Weniger Presse, die einzigen beiden Zuschauer*innen kommen nach der Mittagspause nicht wieder, nur die Mutter des Angeklagten ist da. Am zweiten Verhandlungstag sagt nur ein einzelner Zeuge aus, dafür aber lange: Der Hauptsachbearbeiter des Falls, Herr A., beantwortet über mehrere Stunden Fragen zu den Waffen, die beim Angeklagten Fabian D., einem mutmaßlichen Mitglied der rechtsterroristischen Gruppe „Feuerkrieg Division” (FKD), gefunden wurden. Auch die Chatverläufe der Gruppe sollen Gegenstand seiner Aussage sein. Das ist kein leichtes Unterfangen: Denn das beschlagnahmte Sammelsurium umfasst mehrere Messer, Werkzeuge, drei Schreckschusswaffen, zwei Luftgewehre, das Originalgehäuse eines Maschinengewehrs und weitere Teile, mit denen eine funktionsfähige Waffe hätte gebaut werden können.
Fabian D. hat eine harmlose aber sehr unglaubwürdige Erklärung für dieses Arsenal parat: So sagte er bereits bei seinen Vernehmungen durch die Polizei und seinen Verteidigern, all das hätte er sich mit der Motivation zu einer Mitgliedschaft in einem Schützenverein angeschafft. Er sei an „Survival“ interessiert. Anzeichen dafür, dass er sich nach Schützenvereinen erkundigt hätte, konnten die Ermittler anhand seiner Festplatte oder seines Smartphones nicht nachweisen. Auch Spuren von Outdoor-Aktivitäten konnten nicht nachgewiesen werden. Stattdessen äußerte sich der Angeklagte im Chat der „Feuerkrieg Division“ dazu, welche Teile für den Bau einer Waffe benötigt werden und welche legal erwerbbar sind. Die anderen Teile könnte man „von Freunden herbekommen“. Er wies im Chat aber auch darauf hin, dass die Verwendung von Originalteilen und der richtige Druckausgleich unbedingt beachtet werden müssen. Das Interesse an Survival- und Outdoor-Aktivitäten, seine Recherchefähigkeit und seine Computerkenntnisse hätten sicherlich perfekt zur Bundeswehr gepasst, glaubt man der Werbung der Streitkräfte. In Anwesenheit der Polizeibeamt*innen, die ihn festgenommen haben, hat er sich noch über die Zusage gefreut, die am Tag der Festnahme in seinem Postfach war.
Hass als Ventil
Generell scheint es so, als wäre der Angeklagte auch in der Chat-Gruppe als EDV-Experte angesehen. Der Vorschlag, von der Plattform „wire“ lieber auf die sicherere Plattform „riot“ umzusteigen, kam von ihm. Zwar konnte bei ihm keine Führungsposition in der Gruppe nachgewiesen werden, doch war er ohne Pause sehr aktiv und pflegte „zur informellen Führung nach oben ein Vertrauensverhältnis“. Seine rechtsextremen Äußerungen unterschieden sich in der Radikalität nicht vom Rest des faschistischen und frauenfeindlichen Inhalts. Häufig wurden die Attentäter aus Halle, Christchurch und Bridgeville thematisiert. Sie sind „Heilige“ für die Mitglieder der FKD, die Orte ihres Terrors „Orte der Andacht“. Dabei werden sie glorifiziert und gleichzeitig dafür kritisiert, dass sie „lächerliche Fehler” begangen hätten. „Am liebsten würde ich ihm die Scheiße aus dem Körper schlagen“ ist die Antwort des Angeklagten auf die Fehler des Halle-Attentäters. Dafür, dass seine Mutter ihn als jemanden beschreibt, der jeder kleinsten Auseinandersetzung aus dem Weg gehe, sehr verwunderlich. Aber für diese Art von Aussagen wurde er gefeiert und erhielt Anerkennung. Herr A., der Hauptsachbearbeiter des Falls, sagt, Fabian D. hätte sich unheimlich profiliert und zum Teil sehr hochgestapelt, um als ernsthafte und starke Autoritätsperson in der FKD gesehen zu werden.
Das ist allerdings nur eine Seite der Medaille: Auch ein Bild von einem sozial isolierten, introvertierten und unsicheren Menschen erkennt man in einigen Chatverläufen. Würde man ihr menschenverachtendes Gedankengut und NS-Verherrlichung außer Acht lassen, könnte man fast meinen, es handelt sich einfach um Jugendliche, die die gleichen Sorgen wie andere in ihrem Alter haben.
Frauen sind zum Beispiel ein großes Thema, Frauenhass allgegenwärtig. Einige Mitglieder wahren die Fassade, „Incels“ zu sein – also Männer, die unfreiwillig auf sexuelle Kontakte verzichten müssen. So schreibt der Angeklagte über Frauen: „Wer mit 35 noch keine zwei Kinder hat, sollte in der Öffentlichkeit als Verräterin gehängt werden“. Jedoch wird schnell klar, dass Frust und Unzufriedenheit mit der eigenen Person hinter diesem misogynen Weltbild dahinterstecken. Fabians geringes Selbstwertgefühl äußert sich mitunter immer wieder in den Chats durch die Frage nach Tipps zur Ernährung und Fettabbau. Das Ventil für die Ängste und Unsicherheitsgefühle dieser Gruppe ist ein menschenverachtender Hass auf marginalisierte Gruppen.
Die Suche nach Anerkennung
Während den Verhandlungen festigt sich ein Bild von Fabian D.: ein ruhiger, emotionsloser Einzelgänger, der kein Interesse an familiären oder sozialen Kontakten hat und fast apathisch wirkt. Die Eigenschaften bestätigen alle Zeug*innen, sowie die psychologischen und psychiatrischen Sachverständigen. Das Gutachten des psychiatrischen Gutachtens wird zu einer gefühlt ewigen Erzählung, der man aber aufmerksam und gespannt folgen will. Er hat wenig Gutes über Fabian D. zu sagen, noch weniger über seine Eltern. Ohne jegliche Emotion hört der Angeklagte zu, sein Blick starr nach vorne gerichtet. Auch seine Mutter ist anwesend und hört sich die Ausführungen zur Biographie ihres Sohnes an. Schon im Kindesalter waren Auffälligkeiten in seiner Entwicklung und Sozialkompetenz erkennbar, sodass eine Therapie eigentlich schon damals nötig gewesen wäre, aber in der Krankenakte des Angeklagten nicht auftaucht, so der psychiatrische Gutachter. Die Auffälligkeiten, die Fabian D. schon als Kind aufzeigt, verschlimmern sich in der Pubertät durch Mobbing, fehlende Freunde und enttäuschende Erfahrungen mit Frauen. Sein familiäres und soziales Umfeld hielt sich der Angeklagte auf Distanz und suchte stattdessen woanders nach Anerkennung: Zunächst bei Computerspielen und letztendlich in den Chats einer rechtsterroristischen Gruppe.
Der Psychiater diagnostizierte bei dem Angeklagten eine Autismus-Spektrum-Störung, die auf seine multiplen Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen zurückzuführen ist. Er führt aber auch weiter aus, dass er zunehmend diese „Modediagnose stellen muss“, da sie sehr weit gefasst wird und viele Störungen in das Spektrum fallen können. Jedoch macht er auch deutlich: Fabian D. hat weder einen unterdurchschnittlichen IQ, noch verminderte kognitive Kompetenzen und litt in den vergangenen zwei Jahren nicht an einer Depression, Schizophrenie oder an einem „Wahn“. Das heißt: der Angeklagte ist zurechnungsfähig und war sich seinen strafbaren Handlungen durchaus bewusst. Wenige Tage vor seiner Festnahme schrieb er im Chat, die anderen sollen sich nicht wundern, falls ihn die Polizei „drankriegt”, denn es könnte bald soweit sein.
Ob er wirklich Informationen zu einer bevorstehenden Festnahme hatte oder es Intuition war, ist zweifelhaft, kann die Polizei aber nicht genau sagen. Seine Sorgfalt und Vorsicht spricht ebenfalls dafür, dass er wusste, man könnte ihn belangen: Er versteckte SD-Karten und die Festplatte hinter einem Schrank und in der Dunstabzugshaube, er ließ seine Lieferungen an seine Großmutter oder zu einem Postfach schicken und er betrieb intensive Recherche zum Waffenrecht. Auf die Frage des Richters, ob von dem Angeklagten eine Gefahr ausgeht, antwortet der Psychiater damit, dass er bei Fabian D. die Energie für einen „geringen Aufwand mit größtmöglichem Schaden wie bei einem Anschlag” definitiv gegeben sieht. Die niedrige Hemmschwelle und die Möglichkeit, in der digitalen Welt so schnell positive Aufmerksamkeit zu bekommen, stellen eine hochgefährliche Mischung dar. Mit diesem Gutachten endet der 2. Verhandlungstag.
Die Plädoyers
Die vom psychiatrischen Gutachter geäußerte Gefahr, die von Fabian D. ausgeht, greift der Staatsanwalt aus München in seinem Plädoyer am nächsten Tag, dem 27. November 2020, auf: Er plädiert auf vier Jahre Haft und eine Begleitung des Angeklagten, um seiner weiteren Radikalisierung entgegenzuwirken. Die Glorifizierung anderer Attentäter und der Energie- und Beschaffungsaufwand bewiesen, dass Fabian D. sich mit dem Gedanken auseinandergesetzt habe, wie er Menschen am besten Schaden zufügen könne, so der Staatsanwalt. Seine Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen seien keine Rechtfertigung für eine solche Radikalisierung und Vorbereitung einer Straftat, die Menschenleben bedrohen könnte.
Sein Wahlverteidiger – der zufällig Neffe des Waffenhändlers in Cham ist, bei dem Fabian D. einige Waffen kaufte – allerdings plädiert auf Freispruch. Seine Begründung: Sämtliche Waffen und Werkzeuge, die er besaß, seien legal – wenn auch zum Teil nicht beim Landratsamt gemeldet. Seine Radikalisierung käme durch seine diagnostizierten Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, die er seiner schwierigen Kindheit zu verdanken habe. Die Einschätzungen der psychologischen und psychiatrischen Sachverständigen sind an ihm wohl vorbeigegangen. Fabian D. machte während der gesamten Verhandlung keine eigenen Aussagen. Lediglich auf die Frage des Richters nach einer Therapiebereitschaft antwortet er mit: „Ja, aber nur ambulant“. Die Urteilsverkündung findet am Freitag, dem 4. Dezember 2020, statt.