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Extremismusklausel in Hessen Demokratie-Initiativen unter Generalverdacht

Nach dem Willen der schwarz-grünen hessischen Landesregierung soll der Verfassungsschutz Mitarbeiter_innen von Demokratie-Vereinen, Bildungsstätten und Initiativen gegen Rechtsextremismus durchleuchten. Projektträger sehen sich durch ein solches Vorgehen einer Deligitimationskampagne von rechts ausgesetzt.

 
Hessischer Neonazi auf einem Rechtsrock-Konzert. (Quelle: BTN/KA)

Von: Kira Ayyadi

Das hessische Innenministerium ist Zuwendungsgeber für zahlreiche demokratiefördernde Projekte. Ab 2018 will der Geldgeber in einem bisher nicht gekannten Maß in die Autonomie freier Träger eingreifen – als Voraussetzung der Förderung. Der hessische Verfassungsschutz will die „Zuverlässigkeit“ von Beratungs- und Bildungseinrichtungen und vor allem ihre Mitarbeiter_innen  überprüfen. Unter anderem soll damit Einfluss auf die Einstellung neuer Mitarbeiter_innen genommen werden. Die Begründung: In Demokratie-Projekten, die mit Landesmitteln finanziert werden, sollen ganz zu Recht keine Extremist_innen arbeiten.

So heißt es im aktuellen Zuwendungsbescheid für die Projekte in Punkt neun:  „Vor Einstellung von Personal beim Zuwendungsnehmer […] ist eine sicherheitsbehördliche Überprüfung erforderlich. […] Erst nach Vorliegen des Ergebnisses darf ein Arbeitsvertrag mit dem Zuweisungsnehmer geschlossen werden.“ Außerdem müssen alle Mitarbeiter_innen gemeldet werden, bei denen es „Zweifel“ an deren Verfassungstreue gibt. Sollte sich der Zweifel erhärten, können dem Träger die Mittel gestrichen werden.  Wer diese Klausel nicht unterschreibt, bekommt keine Fördergelder mehr.

Schwarz-grüner Gesetzentwurf

Derzeit versucht die hessische Regierung aus CDU und Grünen, einen Gesetzentwurf zum Verfassungsschutz durch den Landtag zu bringen, der die verschärfte Klausel im Gesetz festschreiben will.

In dem Gesetzesentwurf der Landesregierung zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen heißt es:

§21 (1) i: „Das Landesamt darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten, auch wenn sie mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden, an inländische öffentliche Stellen übermitteln, wenn der Empfänger die Informationen benötigt […] [bei] der Überprüfung der Zuverlässigkeit von Personen, aa) die in mit Landesmitteln geförderten Beratungsstellen zur Prävention und Intervention gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen oder in mit Landesmitteln geförderten Projekten eingesetzt sind oder eingesetzt werden sollen; bb) die als Mitwirkende in beratenden Gremien zur Prävention und Intervention gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen tätig sind oder tätig werden sollen.“

Das hessische Innenministerium (CDU) verteidigt seine neue Extremismusklausel in der „Frankfurter Rundschau“ damit, dass somit keine „bekannten Extremisten in der staatlich geförderten Präventions- beziehungsweise Deradikalisierungsarbeit tätig werden.“ So weit, so schlüssig – und in der Praxis doch problematisch.

Was passiert mit Aussteigern?

Besonders in der Deradikalisierungs- und Präventionsarbeit ist es aber oftmals Teil des Konzeptes, dass Mitarbeiter_innen auch schon einmal mit  extremistischen Milieus in Berührung gekommen sind. Dies gilt besonders für die  Präventionsarbeit mit Aussteiger_innen, also ehemaligen Rechtsextremen oder Islamist_innen. Deren Arbeit ist oft besonders erfolgreich und überzeugend. Wie sich der neue schwarz-grüne Gesetzesentwurf auf Kooperationen mit Aussteiger_innen auswirken wird, ist bisher nicht abzusehen.

Im Februar dieses Jahres gerieten zwei Mitarbeiter des Violence Prevention Networks in Frankfurt unter Verdacht, Kontakte zur islamistischen Szene zu haben. Beide wurden von dem Vorwurf entlastet.

Natürlich sollen keine Extremist_innen von links, rechts oder islamistischer Seite mit staatlichen Geldern gefördert werden. Das steht nicht zur Debatte. Dennoch warnen zivilgesellschaftliche Organisationen und Politiker_innen vor den Folgen dieses Gesetzes und das gilt bei Weitem nicht nur für die Arbeit mit Aussteiger_innen.

Für Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, ist der Vorstoß unverhältnismäßig, dass ab dem 1. Januar 2018 Demokratieprojekte, die von Hessen gefördert werden, einer anlasslosen „sicherheitsbehördlichen Überprüfung“ durch den Verfassungsschutz zustimmen müssen, um Landesmittel zu erhalten. Er spricht von einer  „Verdachtskultur“ die hier aufgebaut wird: “Jetzt werden in Hessen wieder die Engagierten für Demokratie einem Generalverdacht ausgesetzt und sollen ausgerechnet vom Verfassungsschutz durchleuchtet werden.”

Unhaltbar findet auch der „Bundesverband Mobile Beratung“das aktuelle Vorgehen. Heiko Klare vom Bundesverband sagt gegenüber Belltower.News: „Deligimationskampagnen von Seiten der AfD und anderer rechter Akteure werden dazu führen, dass der Verfassungsschutz in Zukunft quasi mit am Tisch sitzt, wenn neue Leute eingestellt werden.“ Dass nun nicht mehr darauf vertraut wird, dass Träger ihre Mitarbeiter_innen persönlich prüfen und einschätzen, ob es sich hier um problematische Personen handelt, zeugt von einem „unverständlichem Misstrauen gegenüber Trägern und Personen, mit denen das Land Hessen seit vielen Jahren zusammenarbeitet und bundesweit anerkannte und erfolgreiche Projekte umsetzt“, so Klare.

Mit Kanonen auf Spatzen schießen?

Dieses massive Eingreifen in die Selbstbestimmungsrechte der Mitarbeiter_innen von zivilgesellschaftlichen Organisationen sind bisher nur in sicherheitsrelevanten Bereichen üblich, etwa für Personen  die an sicherheitsempfindlichen Stellen arbeiten oder um die Zuverlässigkeit von Personen „nach dem Luftsicherheits-, Atom-, Jagd- und Sprengstoffrecht“ zu überprüfen. Ab 1. Januar 2018 zählen nun auch Mitarbeiter_innen von beispielsweise der Universität Marburg, des hessischen Jugendrings oder die Bildungsstätte Anne Frank dazu. Bundestagsabgeordnete können hingegen Mitglieder der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ einstellen, obwohl deren Mitglieder zu Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

Zahlreiche Träger in Hessen sind schon seit mehreren Monaten mit dem hessischen Innenministerium wegen der Sicherheitsüberprüfung im Gespräch. „Umso mehr hat es uns erstaunt, dass plötzlich ein Gesetzentwurf vorgelegt wird, der alle Träger unter Generalverdacht stellt“, kritisiert der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Dr. Meron Mendel.

Wer kann Zweifel äußern?

Problematisch an den neuen Bestimmungen in Hessen ist aus Sicht des „Bundesverbands Mobile Beratung“ zudem, dass bei bereits eingestelltem Personal bei „begründeten Zweifeln“ beziehungsweise „begründeten Einzelfällen“ (Wiederholungs-)Prüfungen durchgeführt werden sollen. Es bleibt völlig unklar, so Heiko Klare, wer zweifelt, was eine solche „Begründung“ ausmacht, wer sie wem gegenüber äußern kann und welche Kriterien ausschlaggebend für eine Überprüfung sind. Auch die Intransparenz  der Vorgehensweise und Speicherpraxis der Verfassungsschutzbehörden stellt nach Ansicht des Bundesverbands ein massives Problem dar.

Solche Problematiken müssen vor allem deshalb diskutiert werden, weil das Gesetz als Blaupause für andere Bundesländer und gegebenenfalls auch dem Bund dienen könnte. Denkbar ist etwa, dass die AfD  das Gesetz analog in andere Landtage einbringen könnte – dann mit der klaren Intention, Demokratieprojekte zu beschädigen und behindern. Wenn sie es mit dem Hinweis tun können, dass dies Klausel in Hessen unter Schwarz-Grün bereits Gesetz ist, dürften Gegenargumentationen schwer fallen.

Die Extremismusk?lausel

Die Debatte um die Extremismusklausel begann 2011. Die damalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) führte ein, dass Antragssteller_innen der zivilgesellschaftlichen Bundesprogramme eine schriftliche Einverständniserklärung abgeben mussten, dass sie uneingeschränkt für die freiheitliche demokratische Grundordnung einstehen. Projekte und Initiativen, die diese Demokratieerklärung nicht unterschrieben, bekamen keine Fördermittel aus dem Familienministerium. Damit hatte diese Erklärung zwar keinen Gesetzescharakter, sondern war lediglich Teil einer Verwaltungsvorschrift. Dennoch gab es massiven Protest gegen diese Demokratie-Erklärung. Der Vorwurf lautete, sie behindere Projekte gegen Rechtsextremismus und kriminalisiere viele dieser Projekte als linksextremistisch.  

Viele Initiativen fühlten sich unter Generalverdacht gestellt

Initiativen gegen Extremismus erhalten mit dem Finanzzuwendungsbescheid des Bundes künftig ein Begleitschreiben. In dem verpflichtet der Geldgeber die Geldempfänger, dafür zu sorgen, dass sich in ihren Projekten keiner auf grundgesetzwidrige Weise betätigt. Das Begleitschreiben ist Bestandteil des Zuwendungsbescheides, sein Inhalt also bindend.

Verdachtskultur bleibt bestehen

Nachdem sich 2014 die spätere Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) auf eine Reform der umstrittenen Regelung verständigt haben, wurde die Extremismusklausel in seiner damaligen Form abgeschafft. Seither müssen Geförderte die sogenannte Demokratieerklärung nicht mehr eigenhändig unterzeichnen. Stattdessen wird im Zuwendungsbescheid klar geregelt, dass keine Steuergelder an extremistische Organisationen oder Personen gehen dürfen.  Zwar ändert sich die Form des Bekenntnisses zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, seine Wirkung aber ist dieselbe.

Projektträger müssen also seither durch geeignete Quellen sicherstellen, dass ihre Kooperationspartner, Mitarbeiter und Auftragnehmer die freiheitlich-demokratische Grundordnung anerkennen.

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