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Extreme Rechte Reaktionen auf die Frankreichwahl

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(Quelle: Unsplash)

Auch die parlamentarische wie außerparlamentarische Rechte hat gespannt auf die Präsidentenwahl in Frankreich geschaut. In ersten Reaktionen ist Enttäuschung über die Wahlniederlage von Le Pen abzulesen. Diese äußerte sich auch in verbreiteten Verschwörungserzählungen über vermeintlich manipulierte Ergebnisse. In der AfD und im Spektrum der „neuen“ Rechten wird hingegen versucht erste Schlüsse aus den Ergebnisse zu ziehen und zu analysieren, was dies für ihre Strategie Deutschland bedeuten kann.

Wie immer: das große Verschwörungsnarrativ

Die ersten Reaktionen von einzelnen Aktivist:innen der äußersten Rechten und aus dem verschwörungsideologischen Milieu im deutschsprachigen Raum waren erwartbar: Das ist nicht mit rechten Dingen zugegangen. Die Wahl war manipuliert! Auf diversen Telegram-Kanälen dominierten direkt nach den ersten Prognosen die üblichen Verschwörungsgeschichten, Verdrehungen und Fake-News.

Dominierend ein Sharepic des in Österreich ansässigen verschwörungsideologischen Internetsenders AUF1, wo in einer Frage verkleidet unterstellt wird, Le Pen seien 1,1 Millionen Stimmen gestohlen worden. Nahezu identisch titelte der rechte verschwörungsideologische Blog Journalistenwatch: „Wahlbetrug? 1,1 Millionen Stimmen für Le Pen verschwunden“. Beides ging viral. Viele für die Szene wichtige Akteur:innen der extremen Rechten teilten das Sharepic oder den Artikel umgehend. Auf dieses Wahlmanipulations-Fake aufbauend teilte der österreichische rechte Polit-Aktivist und führender Protagonist von Querdenken, Martin Rutter, ein Video von Krawallen nach dem Wahlsieg von Macron mit einem bewusst irreführenden Kommentar „Sun berichtet wegen des groß angelegten scheinbaren Wahlbetruges in Frankreich geht es massiv rund. Heimische Medien verschweigen es hartnäkig!“ (sic!)  Auf der Seite der Sun, wo dieses Video geteilt wird, steht nichts davon, dass Menschen wegen eines vermeintlichen Wahlbetruges randaliert hätten. Und auch die Behauptung heimische Medien hätten die Krawalle verschwiegen stimmt nicht. In Deutschland berichteten diverse Hauptnachrichten-Sendungen wie die 20 Uhr-Tagesschau am 25. April darüber.

Was aber auch den Verschwörungsideologen rasch auffiel: Trotz der Aufdeckung eines vermeintlichen massiven Wahlbetrugs, nimmt Le Pen das Wort „Wahlbetrug“ nicht einmal in den Mund. Da kann doch was nicht stimmen. Aber auch das können Verschwörungsideolog:innen  sich schnell zurecht biegen: Le Pen habe laut einer „CIA-Quelle“ 300 Millionen Dollar „Schweigegeld“ erhalten um mitzuspielen. Also nichts Neues: Verschwörungsideolog:innen haben immer die passende Verschwörungserzählung parat.

Neben dem Wahlbetrugsnarrativen kursieren noch etliche Verschwörungsmythen. So verbreitet Verschwörungsaktivist und Compact-Autor Gerhard Wisnewski eine andere erfundene Story, nachdem habe womöglich (es ist immer wichtig für Verschwörungsideolog:innen im Konjunktiv zu bleiben, um nicht wegen offensichtlicher Lügen verklagt werden zu können) „der wiedergewählte französische Präsident französische Soldaten im Stahlwerk Azovstal in Mariupol in der Ukraine unerkannt sterben lassen, weil er nicht wollte, dass ihre Existenz und ihr möglicher Tod seinen Wahlkampf gefährden“.

Neben den Verschwörungserzählungen versuchten andere politisch Aktivist:innen der extremen Rechten die Wahl inhaltlich einzuordnen und Schlüsse für die Rechte in Frankreich und Deutschland zu ziehen:

„Neue“ Rechte: Über das für und wider einer rechten Einheitsfront

Bei der sogenannten „neuen“ Rechten stand nach der Wahl der Versuch einer Analyse und die Übertragbarkeit von Handlungsstrategien für die hiesige extreme Rechte in und außerhalb der Parlamente im Vordergrund.

Dem ehemaligen führenden Kader der „Identitären Bewegung“ (IB) und jetzigen selbsternannten Politikberater im Umfeld des rechtsextremen Instituts für Staatspolitik (IfS), Daniel Fiß, stimmt das Ergebnis tendenziell hoffnungsvoll. Wie die meisten Aktivist:innen der „neuen“ Rechten ist er eher ein Anhänger des in der Vorwahl mit 7,2 Prozent der abgegebenen Stimmen gescheiterten Éric Zemmour, dem noch rechteren Konkurrenten Le Pens. Trotz des klaren Scheiterns von Zemmour setzt nicht nur Fiß Hoffnung in eine jetzt breiter aufgestellte extreme Rechte in Frankreich: „Mit Le Pen war das rechte Lager primär auf den ländlichen Raum und die klassischen Arbeiterschichten limitiert. Erst Zemmour hat die Barrieren auch zu den urbanen Zentren und bürgerlich-akademischen Schichten aufgebrochen. Darauf kann möglicherweise im Zuge einer rechten Sammlungsbewegung aufgebaut werden.“ Ein Zusammenschluss von Le Pen und Zemmour zu einer rechten Einheitsfront wird in Deutschland in der „neuen“ Rechten heiß diskutiert. Fiß setzt Hoffnung in ein Zusammengehen der Lager von Le Pen und Zemmour, da die Kampagne von Zemmour gezeigt habe, „daß die Themen Migrationspolitik und Identität immer noch dynamisch und mitreißend aufgeladen werden können und zusammen mit sozialen und wirtschaftspolitischen Ansätzen von Le Pen ein breites Spektrum abbilden“ (sic!).

Obwohl Benedikt Kaiser, ehemals aktiv in der rechtsextremen Kameradschaftsszene von Chemnitz und inzwischen einer der wichtigsten Akteure des IfS, auch inhaltlich Zemmour näher steht als Le Pen, sieht er durch eine rechte Einheitsfront keinen reellen Gewinn für die extreme Rechte. Bei der Analyse von Kaiser steht dann auch das „neu“rechte Grundgerüst im Vordergrund: Eine Ablehnung des Liberalismus und der parlamentarischen Demokratie. Der Ansatz von Zemmour in einem politischen Netzwerk jenseits der Parlamente verankert zu sein, sei der Richtige. Nicht verwunderlich, dass Kaiser dies favorisiert, es ist ja auch das Konzept was das IfS der AfD immer wieder nahelegt. Die AfD müsse mit ihrem politischen „Vorfeld“, also u.a. mit ihnen, viel enger verzahnt sein, auch um besser ideologisch geschult zu sein. Selbst ein Wahlsieg von Le Pen hätte kurzfristig nicht viel geändert, ist sich Kaiser sicher. Denn damit hätte sie nicht automatisch den Staat in ihren Händen. Verwaltungen und alte Eliten in den großen Städten könnten sie weiter blockieren. In diesem Zusammenhang kritisiert er auch die „parlamentarische Gläubigkeit in Teilen der AfD“, die glaube, dass mit einem Wahlsieg Le Pens sich alle geändert hätte in Frankreich und Europa.  Die „neue“ Rechte setzt statt Parlamentarismus schon immer auf den Kulturkampf. Der Wahlausgang von Le Pen habe eine „Limitierungen rein rechtspopulistischer und parlamentspatriotischer Strategieansätze“ erneut gezeigt, so Fiß. Es gehe aber darum langfristig Erfolg zu haben, deshalb müsse die extreme Rechte „stabile soziale Milieus“ schaffen, wie die CDU es immer noch in christlichen und die SPD in gewerkschaftlichen Milieus habe, so Fiß. Der Fehler von Le Pen, wie der AfD, sei sich zu sehr auf Wahlen zu konzentrieren, an den Parlamentarismus zu glauben, das sei naiv. Dass Le Pen im Wahlkampf weniger als früher auf rassistische Mobilisierung, sondern mehr auf die „soziale Frage“ gesetzt habe, sei hingegen zu begrüßen, da dadurch neue Wähler:innenschichten erreicht wurden, so Kaiser. Von Martin Sellner und anderen Protagonist:innen der „neuen“ Rechten dürften Kaiser in dieser Frage hingegen keinen Zuspruch erwarten.

Karlheinz Weißmann, Mitgründer des IfS, der das „Institut“ im Streit verlassen hat, setzt seine Hoffnung eher auf die Nichte von Le Pen. In der Rechtsaußen-Wochenzeitung Junge Freiheit diagnostiziert er „persönlicher Unzulänglichkeiten der Spitzenfrau des Rassemblement National“ und sieht Le Pen somit eher als die Spitzenkandidatin von gestern. Es bedürfe das „Auftreten einer überzeugenden und unverbrauchten Persönlichkeit“. Die sieht Weißmann in Marion Maréchal, der Nichte Le Pens, die im Wahlkampf Zemmour unterstützt hatte. Sie gilt als die radikalere im Le Pen-Clan. Dass der Liberalismus-Hasser Weißmann auf Maréchal setzt, dürfte zumindest Benedikt Kaiser in Rage versetzen. Denn er wirft ihr vor, eine neoliberale Politikerin und somit ein No Go für die „neue“ Rechte zu sein. Viele in der extremen Rechten, auch in Deutschland, sehen das jedoch anders und setzen großen Hoffnung in Marion Maréchal, da sie die Lager Le Pen und Zemmour zusammenführen könnte.

AfD: Zwischen Enttäuschung und Hoffnung

In der AfD hatten viele auf einen Sieg von Le Pen gehofft, ihn fast erwartet. Norbert Kleinwächter, Mitglied der AfD-Bundestagesfraktion und im Vorstand der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung meldete sich direkt von einer Wahlparty des RN in Kintzheim (Elsass) zu Wort: „Die Enttäuschung ist riesig“, es sei ein „herbes Ergebnis“.

Petr Bystron, ebenfalls AfD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag machte den Aufruf in vielen französischen Tageszeitungen nicht extrem rechts zu wählen, mitverantwortlich für die Wahlniederlage Le Pens. Dies sei eine Manipulation der Öffentlichkeit gewesen, schimpft er. Das seien die „Strategien der Globalisten“, die diese in allen Ländern anwenden würden, so Bystron. Die ehemalige Vorsitzende der AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag Katrin Ebner-Steiner findet hingegen, dass das Ergebnis Hoffnung macht und ein Lichtblick für Europa sei. Sie hoffe, dass der damit verbundene Aufbruch auf Deutschland überschwappe. Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla meldete sich für die Parteispitze zu Wort und sprach davon, dass ein Kurswechsel in Europa begonnen habe und um sich selber Mut zu machen, schob er noch hinterher: „Und wir sind Teil dieser Wende!“. Chrupalla gab sich betont hoffnungsvoll: „Das politische Spektrum hat sich erweitert und lässt sich nicht mehr verengen. Nach der Parlamentswahl in Ungarn war die Präsidentschaftswahl in Frankreich 2022 die zweite Richtungswahl für Europa.“ Viel kritischer, gerade was die Zukunft der AfD angeht, bewerteten das Ergebnis der Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel und der Europaabgeordnete und Oberleutnant a. D. Bernhard Zimniok. Auch wenn Zimniok in einem Gespräch mit Spaniel zugibt, auf einen Sieg von Le Pen gehofft zu haben, sei das Ergebnis dennoch „hervorragend“. Weniger hervorragend bewerten beide AfD-Parlamentarier allerdings die gegenwärtige Situation ihrer Partei. Spaniel ist „erstaunt“, dass die schlechten Wahlergebnisse bei der Bundestagswahl und in Baden-Württemberg zu keiner internen Diskussion, Analyse und Reflektion geführt haben. „Wir neigen nicht dazu zu reflektieren“ stimmt Zimniok ihm zu. Im Vergleich zur professionellen RN sei die AfD eine „Laienspieltruppe“. Im RN funktioniere die Befehlskette von oben nach unten, so der ehemalige Oberleutnant. Er plädierte im Gespräch dafür, viele Punkte vom RN zu übernehmen, da diese erfolgsversprechend seien. So sei es richtig die soziale Verwerfung als Thema aufzunehmen, was die AfD aber nicht tue. Man müsse nicht wie die AfD jeder Emotion nachgehen, sondern langfristig und strategisch denken und zudem professioneller werden. Auch sprach er sich dafür aus, dass die AfD auf der Straße bei Demonstration präsenter sein müsse. Hierbei kritisierte er, dass seine Partei es zugelassen habe, dass der rechtsextreme Verein „Ein Prozent“ so groß werden konnte. Das von Zimniok hier befürwortete Konzept der AfD als Bewegungspartei ist in der Partei umstritten. Während Björn Höcke es immer wieder einfordert, sieht es die Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion, Alice Weidel, eher kritisch.

Einig waren sich Spaniel und Zimniok auch in der Auffassung, dass es wie beim RN keine Doppelspitze in der Partei geben dürfe, wie aktuell in der AfD festgeschrieben. Das Konzept mit zwei Parteisprecher:innen funktioniere nicht: „Verantwortung ist unteilbar. Derjenige der eine falsche Entscheidung trifft, der fliegt, wird geköpft oder es gibt noch andere Möglichkeiten ihn zu entsorgen“, so Zimniok. Ob nach dieser Androhung beim Parteitag in Juni im sächsischen Riesa sich noch jemand traut, als AfD-Parteisprecher zu kandidieren, bleibt abzuwarten.

Während bei der AfD und in der „neuen“ Rechten hitzig über die Frankreichwahl diskutiert wird, haben andere rechtsextreme Parteien der Stichwahl wenig Beachtung geschenkt. Nicht zuletzt, weil ihnen auch Le Pen nicht radikal genug ist. Die Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ fabulierte nach dem ersten Wahlgang beispielsweise über die parteiinterne Machtstellung der „jüdischen Lobby“, die Le Pen ihr verschafft habe.

Alle fühlen sich bestätigt

Die Analysen nach der Wahl gleichen sehr den Analysen vor der Wahl. Die eigenen politischen Vorstellungen sieht man durch das Wahlergebnis bestätigt, man stellt die Punkte, die es zu bestätigen scheinen, einfach in den Vordergrund. Interessant könnte werden, ob die AfD das Thema „soziale Frage“ in Zukunft stärker bespielt. Im Zuge der steigenden Preise und steigenden Inflation versucht sie es aktuell etwas halbherzig.

Wenn dies bei den Wahlen in Nordrhein Westfahlen und Schleswig-Holstein im Mai verfängt, könnte es zukünftig ein noch wichtigeres Agitationsthema der Partei werden. Inhaltlich tun sich bei dem Thema aber tiefer inhaltliche Gräben auf, die nur mit den üblichen populistischen Parolen von der Unterstützung der „kleinen Leute“ oberflächig übertüncht werden kann. Aber darin ist die AfD ja geübt.

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11845 2017.05.08 Le Pen PA 90463100

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