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FAQ Stärkt die Regierung nun Projekte gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus – oder nicht? 

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Mit dem Bundesprogramm "Demokratie leben!" fördert das Bundesfamilienministerium zivilgesellschaftliche Arbeit für Demokratie in Deutschland. (Quelle: Screenshot)

 

Das sagt Familienministerin Franziska Giffey:

Das Bundesprogramm „Demokratie leben“, dass zahlreiche Projekte und Initiativen gegen Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ermöglicht, läuft zum Ende des Jahres 2019 aus. Es wird aber eine neue Förderperiode bis 2024 geben. Für diese sollte es in ersten Planungen 8 Millionen Euro weniger finanzielle Mittel geben als bisher. Diese Kürzung wurde aber wieder zurückgenommen. Nun läuft das Programm mit aktuell 115,5 Millionen Euro pro Jahr weiter. Dies hat Bundesfamilienministerin Giffey in der gestrigen Pressekonferenz zum „Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus“ (vgl. BTN) positiv als Verstetigung der politischen Bildungsarbeit und Beratungsarbeit präsentiert. „Demokratie leben“ wird also nicht aufgestockt. Es wird nicht mehr in die Präventions-, Bildungs-, Beratungs- und Ausstiegsarbeit investiert – aber ihre Förderung wird zumindest auch nicht gekürzt.

Aber:

Der Ist-Zustand: 

Wenn eine Förderphase der Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus endet, gibt es eine neue Schwerpunktsetzung und Umstrukturierung des Programms. Dies war auch mit dem Ende des letzten Bundesprogramms, „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ (2011-2014) so. Im aktuellen Förderprogramm von „Demokratie leben“, dass von 2015 bis 2019 lief/läuft, wurden lokale „Partnerschaften für Demokratie“ gefördert – Koordinierungs- und Unterstützungsbüros für Initiativen, die lokal gegen Rechtsextremismus arbeiten. Dazu „Landesdemokratiezentren“ als bundeslandweite Anlauf-, Beratungs- und Informationsstruktur. Es wurden Strukturprojektträger zu Themenfeldern wie Gender und Rechtsextremismus, Bildungsarbeit gegen Antisemitismus, Demokratiestärkung im ländlichen Raum oder Ausstiegsarbeit gefördert, die den Initiativen vor Ort mit Expertise und Rat zur Seite stehen sollten. Und dann gibt es einen Förderbereich der so genannten „Modellprojekte“. Dies sind Projekte, die innovative Methoden gegen die Herausforderungen des aktuellen Rechtsextremismus entwickeln wollen und sollen und damit modellhaften Charakter haben. Sie beschäftigen sich also mit den drängendsten und aktuellsten Problemen, etwa mit dem Umgang mit Hate Speech online, der Widerlegung von Verschwörungsideologien, Bearbeitung von Antisemitismus und Rassismus in der Jugendarbeit oder Konzepte gegen Homo- und Transfeindlichkeit.

Wenn dies erfolgreich ist, sollen die Modellprojekte hinterher theoretisch in die Förderungen der Bundesländer übergehen. Praktisch gelingt dies für einen Teil der erfolgreichen Projekte, aber nicht für alle, weil den Bundesländern dazu die Mittel fehlen.

Oft entdecken Träger von Modellprojekten während ihrer Arbeit allerdings bereits neue Arbeits- und Problemfelder. Sie können bestenfalls auf ihrer langjährigen inhaltlichen und methodischen Erfahrung aufbauen und daraus neue Modellprojekte entwickeln, um weitere gesellschaftliche Probleme zu lösen.

Die Zukunft:

In der neuen Förderperiode von „Demokratie leben“ (2020-2024) will das Bundesfamilienministerium die Förderungen der lokalen „Partnerschaften für Demokratie“, die Landesdemokratiezentren ausbauen und Beratungsangebote wie Opferberatungsstellen und Mobile Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus sichern. Die Idee der „Strukturprojektträger“ wird komplett aufgegeben – und dies jetzt, zu einem Zeitpunkt, an dem die Struktur aufgebaut ist, die Beratungsnetzwerke funktionieren und die bundesweiten Kooperationen qualitative Früchte tragen. Stattdessen soll es jetzt eine komplett neue Struktur aus so genannten „Kompetenznetzwerke“ geben, etwa zu Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus oder Islam- oder Muslimfeindlichkeit. Damit geht – zumindest im Jahr 2020 – wieder viel Energie in den Aufbau der neuen Strukturen statt in die inhaltliche Arbeit.

Da die finanziellen Mittel für „Demokratie leben“ aber gleichbleiben, muss an anderer Stelle gekürzt werden – und das sind die Modellprojekte: Aktuell werden 400 Modellprojekte gefördert – künftig sollen es noch 100 Modellprojekte sein.

Protestierende Projekte

Und dies führt zu den Protesten von Initiativen und Projekten in praktisch allen Arbeitsfeldern der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. So wird gerade unter den innovativsten und zukunftsträchtigsten Trägern ein Kahlschlag betrieben, der der Demokratiearbeit in Deutschland nur schaden kann – und dies in Zeiten, in denen sie wichtiger ist denn je. Indem gerade diese Träger nicht mehr mit Modellprojekt-Geldern gefördert werden, müssen sie ihre Wirksamkeit empfindlich zurückschrauben – oder sind gar ganz in ihrer Existenz bedroht. Büros müssen geschlossen, Mitarbeiter*innen entlassen werden. Das sind strukturelle Einschnitte, die sich nicht schnell wieder rückgängig machen lassen, wenn es sich die Bundesregierung etwa in einem Jahr wieder anders überlegt. Mit den Mitarbeiter*innen und / oder Projekten gehen langjährige aufgebaute Kompetenzen verloren. Wenn ab 2023 dann Projekte etwa gegen Antisemitismus oder für Geschlechtergerechtigkeit wieder in die Förderung aufgenommen werden sollten, fangen dies Projekte wieder bei Null an – eine Verschwendung von Zeit, Geld und Wissen. Bisher zeigt die Erfahrung in Deutschland, dass diese Entwicklung in den seltensten Fällen durch Privat- oder Wirtschaftsgelder kompensiert werden kann.

Rechtsextremismus

Rund 120 Organisationen und ebensoviel Unterstützer*innen haben einen offenen Brief unterzeichnet, der von Familienministerin Giffey eine Erhöhung des bisherigen Fördersumme von 115,5 Millionen Euro auf 200 Millionen Euro fordert, um vor allem die Modellprojektträger zu retten. Darin heißt es: „In seiner jetzigen Form spaltet das Bundesförderprogramm die Zivilgesellschaft in Konkurrenten um die wenigen Projektgelder. (…) Eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Träger kann nun keine Förderung beantragen. Einige von ihnen arbeiten bereits seit Mitte der 2000er Jahre in ihrem Feld, der Wegfall der Gelder ist für viele existenzbedrohend. Die Unterzeichner*innen kritisieren: Dass das Ministerium sich gerade jetzt einer seiner größten Erfolgsgeschichten beraubt, halten wir für falsch. Es braucht mehr Zivilgesellschaft, mehr Engagement, mehr Kompetenz, mehr Erfahrungstransfer, mehr Ermutigung für Minderheitengruppen – und nicht weniger.” Die Absagen stehen, so die Unterzeichner*innen, in eklatantem Widerspruch zu aktuellen Herausforderungen wie rechtsextremem Terror. Ferda Ataman von den „neuen deutschen organisationen“ sagt: „Gerade jetzt darf die Bundespolitik nicht an Demokratieförderung sparen, sie war nie notwendiger als jetzt. Es ist außerdem günstiger, in Gesellschaftspolitik zu investieren, als ständig die Sicherheitsmaßnahmen hochschrauben zu müssen.“

Und auch: „Wir wissen, dass die Situation gefährlich ist, wir wissen, welche Anstrengungen vor uns liegen, um der Gefahr entgegenzutreten. Wir wissen es, weil wir in dieser langen Zeit viel Expertise und Erfahrung gesammelt haben. Und immer, wenn die Ereignisse massiv in der Öffentlichkeit diskutiert werden, weil wieder etwas Furchtbares geschehen ist, sind wir mit unserer Erfahrung und Expertise zur Stelle. Politik, Verwaltung und Medien brauchen sie dann dringend. Darüber sind wir froh, wenngleich wir unter prekären Bedingungen arbeiten. Gleichzeitig sind wir irritiert, dass viel staatliches Geld in Behörden fließt und diese oft weniger kompetent, weniger informiert sind und sehr viel weniger schnell in der Lage sind, auf Problemlagen angemessen zu reagieren.“

Der offene Brief: https://www.demokratie-mobilisieren.de/ 


Ebenfalls von den Kürzungen betroffen: Das Projekt „Netz Teufel“ gegen religiös motivierte Hate Speech im Internet.

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Antisemitismus

Gestern (vgl. BTN) wandten sich Projekte gegen Antisemitismus an die Öffentlichkeit. „Vom Bundesprogramm ‘Demokratie leben!’ (…) erhielten zahlreiche Träger, die in der Vergangenheit Projekte gegen Antisemitismus durchgeführt haben, in den letzten Wochen die Nachricht, dass sie in der kommenden Förderperiode nicht berücksichtigt werden. Hinzu kommt eine geplante Umschichtung innerhalb des Programms.“ heißt es in der Pressemitteilung der Projekte. So berichtet Seyran Ates, Geschäftsführerin der Ibn Rushd Goethe Moschee: „Unsere Antisemitismusarbeit steht mit dem Ablehnungsbescheid aus dem Bundesministerium vor dem Aus.“ Lala Süsskind vom Jüdischen Bildungswerk für Demokratie und gegen Antisemitismus: „Es ist eine politische Bildungsarbeit notwendig, in der auch der positive Beitrag des Judentums zur Entwicklung des aufgeklärten Humanismus, der Bürger- und Menschenrechte sowie der freiheitlichen Demokratie vorkommt. Gerade in der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus sollten Jüdinnen und Juden nicht nur als Opfer vorkommen, sondern als Akteure und Kooperationspartner für Schulen und andere Bildungseinrichtungen aktiviert und vernetzt werden.“ Ulrike Becker vom Projekt „Bildungsbaustein Israel“ des Mideast Freedom Forum Berlin: „Die betroffenen Projekte müssen geplante Seminare und Anfragen absagen, der Aufbau von Expertise und Netzwerken aus fünf Jahren Arbeit bricht weg.“

Arbeit für Geschlechtergerechtigkeit und gegen Antifeminismus und Homo- und Transfeindlichkeit

In der vergangenen Woche äußerten Wissenschaftler*innen und Expert*innen Protest gegen die Kürzungen im Bereich der Gender-Arbeit: Ohne Geschlechtergerechtigkeit keine Demokratie! In dem Demokratieförderprogramm werden kaum Ressourcen für die Bekämpfung von Antifeminismus, Sexismus und Feindschaft gegen Gleichstellungspolitiken und Geschlechterforschung bereitgestellt. (…) Neben der Vielzahl an anerkannten Trägern, die nun vor Existenzfragen stehen, bedeutet dies vor allem auch den Kompetenzabbau für das Themenfeld Antifeminismus, Sexismus und Gleichstellungsfeindschaft, die für eine nachhaltige Analyse und Bekämpfung von Rechtsextremismus unerlässlich ist. Zudem wird es unverständlicherweise kein eigenes Kompetenznetzwerk zu Sexismus oder Antifeminismus geben. Die Unterzeichner*innen kritisieren: Mit der Umstrukturierung des Bundesprogrammes wird dieser Förderbereich fast vollständig zurückgefahren. Das stellt qualifizierte Träger, die langjährig Ressourcen, Wissen und Netzwerke für eine demokratische Zivilgesellschaft aus einer geschlechterdemokratischen Perspektive aufgebaut haben, vor existentielle Fragen. Antifeminismus, Sexismus, die Feindschaft gegen Gleichstellungspolitiken und Geschlechterforschung sind fundamentaler Bestandteil extrem rechter Ideologien. Sie haben eine Scharnierfunktion innerhalb der heterogenen rechten Szene.

Offener Brief des Arbeitskreises geschlechterreflektierende Rechtsextremismusprävention: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2019/10/Gender-matters-Offener-Brief.pdf

 

Der Wunsch: Arbeit gegen Demokratiefeindlichkeit stärken

Die Zivilgesellschaft wünscht sich  – nicht zuletzt angesichts der Wahlerfolge einer antidemokratischen Partei in 2019 und dem Mord an Walter Lübcke, dem Attentat von Halle und den unzähligen Fällen von rassistischer und antisemitischer Gewalt – mehr Unterstützung der Arbeit für Demokratie und gegen Rechtsextremismus, nicht weniger. Das heißt: Wenn das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ auf 200 Millionen Euro aufgestockt würde, könnte es die ausgebaute lokale Förderung und die inhaltlich notwendigen, bundesweit arbeitenden Modellprojekte geben, deren Expertise die lokal Engagierten brauchen.

Dies wäre eine Stärkung der Präventions- und Bildungsarbeit. Alles andere nicht.

 

Die Nachfrage ist hoch, doch das Ende naht auch beim Anti-Hate-Projekt #denk_net in Bremen:

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