Die Kundgebung selbst war eine erneute Blamage für die Dortmunder Möchtegern-Führer: Sie vermochten nur 180 Teilnehmer zu mobilisieren; vor einem Jahr waren es noch 600 gewesen. Es hieß jedoch, dass in der Stadt Kleingruppen von Neonazis unterwegs waren, um Auseinandersetzungen zu provozieren.
Selbst „Naziprominenz“ wie der Wuppertaler Kreisvorsitzende Kevin Koch, der auf Platz 15 der Europawahlliste kandidiert, ist seit Wochen nicht mehr öffentlich aufgetreten und fehlte auch auf der Kundgebung. Von bundesweiter DR-Prominenz war nur Christian Worch gekommen, der jedoch keine Rede hielt und größtenteils in einem LKW mitfuhr.
Zahlreiche Neonazis aus Ungarn
Unter den 180 Demoteilnehmern in Dortmund-Hörde befanden sich größere Gruppen von rund 40 Neonazis aus Osteuropa, insbesondere aus Ungarn, die teils in geschlossenen Formationen liefen. Auch bei den Kundgebungen traten Vertreter aus Ungarn, Frankreich, Bulgarien und Tschechien mit erkennbar vorgeschriebenen Texten auf. So drohte ein Redner aus Bulgarien an, dass „ein System ein Ende finde“, wenn man sich „im eigenen Land fremd fühle“. Ein weiterer osteuropäischer Redner sprach von den „Ketten der EU-Diktatur“, die man „sprengen“ werde; zugleich betonte er die „Kampfgemeinschaft aller Länder“. Offenkundig zogen die Dortmunder es vor, dass diesmal Auswärtige strafbare Äußerungen von sich geben. Eine Gruppe aus Ungarn trug einheitliche, uniformmäßige Kleidung sowie ein Transparent mit der Aufschrift „Fortress Europe“.
Die Dortmunder Polizei verhielt sich diesmal – zumindest was den Umgang mit Neonazis betrifft – konsequent: So untersagte sie bei Veranstaltungsbeginn das Fronttransparent „70 Jahre sind genug. Dieser Staat ist unser Feind“ als gesetzeswidrig. Stattdessen überklebten die Neonazis das Wort „Staat“ durch „Staatsanwalt“; mit diesem Transparent an der Spitze durften sie dann laufen. Die Neonazis marschierten in militärischer Formation. Auch beim Tragen ihrer zahlreichen, zentral bereitgestellten Fahnen wurden ihnen zu Beginn ihres Marsches Auflagen gemacht: So durften sie die Fahnen nicht im 45 Grad-Winkel sondern nur aufrecht tragen, um Ähnlichkeiten mit den Nazi-Aufmärschen der 1930er Jahre zu verhindern.
Ansprachen vom Band
Immer wieder kam der Demozug für zum Teil 15 Minuten zum Stehen, weil zuvor untersagte neonazistische Parolen gerufen wurden. Dennoch wurden zwischendurch, angeheizt durch einen obligatorischen Schreihals aus Dortmund, Parolen wie „Frei, sozial und national“, „Hier marschiert der nationale Widerstand“, „Europa, Jugend, Revolution“, „Ganz NRW hasst die Polizei“, „BRD heißt Kapitulation – Ruhm und Ehre der deutschen Nation“, „Alles für Volk, Rasse und Nation“ sowie „Hier marschiert der nationale Widerstand“ gebrüllt. Die Reden selbst waren lustlos und unmotiviert. Michael Brück, der angegriffen wirkte, schrie von den „Rechtsbrechern aus der Markgrafenstraße“, womit er das Polizeipräsidium meinte.
Die Schmach über die Auflagen und Verbote zehrte an ihnen. Während des Demozuges mussten sogar Reden vom Band abgespielt werden, darunter auch Reden des österreichischen Neonazis Gottfried Küssel – er durfte Österreich nicht verlassen – sowie der in Haft sitzenden Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel.
Öffentliches Zerreißen der Europafahne
Ein altgedienter Neonazi aus Dortmund trug ein Shirt mit der Aufschrift „Borussen Front Dortmund. Alte Garde“ und auf seinem Schädel die eintätowierte Parole „Ruhrpott“; den rückseitigen Schädel eines Demonstranten umspannte ein Totenkopf. Überraschend dabei war auch der Kölner „Klagemauerbetreiber“ Reza Begi. Gegen diesen war 2018 von der Staatsanwaltschaft Köln ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eröffnet worden, das jedoch im Januar 2019 vorläufig eingestellt worden war, weil sein Aufenthaltsort nicht festgestellt werden könne. Begi hatte danach gepostet, dass er sich im Iran aufhalte.
Der hafterfahrene Dortmunder Neonazi Robin S., Briefpartner von Beate Zschäpe, trug diesmal das T-Shirt „Kampftruppe Achtzehn“ – also „Kampftruppe Adolf Hitler“ – sowie das Symbol von „Combat 18“, weiterhin das Symbol der SS-Sondereinheit Dirlewanger auf seinem Hals. Der Düsseldorfer Neonazi Sven Skoda, Angeklagter im Koblenzer ABM-Prozess, verlor bei der kurzen Abschlusskundgebung beinahe die Fassung, schwadronierte von der „Umvolkung des deutschen Volkes“ und brüllte dann: „Dieser Staat ist mein Feind, dieser Staat ist unser Feind, dieser Staat ist der Feind des deutschen Volkes!“ sowie mit sich überschlagender, kaum noch verständlicher, hasserfüllter Stimme: „Wenn wir nach Europa kommen, dann als Feinde!“ Das anschließende öffentliche Zerreißen der Europafahne bereitete dem antisemitischen Überzeugungstäter beträchtliche Schwierigkeiten und gelang erst beim dritten Versuch. Anschließend wurde die Fahne offenkundig angezündet.
Zu diesem Zeitpunkt war dem langgedienten Neonazi und antisemitischen Kampfredner sein Scheitern bewusst. Selbst in Dortmund erreichte die Neonazi-Partei nur 0,26 Prozent.