Denker, der mit kontroversen Thesen die Meinungsfreiheit verteidigen würde.
„12 Rules for Life: An Antidote to Chaos“
Zahlreiche Anhänger*innen, man könnte hier auch von Jüngern sprechen, gewann Peterson 2018. Damals erschien sein Lebensratgeber „12 Rules for Life: An Antidote to Chaos“. Es wurde mit mehr als fünf Millionen verkauften Exemplaren zum Bestseller. Sein Versprechen, mit diesen 12 Regeln fürs Leben Ordnung ins Chaos bringen zu wollen, ist ernstgemeint: Sein Ratgeber besteht größtenteils aus Platituden wie „Mach dich grade“ und „Räum dein Zimmer auf“. Das mag auf den ersten Blick banal und unpolitisch erscheinen. Zweiteres ist es jedoch nicht. An allen Ecken und Enden wettert er gegen moderne Errungenschaften. Für beinahe alles Übel dieser Welt macht er vor allem den sogenannten „cultural marxism“ und postmoderne Theorie verantwortlich.
Die misogyne Erzählung des Alpha-Males
Der Untertitel seines Buchs heißt zu Deutsch: „12 Regeln fürs Leben: Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt“ – Peterson will also das Chaos ordnen. Chaos beschreibt Peterson als das symbolisch weibliche, Ordnung hingegen als das symbolisch männliche. In diesem Licht wird dann auch deutlich, was Peterson mit dem Untertitel „An Antidote to Chaos“ eigentlich sagen möchte: Er bietet mit seinem Buch ein Gegenmittel zur Weiblichkeit. Und so wundert es nicht, dass seine Anhängerschaft größtenteils aus jungen, orientierungslosen Männern besteht, die in Peterson eine Art Vaterfigur zu sehen scheinen. Und das dürfte genau in Petersons Sinne sein, schließlich ist seine Mission klar umrissen: die Rettung von jungen Männern oder die Erziehung zur Männlichkeit.
Männer müssen erwachsen werden und ein Ziel im Leben finden. Sie sollen eine Frau haben, im Idealfall verheiratet sein, monogam leben und Pornografie meiden. Peterson, der selbst verheiratet ist und zwei Kinder hat, hebt immer wieder den Wert von Familie hervor.
Wenn Peterson vorgibt, mit seriösen wissenschaftlichen Befunden zu arbeiten, betreibt er eher ihre Mythologisierung: Beispielsweise behauptet er: Ein dominanter Mann habe die besten Zugangschancen zu Ressourcen wie Lebensmittel oder Wohnraum und Frauen würden bei ihm Schlange stehen. Als Frau wird man zwar auch rücksichtslos die eigene Position verteidigen, allerdings nicht mit physischer Gewalt wie der Mann, sondern mit verbalen Tricks.
Peterson glaubt nicht etwa, dass soziale Hierarchien und geschlechtsspezifische Unterschiede durch soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren gegeben sind, viel mehr behauptet er, dass Geschlechter- und Klassenhierarchien von Natur aus bestimmt sind. Als absurde Allegorie, für das menschliche sozial Verhalten zieht Peterson das Verhalten von Hummern heran. Mit einem biologistischen und sozialdarwinistischen Blick versucht er zu erklären, dass Hummer wie Menschen in Hierarchien existieren und ein auf den Status abgestimmtes Nervensystem haben, das durch Serotonin bestimmt wird.
Die komische Geschichte mit dem Hummer
Je höher ein Hummer in der Hierarchie aufsteigt, desto höher ist sein Serotoninspiegel. Einen niedrigeren Serotoningehalt beim Hummer setzt Peterson mit schwachen Verlierer-Hummern gleich. Und die Verlierer-Hummer, genau wie die Verlierer-Männer, die mit wenig Serotonin im Körper, bekommen keine Frauen ab, weil Frauen und weibliche Hummer sich fast ausschließlich mit dominanten Gewinner-Männern und Hummern paaren. Diese sozialdarwinistische Weltsicht Petersons will mehr Männer zu Alpha-Männern machen. Also zu jenen, die in der Paarungspyramide ganz oben sind, die Gewinner. Aber unter Peterson geht es noch misogyner: Er glaubt, dass Monogamie ein erzwungenes gesellschaftliches Ideal sei. Denn gäbe es das Konstrukt der Monogamie nicht, würde eine Handvoll Gewinner-Männer alle Frauen abbekommen und für den großen Rest der mittelmäßigen und verlierer Typen würden keine Frauen zur Paarung übrig bleiben. Daher müssen Männer alles daran setzen, eine dominante Figur sein.
Petersons Hauptziel ist es, den angeblich unterdrückten, weißen, heterosexuellen Mann zu befreien und ihn wieder an Traditionen heranzuführen. Eigentlich ist es unbegreiflich, wie in Zeiten von #Metoo und feministischen Kämpfen solch misogynen Erzählungen, in denen Frauen keinerlei selbstständige Entscheidungsmacht zugesprochen, und eher objektifiziert werden, Millionenfach verkauft wird.
Veronika Kracher, die zum Verhältnis von gekränkter Männlichkeit, Antifeminismus und Rechtsextremismus arbeitet, konstatiert: „Es ist nicht verwunderlich, dass Peterson so ein beliebter Autor bei einem bestimmten Typus Mann ist. Petersons Weltbild ist ziemlich deckungsgleich mit der antisemitischen, antifeministischen Redpill-Ideologie, deren Feindbilder Feminismus und der jüdisch konnotierte ‚Kulturmarxismus‘ sind. Er bedient bewusst die Panik vor einer imaginierten ‚Woke‘-Culture, die eine durch Biologismus legitimierte, patriarchale und kapitalistische Herrschaft bedroht.“ Peterson suggeriere, dass die durch Feminismus bedroht geglaubte, gekränkte Männlichkeit überwunden werden könne, indem man sich seiner Ideologie unterwirft. „Seine Fans sehen sich ja als kontrollierte, logisch denkende, rationale Menschen, die aufgrund dessen nicht nur ihr Leben im Griff haben, sondern auch anderen überlegen sind“, so Kracher. „Diese Vorstellung rationaler Männlichkeit wird dann dem irrationalen, feministischen, queeren gegenübergestellt. Antifeminismus und die Panikmache vor Kulturmarxismus und der ‚Postmoderne‘white dienen regelmäßig als Radikalisierungsfaktoren in die radikale und extreme Rechte.“
Peterson der Mystiker
Auch wenn Peterson stets vorgibt, all seine Argumente seien rein wissenschaftlich, fußen sie doch häufig auf Mystik. Peterson meint, die Moderne würde am Verlust des Glaubens an alte Wahrheiten kranken. Die daraus resultierende Verzweiflung und Sinnlosigkeit könne mit einer Rückbesinnung zur alten Weisheit, zu alten Mythen und religiösen Geschichten aufgelöst werden. Er will dem individuellen Bewusstsein neue Bedeutung geben, durch alte Geschichten. Warum er Sinn nicht in Ideen und Zielen der Moderne finden kann, liegt wohl in der Natur der Sache – weil Peterson ein reaktionärer, rückwärtsgewandter Mann ist.
Einige Zeit war es nun still um Peterson. 2016 begann Peterson auf Anraten seiner Tochter, Mikhaila, eine strikte Diät aus ausschließlich Fleisch, Salz und Wasser durchzieht. „Carnivore Diet“ nennt sich diese Fleischfresserdiät. In den Weihnachtsferien 2016 erkrankte die ganze Familie nach einem Essen, am schlimmsten der Vater, beschreibt die NZZ. Nach eigenen Angaben konnte Peterson wochenlang kaum schlafen. Deshalb nahm er Benzodiazepin. So begann die Benzodiazepin- und 2019 dann die Ketaminabhängigkeit. Die Drogensucht trieb ihn zu einem Entzug nach Russland. Dort wurde er für kurze Zeit in ein künstliches Koma versetzt. Danach litt Jordan Peterson an neurologischen Schäden, er konnte sich nicht mehr anziehen, geschweige denn schreiben.
Jetzt ist er wieder zurück auf der Bildfläche und hat 2021 eine Fortsetzung zu „12 Rules“ veröffentlicht, „Beyond Order: 12 More Rules for Life“. Von der Uni in Toronto hat er sich allerdings abgekehrt. In einem Gastbeitrag vom Januar 2022, schäumt er nur so vor Wut und schreibt von einer „entsetzlichen Ideologie“, die gerade Universitäten zerstöre und von dort ausgehend die gesamte Kultur. „Vielfalt, Inklusivität und Gerechtigkeit – diese linksradikale Dreifaltigkeit – zerstört uns“, behauptet Peterson. Das Feindbild Petersons wird wieder einmal klar umrissen: Es sind progressive, linke Ideen. Dass Peterson nunmehr emeritierter Professor ist, bedeutet jedoch nicht, dass er seine Lehrtätigkeit beendet, er verlagert sie nur in den digitalen Raum, da er hier „online viel mehr Menschen und vor allem mit weniger Störungen unterrichten kann“.
„Keine Shows für Täter“
Am Donnerstag, dem 29. September, soll Peterson im Berliner Tempodrom auftreten. Das Bündnis „Keine Shows für Täter“ will den Auftritt des misogynen Rassisten Peterson nicht unkommentiert hinnehmen. Sie rufen zu Gegenprotesten auf. „Jordan B. Peterson hat Anhänger in der ‘Incel‘–, ‘Pick-Up-Artist‘– oder Maskulinisten-Szene, die in den vergangenen Jahren für zahllose Übergriffe und mehrere tödliche Attentate verantwortlich waren. Peterson und seine toxische politische Agenda züchtet somit die Täter von morgen heran“, so das Bündnis.