Der kleine, aufgeweckte Paul wird im katholischen Jungeninternat zu strenger Disziplin und Härte erzogen. Zu Hause leidet er unter seinem gewaltvollen, jähzornigen Patriarchen von Vater. Der Spannungsbogen der Erzählung steigt, die Fremdbestimmung ist nicht mehr auszuhalten und der Junge startet kreative Fluchtversuche aus dieser Kälte. Bis hierhin erzählt der Film eine rührselige und witzige Coming of Age Geschichte. Endlich wird Paul von seiner Mutter aus dem Internat geholt, als der Vater nach langem Drogenmissbrauch gestorben ist. Dessen Tod bedauert niemand so richtig. „Es geht kein Riss durch mein Herz“, kommentiert der eloquente Junge und die Mutter sieht das im Grunde genauso.
Aber jetzt wird eine absurde zweite Geschichte gesponnen – die des Vaters. Es beginnt damit, dass eine ältere Verwandte dem Jungen erklärt, wie sein Vater zu so einem Tyrannen werden konnte. Sie kramt alte Fotos hervor, von orthodoxen Juden in religiöser Tracht, und erzählt, der Vater sei aus einem galizischen Shtetl. Er sei zu schnell zu Reichtum gekommen und nach Wien gezogen. Das Geld und die städtische Umgebung seien ihm maßlos zu Kopf gestiegen. Um die Geschichte eines Patriarchen zu erzählen, muss man keinen reich gewordenen Juden aus einem Shtetl konstruieren. Die Zuschauerin runzelt spätestens hier zum ersten Mal die Stirn. Der schmierige reiche Jude, der auch noch auf falsche Weise an Geld gekommen ist, bedient alte antijudaistische Bilder. Die Einteilung in „richtige“ christliche oder wahlweise deutsche im Gegensatz zur „falschen“ jüdischen Arbeit sind Topoi mit langer Tradition. Im christlichen Mittelalter durfte der Zinshandel ausschließlich von Juden betrieben werden. Damit blieb ein Bild, das sich weiter sponn und Juden mit großem Kapital, in der Moderne mit dem Kapitalismus per se assoziierte. Im modernerem antisemitischem Sprech ist es der Gegensatz von „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital. Die Machtposition, die der Vater innehatte, hat er sich im Übrigen doppelt erschlichen: er konvertierte nach dem Nationalsozialismus zum Christentum und nahm einen lächerlich hohen Posten in der katholischen Kirche ein. Das falsche Spiel, sich in eine Kultur einzuschleichen, zu der man eigentlich nicht gehört – auch hier schrillen die Alarmglocken.
Nach diesen kurz angedeuteten antijudaistischen Klassikern folgen echte Paukenschläge. Der Vater hat also zu Lebzeiten den Fleischer und seine Frau dazu gezwungen, sich zwischen den hängenden Schweineleichen auszuziehen und sich mit Schweinepenissen zu schlagen – als Buße dafür, dass sie in der Nazizeit seine Liebhaberin denunziert hatten. Klingt schon absurd genug? Setzt auch die alttestamentarische Idee jüdischer Rache in Szene, nur aktualisiert um den Holocaust, den der Jude nun für seine Sexpraktik nutzen kann. Dass hier unvermittelt Sex ins Spiel kommt, ist übrigens kein Zufall: die pervers konnotierte, mit den ekligen Blicken des Vaters begleitete SM-Praktik wärmt das Bild des lüsternen, gefährlichen jüdischen Mannes auf. Bekannt ist das zuletzt auch in der Neuverfilmung von „Jud Süß“ mit Martina Gedeck und Moritz Bleibtreu. Die SM-Sex-Szene mit dem verboten geilen Juden wird dort eindrücklich unter dem Bombenhagel im Zweiten Weltkrieg platziert. Die Schweine, die im Film „Wie ich lernte“ die Kulisse bereichern, ergänzen das antisemitische Sex-Motiv noch um ein christliches Schmähbild. Schweine gelten im Judentum als unrein. Bilder vom sexuellen, oft analen, Kontakt zwischen einem männlichen Juden und einem Schwein sind noch bis heute an etwa 30 Kirchen in Deutschland zu sehen. Der Begriff der „Judensau“ hat sich daraus abgeleitet.
Bei dem Thema Nationalsozialismus angekommen, wird auch die Erinnerung daran als unangenehm kommentiert. Der jüdische Onkel zwingt dem armen Jungen geradezu auf, das Grundstück der ehemaligen Synagoge zu betreten und die Augen zu schließen, während er von dem Brand und der Schändung durch Nationalsozialisten erzählt. Gruselige Bilder kommen Paul in den Kopf, er erschreckt sich immer wieder und weint. Es wird nahegelegt, dass das vielleicht etwas zu viel für den Kleinen war. Erstaunlich oft wird dann auch wiederholt, dass die Silbersteins zur Überreaktion tendieren würden. Also vielleicht doch das Geschwätz des Alten nicht so ernst nehmen. Das Motto des Jungen ist ja außerdem „Auf und Davon“ und damit ganz explizit, sich von dem Einfluss des Vaters loszusagen.
Das Jüdische und das Trauma durch den Nationalsozialismus holen Paul spukend heim und haben den Vater so tyrannisch werden lassen. Es wird legitim, den Vater als ekligen, reichen Juden darzustellen, indem, nicht obwohl seine traumatischen Erfahrungen im Nationalsozialismus angedeutet werden. Am Besten, man lässt den kleinen Paul mit dieser ganzen religiösen, ob katholischen oder jüdischen, Tyrannei und auch mit der NS-Vergangenheit in Ruhe. Er will schließlich jetzt machen, was er will, und auf und davon.
Der ansonsten wirklich schöne Film rutscht damit in antisemitische Tiefen ab, die das Filmerlebnis völlig unerwartet madig machen. Es gibt auch sehr witzige Szenen, schöne Beobachtungen und magische Momente. Die antisemitischen Bilder und Assoziationsketten machen sich hier also in einem Kinofilm breit, der mit seiner jungen Hauptrolle an vielen Stellen sehr liebevoll wirkt. Der Applaus, den die Zuschauerin dem jungen Paul für seinen Mut geben möchte, wird jäh gedämpft: Coming of Age wird hier erzählt als die höchst problematische Emanzipation vom jüdischen Vater mit seinen NS-Traumata.