Die rechtsextreme Motivation des Täters war schon zur Verhaftung des damals 16-Jährigen am 12. Mai 2022 ein Thema – er hatte einem Mitschüler von seinen Bombenanschlagsplänen berichtet, offenbar in der Annahme, dieser werde ihn sowieso nicht ernst nehmen. Die Polizei fand in der Wohnung des Schülers und seiner Eltern Material zum Bombenbau nebst weiteren Waffen und eines rechtsextremen Motivationsschreibens, das im Stil anderer rechtsextremer Attentäter mit Online-Ausrichtung als „Manifest“ gemeint war (vgl. Belltower.News I, Belltower.News II).
Der mutmaßliche Attentäter saß bis zum 27. Juli 2022 in Untersuchungshaft. Danach hatte er sich in eine jugendpsychiatrische Einrichtung einweisen lassen. Der Generalbundesanwalt, der die Ermittlungen führt, sieht allerdings Wiederholungs- und Fluchtgefahr und plädierte jetzt für eine erneute Unterbringung in Haft, die am 27. August 2022 in Kraft tat. Die Begründung hierzu wurde als Beschluss des Bundesgerichtshofs veröffentlicht (Az. StB 37/22, online hier einsehbar) – und gibt Einblick in den Ermittlungsstand zur Motivation des Täters.
Hierbei wird klar: Der Essener Fall zeigt Muster, die auch andere rechtsterroristische Fälle aufweisen. Und der Täter hat sich klar von vorangegangenen Attentaten motivieren lassen – die Botschaftswirkung dieser Taten geht damit in den Handlungen des jungen Mannes voll auf. Nachvollziehbar wird das durch die Dokumentation des Täters selbst, seine Online-Korrespondenz, aber auch über sein Mitteilungsbedürfnis gegenüber den Ermittlungsbehörden und den Mitarbeiter*innen des Strafvollzugsbehörden.
Familie
Aufgewachsen ist der inzwischen 17-Jährige offenbar in einem Elternhaus, das selbst rechtsextreme und rassistische Einstellungen pflegte. Der Vater bewahrte die NSDAP-Mitgliedsnadel des Großvaters unterm Bett auf – zusammen mit Waffen, darunter Schlagringe, Macheten, Pistolen. Die hatte mutmaßlich der Vater angeschafft, der Sohn kannte sie aber und wollte sie auch für sein Blutbad in der Schule nutzen, wie Videos zeigen, die er in „Kampfmontur“ drehte. Zeug*innen beschreiben den Vater als „rechtsradikal“. Offenbar war er außerdem ein Prepper, der im Keller einen Stromgenerator, ein Gerät zur Trinkwasseraufbereitung und einen Gaskocher lagerte. Die Mutter soll Ängste geäußert haben, dass ihr Sohn immer mehr so werde wie der Vater. Beide Eltern geben allerdings an, von den Attentatsplänen nichts gewusst zu haben, und auch die Faszination des Sohns für Massenmorde und Rassenkrieg wollen sie nicht gekannt haben.
Umfeld
In der Offline-Welt hatte der junge Mann offenbar keine Freund*innen. In der Schule hieß er „der Jahrgangsnazi“. Kontakt zur Außenwelt sucht er in rassistischen und rechtsextremen Internet-Foren, wo er Gleichgesinnte und Motivation fand. Hier findet er auch seine „Vorbilder“: Die Attentäter von Oslo/Utøya, Christchurch, Halle und Columbine. Er wähnt sich im Kampf für die „Freiheit der weißen Rasse“.
Auffällig auch sein fehlender Kontakt zu Frauen, den er mit anderen Attentätern teilt: Offenbar galt all seine „Liebe“ einer Anime-Figur, „Morityu“, aus dem Online-Computerspiel „Morimiya Middle School Shooting“. Gamer*innen spielen darin eine weibliche Figur als Attentäterin eines Schul-Massakers. Für diese Anime-Figur schrieb der 16-Jährige Liebesbriefe. Außerdem fanden Ermittler*innen auf seinem Computer „umfangreiches kinderpornografisches Material“.
Waffen
Die Polizei fand in der Wohnung, die der 16-Jährige mit seinen Eltern bewohnt, Armbrüste, Macheten, Schreckschusswaffen, Luftdruckpistolen, Messer, Schlagringe. Im Kinderzimmer des 16-Jährigen fanden sich Schlagringe und Material und Anleitungen, um 26 Nagelbomben zu bauen, die eine tödliche Wirkung erzielt hätten. Die Anleitung dazu hatte der 16-Jährige im Darknet gefunden: „Das für die Konstruktion der Vorrichtung, insbesondere für die Installation der Zünder notwendige Wissen hatte sich der Beschuldigte, wie seine Aufzeichnungen, die Datenauswertung und eine Zeugenaussage ergeben, im Internet angeeignet“, so der BGH-Beschluss.
Tatmotivation
Der 16-Jährige wollte am 13. Mai im Don Bosco-Gymnasium ein „Massaker“ anrichten, um Lehrer*innen und Mitschüler*innen zu töten, die er als „anti-weiße“ und „linke Untermenschen“ bezeichnete. Darin sah er eine „Vorarbeit“ für einen „Rassenkrieg“, den er kommen sah oder sehen wollte – wie andere akzelerationistische Attentäter auch. Er hat – mit Zielgruppe seiner Online-„Kameraden“ – ein Manifest geschrieben und Videobotschaften in Kampfmontur aufgezeichnet. Er benennt sein Ziel: Nachahmer anregen, so wie er selbst durch Attentäter angeregt wurde. Für sich selbst plante der Attentäter einen „suicide by cop“ – also dass er beim Attentat durch Polizist*innen erschossen würde. Dazu kam es ja nicht.
Seitdem ist der Täter gegenüber JVA-Bediensteten sehr auskunftsfreudig, was seine Anschlagspläne, seine Mordfantasien, seine Bewunderung für Rechtsterroristen und seinen Rassismus angeht, der ihn zur Tat motivierte. Reue oder eine Auseinandersetzung mit der geplanten Tat konnten die Mitarbeiter*innen dabei nicht feststellen – sie erlebten ihn erfüllt von „blinder Entschlossenheit“ und „gefühllos“, mit gefestigter rassistischer Gesinnung und massiver Gewaltbereitschaft.
Fluchtgefahr
Seine gefestigte rechtsextreme Gesinnung und die weiter starke Gewaltbereitschaft flossen in die Einschätzung der Fluchtgefahr ein. Aber auch die Tatsache, dass ihn eine hohe Jugendstrafe erwarten wird. Vor der hat er offenbar Angst, weil er als Nazi mit Hang zur Kinderpornographie Sorge vor gewaltbereiten Mithäftlingen habe. Zugleich habe er durch die lange, präzise und kostenintensive Vorbereitung der Tat im Verborgenen gezeigt, dass er in der Lage sei, auch eine Flucht zu organisieren: „Wie der Tatvorwurf zeigt, hat der Beschuldigte es jedoch über Jahre verstanden, sich vollständig zu verstellen und von allen unbemerkt ein ausgeklügeltes Anschlagsszenario zu planen.“ Der junge Mann sitzt nun seit Ende August wieder in Untersuchungshaft.
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