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Flüchtlingsfeindlichkeit Es hört nicht auf – Rechte Gewalt gegen Asylsuchende

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Es wird geschlagen und getreten, gehetzt, geschossen und gesprengt, mit Steinen und Molotov-Cocktails geworfen. Hunderte Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, werden Opfer rechter Gewalt. Der Kampf gegen Geflüchtete und ihre Unterstützer ist eindeutig das dominierende Thema der organisierten Rechten.

Eine weitverbreitete Annahme lautet: Seit weniger Geflüchtete nach Deutschland kommen, nehme auch die Zahl rassistisch motivierter Übergriffe ab. Ein Trugschluss, wie ein Blick in die „Chronik flüchtlingsfeindlicher Vorfälle“ zeigt. In der Chronik sammelt die Amadeu Antonio Stiftung gemeinsam mit Pro Asyl rechte Übergriffe auf Geflüchtete in Deutschland. Für das vergangene Jahr dokumentiert sie bundesweit 3.774 Übergriffe auf Asylsuchende, darunter 123 Brandanschläge. Hinzu kommen 595 tätliche Übergriffe. Insgesamt zählt die Auflistung 434 Verletzte durch Brandstiftungen und körperliche Attacken.

Jeden Tag zehn Übergriffe

Im Schnitt gab es im vergangenen Jahr also täglich zehn Übergriffe auf Asylsuchende. Hinzu kommen hunderte rechte Demonstrationen und Kundgebungen, bei denen unverhohlen gegen Geflüchtete gehetzt wird.

Die Dokumentation ist im Internet öffentlich einsehbar. Als einzige Datenbank bietet sie einen zeitnahen bundesweiten Überblick derartiger Angriffe. Sie ist ein Gradmesser für Hass und Gewalt im Land und erfüllt eine zivilgesellschaftliche Kontrollfunktion: Denn die Chronik ist ein notwendiges Korrektiv zu den Angaben der Sicherheitsbehörden, die immer wieder Fehler aufweisen. Zum Vergleich: Das Bundeskriminalamt hat im vergangenen Jahr 3.533 Übergriffe auf Asylsuchende registriert – also rund 200 Fälle weniger, als in der Chronik dokumentiert sind.

Warum? Um die Vergleichbarkeit der Statistiken zu gewährleisten, orientieren sich die Amadeu Antonio Stiftung und Pro Asyl grundsätzlich an den Erfassungskriterien der Sicherheitsbehörden. Quellen sind im Idealfall Polizeimeldungen. Allerdings werden viele Vorfälle von den zuständigen Ermittlungsstellen nicht per Pressemitteilung öffentlich gemacht. In zwei Bundesländern kann dieses Problem exemplarisch benannt werden: Aus den Angaben des Berliner Senats geht hervor, dass die Polizei hier im Jahr 2016 insgesamt 50 Übergriffe auf Geflüchtete registrierte. Allerdings veröffentlichten die Behörden nur in sieben Fällen eine entsprechende Pressemitteilung. Kaum besser die Lage in Bayern: Von 415 registrierten Fällen machten die bayerischen Ermittlungsbehörden nur 94 auf eigene Initiative hin öffentlich.

Die Dunkelziffer dürfte in jedem Fall deutlich höher liegen. Viele Fälle kommen nie zur Anzeige – teils, weil die Betroffenen Angst vor der Polizei haben, teils, weil sie kein Aufsehen erregen wollen aus Sorge um ihren Aufenthaltsstatus oder ihr laufendes Asylverfahren.

Insbesondere Lokalredaktionen erhalten oftmals wertvolle Hinweise auf Vorfälle, die andernfalls nicht zeitnah öffentlich gemacht würden. Ein Beispiel: Am 23. Februar 2016 warfen Unbekannte mit einem Stein die Scheibe einer Asylunterkunft im sächsischen Moritzburg ein. In dem dahinter liegenden Zimmer befanden sich zum Tatzeitpunkt mehrere Menschen, glücklicherweise wurde niemand verletzt. Ein Zeuge hatte die Sächsische Zeitung auf den Vorfall hingewiesen. Erst auf Nachfrage der Redaktion bestätigte die zuständige Ermittlungsstelle den Vorfall, weiterführende Details wurden der Zeitung jedoch verweigert. Nur der Hartnäckigkeit der Redaktion ist es zu verdanken, dass die Öffentlichkeit überhaupt von dem Vorfall erfuhr. So konnten wir den Fall in die Chronik flüchtlingsfeindlicher Vorfälle aufnehmen. In der Statistik des Bundeskriminalamts fehlt dieser Vorfall jedoch bis heute.

Marius Münstermann

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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