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Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern Jeden Tag Hass

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Basketballplatz des Flüchtlingsheims in Anklam (Quelle: ngn / sr)

„Es ist alles gut. Nein, wirklich, es ist alles gut!“ Saeeb lächelt, er lächelt die ganze Zeit. Er ist aus Syrien nach Deutschland geflohen, jetzt ist er hier, „alles gut!“ Er lebt im Flüchtlingsheim in Ludwigslust, in einem 10 Quadratmeter großen Zimmer mit zwei fremden Männern. Sie haben drei Betten mit zerschlissener Bettwäsche, dazu drei Spinde wie in einer Sportumkleide. Die Küche teilen sie sich mit fünf weiteren Menschen. Im Keller gibt es acht Duschen, von denen sind vier kaputt. Die teilen sich rund 50 Männer. Das Haus verkommt, überall bröckelt Putz, fehlt Laminat. Im Zimmer von Saeeb ist die Heizung kaputt. Die Verwaltung sagt: Ist doch noch warm. Und der Kontakt zu den Menschen „draußen“? „Alles gut“, sagt Saeeb. Sein Zimmergenosse schüttelt den Kopf. Er sagt: „Die mögen uns nicht.“

Als Flüchtling nach Deutschland zu kommen, ist grundsätzlich nicht leicht. Die 230.000 Menschen, die es im letzten Jahr versuchten, leben hier allzu oft bis zur Entscheidung über ihr Asylverfahren jenseits jeder Menschenwürde, wie Said: In heruntergekommenen, mies ausgestatteten, schmutzigen Häusern, zusammengepfercht mit viel zu vielen Menschen auf kleinstem Raum, unter übelsten hygienischen Bedingungen, allein gelassen ohne Sprachkenntnisse und Unterstützung, zum Nichtstun verdammt. Wer sie in diesem Häusern besucht, den überkommt Scham, dass das eigene, reiche Land es nicht einmal schafft, verbindliche Standards festzulegen, dass die Häuser in vernünftigem Zustand sein müssen, regelmäßig geputzt werden, dass es wenigstens eine_n Sozialarbeiter_in auf 50 Menschen gibt.

Bist Du „blond genug“?

Wenn die Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern untergebracht werden, kommt zu all dem Elend allerdings außerdem der rassistische Hass. Es ist ein rassistischer Hass, wie er kaum vorstellbar ist für ein sich demokratisch nennendes Land, und er wird umso schlimmer, je dunkler die Hautfarbe des Flüchtlings ist. Ob und wie die Flüchtlinge über ihn sprechen, ist Typfrage – manche sind zu höflich, manche wollen sich ihre schlimme Lage vielleicht auch nicht eingestehen, wer kann das schon den ganzen Tag. Was alle Flüchtlinge sagen, die wir in Anklam, Güstrow und Ludwigslust besuchen: Dass sie nur selten aus dem Flüchtlingsheim in die Stadt gehen. Dass sie sich bemühen, nicht allein in die Stadt zu gehen. Das klingt so erstaunlich, wenn man den ganzen Tag nichts tun darf und sich in seinem winzigen Zimmer unendlich langweilen muss. Was passiert da draußen?

Aziz ist eine junge Mutter, die mit ihren zwei kleinen Söhnen aus Syrien geflohen ist. Ihren Mann hat sie in Italien das letzte Mal gesehen, dann wurden sie getrennt, sie weiß nicht, wo er ist. Sie ist seit 8 Monaten im Flüchtlingsheim in Anklam, jetzt durfte sie endlich einen Deutschkurs beginnen, erzählt sich freudig. Der Kurs ist im Heim, sie findet das gut: „Denn es lohnt sich nicht, hinaus zu gehen.“ Die Söhne gehen in die Kita und in die Schule, die begleitet sie, sonst bleibt sie auf dem wenig einladenden Gelände im verfallenden Industriegebiet der Stadt. Warum? „Es gibt dort nichts zu tun“, sagt Aziz, und dann: „Da sind die Nazis. Sie beschimpfen uns, sie spucken auf uns, sie schreien. Hier im Haus beschützt uns wenigstens der Sicherheitsdienst.“ Und wie läuft es in der Schule? Aziz lächelt: „Alles gut“. Ihr Sohn, der schon recht gut Deutsch versteht und spricht, schaltet sich ein: „Ich bin blond genug, dass ich keine Probleme habe.“ Wie oft muss ein Siebenjähriger das schon gehört haben, dass er auf so eine Idee kommt?

Nazis und Rassist_innen: Hetzen und Verletzen

Mecklenburg-Vorpommern hat eine verhältnismäßig große und gewalttätige Nazi-Szene, die das Flüchtlings-Thema nutzt, um über rassistische Stimmungen ihren Einfluss in der Gesellschaft zu sichern. Flüchtlings-Helfer berichten, dass die NPD in Schulen Anweisungen herausgibt, sich nicht mit jugendlichen Flüchtlingen anzufreunden oder gar Geschenke auszutauschen. Viele Jugendliche sind schon dadurch so eingeschüchtert, dass sie Ärger für ihre eigene Person befürchten und sich strikt daran halten.

Schlimmer noch trifft die Flüchtlinge allerdings der Rassismus der Mehrheitsgesellschaft, der ihnen alltäglich entgegenschlägt. „Wenn wir das Heim hier in Güstrow verlassen, zeigen uns die Menschen auf der Straße den Mittelfinger, sie schreien und rempeln uns an“, erzählt Abdoulaye aus Mauretanien. Wie oft passiert das? „Jeden Tag. Immer.“ Er sagt, er reagiert dann nicht. „Ich lächle und versuche, freundlich zu sein, aber die Integration ist sehr schwierig. Nur wenn ich im Heim bleibe, habe ich keine Probleme.“ Sherif, ebenfalls aus Mauretanien, ergänzt: „Sie zeigen mit dem Finger auf uns. Neulich kam mir einer entgegen und brüllte mir ‚Ebola, Ebola“ ins Gesicht.“ Der junge Schweißer ist kein Mann großer Worte, er muss sie suchen. Er guckt auf seine Hände und sagt: „Wenn ich in einen Laden gehe und etwas kaufe, will die Verkäuferin nicht einmal das Geld anfassen, dass ich zuvor in der Hand hatte.“ Wie kann man das aushalten? Noch dazu, ohne etwas zu tun zu haben? Abdullah, der in Mauretanien Geologe war und sich jetzt Deutsch aus einem Buch beibringt, weil er noch nicht für einen Sprachkurs zugelassen wurde, sagt: „Ab und zu gibt es eine Disko. Es heißt zwar, in der Disko gibt es hier keine Entspannung, sondern nur Ärger, aber ich bin erst drei Monate hier, ich versuche es trotzdem.“ Außerdem dürfen die Flüchtlinge  zwei Mal in der Woche den Fußballplatz nutzen, davon erzählen alle begeistert. Der Kontakt in örtliche Sportvereine lief dagegen nicht so prickelnd. Oft hören die Flüchtlinge, der Verein sei voll. Ein Freund von Eri aus Ghana wollte in den Boxverein. Dort wurde er im ersten Training gebissen. Seitdem geht dort niemand mehr hin.

Vor wenigen Tagen, am 13.10.2014, gab es in Groß Lüsewitz (Landkreis Rostock) einen Brandanschlag mit zwei Molotow-Cocktails auf das ortsansässige Flüchtlingsheim, zum Glück ohne Personenschäden. Im Ort war zuvor des öfteren zu hören, dass das Heim doch mal brennen solle. Allerdings hatte sich eine Willkommensinitiative gebildet, die gerade den Eindruck hatte, der Konflikt habe sich gelegt. Nach dem Brandanschlag änderte sich das Verhalten im Ort nicht: Keine Bewohner kamen vorbei, um nach den Flüchtlingen zu sehen oder Bedauern über den Vorfall auszudrücken.

Es mangelt an Verständnis und Verständigung

Wer hilft den Flüchtlingen, denen dieser Hass tagtäglich entgegenschlägt? In der Regel sind es private Initiativen, manchmal kirchliche, oft sehr klein, aber engagiert und herzlich. In den Heimen und Wohnblöcken gibt es, wenn es gut läuft, zum Teil auch Sozialarbeiter_innen, die engagiert sind. Allerdings fallen selbst in Gesprächen mit Unterstützer_innen Sätze wie: „Manchmal habe ich schon Angst, ob ich meine Rente noch erlebe oder mich hier mit Aids oder Tuberkulose anstecke.“ Dass wird der Gesundheitszustand aller Flüchtlinge bereits in der Erstaufnahme gecheckt wird, ist offenbar nicht einmal bei dieser Helferin angekommen. Es fehlt an Fortbildungen und Aufklärung, an Stellen, an Übersetzer_innen, an Vermittler_innen – so ist oft niemand da, der zuhört, selbst bei lösbaren Problemen nicht. Eine Frau aus Tschetschenien klagt, dass ihre Wohnung so verschimmelt sei, dass ihre Babytochter immer wieder krank wird. Der Vermieter behauptet, die Frau würde falsch lüften – dabei war der Schimmel schon vor ihr da. Als Mieterin würde man die Miete verweigern, bis der Vermieter den Schaden behebt. Bei einer Flüchtlingsfamilie müsste das der Landkreis als Mieter tun. Aber wie soll sie den Landkreis erreichen?

Lin aus Eritrea ist seit einem Jahr im Flüchtlingsheim Ludwigslust. Sie wohnt in einem sechs Quadratmeter großen Zimmer unter dem Dach, dessen Fenster sich nicht öffnen lässt, in einer Wohnung mit vier fremden Männern. „Die sind aber zum Glück in Ordnung“, sagt die junge Muslima, die in ihrer Heimat Krankenschwester war und die sich am meisten darüber ärgert, dass sie hier ihre Zeit verschwendet, nicht Deutsch lernen darf, nicht arbeiten. „Aber irgendwann lasse ich das hier hinter mir, und dann vergesse ich es“, sagt sie. Hat sie sich Deutschland so vorgestellt? „Nein, natürlich nicht“, sagt Lin, „in Eritrea dachte ich, Deutschland ist das Land, in dem man alles machen kann.“ Und erzählt sie ihrer Familie zu Hause, wie sie hier lebt? „Nein. Die sollen sich keine Sorgen machen.“ Das ist bei sehr vielen Flüchtlingen so. Sie haben ihr Leben riskiert, alles aufgegeben, um nach Deutschland zu kommen – wie schlimm sie es hier vorfinden, werden sie deshalb niemals nach Hause weitergeben, ob aus Schonung oder aus Scham.

„Sie machen gar nichts“

Und dann treffe ich im Flüchtlingsheim in Ludwigslust ein kleines Mädchen, das im Hof Fahrrad fährt und lacht. Gehst Du hier zur Schule? „Ja“, sagt sie. Und, wie ist es da? „Sehr gut. Ich lerne viel.“ Und wie geht es mit den Mitschüler_innen? „Meine Klassenkameraden sind sehr nett. Aber leider gibt es die Hofpause. Dann laufen die anderen Kinder um uns herum und rufen ‚Ausländer, Ausländer, wir spielen nicht mit Euch‘.“ Das ist ja gemein. Was machen denn dann Eure Lehrer_innen? „Sie sind dann nicht da. Sie machen gar nichts.“ Sie setzt sich auf das Fahrrad und fährt weiter. Rassismus ist ihr Alltag. Wie viele rassistische Sprüche müssen ihre Mitschüler_innen in der Grundschule bereits gehört haben, dass sie schon als Siebenjährige so handeln? Und wie hilflos müssen Lehrer_innen sein, davor die Augen zu verschließen?

Die Gespräche wurden geführt  auf einer mobilen Pressekonferenz gegen rechtsextreme Flüchtlingshetze in Mecklenburg-Vorpommern mit Stationen in Anklam, Güstrow und Ludwigslust, organisiert von der Amadeu Antonio Stiftung, am 18.10.2014.

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anettamut

Kommentar Kein Grund zum Jubeln

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