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„Flüchtlingsheim ausgerechnet in Hoyerswerda?“ Warum eigentlich nicht?

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Hauptbahnhof in Hoyerswerda: Ankommen, informieren oder doch wieder abfahren? (Quelle: flickr/ IngolfBLN)

Am 12. Dezember titelte sueddeutsche.de „Ausgerechnet Hoyerswerda?“ und stellt damit genau die Frage, die seit September diesen Jahres viele Menschen bewegt. Nachdem 1991 in Hoyerswerda ein tagelanges Pogrom gegen Vertragsarbeiter*innen und Asylsuchende stattfand, soll Anfang 2014 wieder ein Heim für Asylsuchende eröffnet werden. Begründet wird dieser Schritt mit dem leichten Anstieg der Flüchtlingszahlen in den vergangenen Monaten, der die Landkreise und Kommunen vor ein Unterbringungsproblem stellt. Rund 640 Asylsuchende wohnen derzeit im Landkreis Bautzen, bis zu 400 neue Flüchtlinge werden für das kommende Jahr erwartet. Nachdem im Landkreis schon große Heime in Kamenz und Bischofswerda eröffnet wurden, ist in Hoyerswerda ein vergleichsweise kleines Heim mit 120 Plätzen geplant.  

Bundesdeutsche Aufmerksamkeit für die Kleinstadt

In Hoyerswerda lebten und leben in den vergangenen Jahren schon einige Flüchtlinge. Bekannt wurde etwa der Fall des Irakers Saad Latif Abdulsattar und seiner Familie. Gemeinsam lebten sie lange Zeit mit wohnungslosen Deutschen in einem Heim am Rand der Stadt, nach langen Kämpfen konnte die Familie erst in eine Wohnung, später in eine andere Stadt umziehen. Im Zusammenhang mit der geplanten Heimeröffnung ist aus Kreisen der Stadtverwaltung, aber auch der Zivilgesellschaft und der Opferberatung der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Sachsen die Angst vor einem erneuten 1991 spürbar.

Aber warum eigentlich kein Flüchtlingsheim in  Hoyerswerda? Anders als in Orten wie Pätz, Schneeberg oder auch in Berlin Marzahn-Hellersdorf marschieren hier nicht jedes Wochenende Nazis gemeinsam mit Bürger*innen gegen das geplante Heim. Vielmehr hat sich kurz nach Bekanntgabe des geplanten Heimstandorts eine Bürgerinitiative „pro Asyl in Hoyerswerda“ zusammengefunden, es gibt eine Facebook-Seite mit über 1.000 Likes. Auch die Stadtverwaltung bewegt sich und hatte Mitte November ein erstes Bürgerforum zur Informationsweitergabe veranstaltet. Auf dem fanden sich – trotz Ausschlussklausel gegen Nazis – allerdings ebendiese wieder. Dennochwar die Veranstaltung kein voller Reinfall, viele Stimmen wurden laut, die sich solidarisch mit den Flüchtlingen zeigten und Hilfsbereitschaft, wenigstens aber Verständnis äußerten. Auf dem Podium saß unter anderem der Polizeipräsident Conny Stiehl und teilte der verdutzten Versammlung mit, wie hoch die Anzahl der Diebstahlsdelikte in der kleinen Stadt seien und dass Asylsuchende im Vergleich zur aktuellen Wohnbevölkerung im Durchschnitt viel seltener straffällig werden. Dazu im krassen Gegensatz stand der Leiter des Ordnungsamts des Landratsamt Bautzen, René Burgk, der Asylsuchende, im Prinzip alle als kriminell empfindet, weil sie ja erst einmal widerrechtlich im Land seien. Oberbürgermeister Skora (CDU) hält sich inhaltlich auf der Veranstaltung und auch im breiteren Diskurs heraus. Er betont stets, dass die Kommune gezwungen sei, Flüchtlinge aufzunehmen und alles eine Entscheidung der Landratsämter wäre. Anders als in anderen Städten verhält er sich damit nicht.

Die Zivilgesellschaft zeigt sich aktiv

Was Hoyerswerda auszeichnet ist der frühe Zusammenschluss der Bürgerinitiative. Man hat hier wohl aus den bundesweiten Protesten seit Berlin Marzahn-Hellersdorf gelernt und auch aus 1991. Pfarrer Michel von der Evangelischen Gemeinde ist eine Schlüsselfigur der Zivilgesellschaft in der Braunkohlestadt, 2006 hat er das Netzwerk der „Initiative Zivilcourage“ mit gegründet. Anlass waren die Naziaktivitäten zum 15. Jahrestag des Pogroms 1991.

„Nach dem Bürgerforum von Oberbürgermeister Skora haben wir einen Netzwerkabend zum Thema Asyl in unserer Stadt veranstaltet. Dabei waren circa 80 Personen, aus der Kirche, von Vereinen, Stadträte, Bürgerinnen und Bürger, alte wie junge. Sehr schnell kam es zu konkreten Verabredungen“, berichtet Michel. Das Bündnis habe drei Gruppen gebildet, die jeweils eigene Schwerpunkte bearbeiten. Eine Gruppe ist für die direkte Hilfe der Betroffenen zuständig, zum Beispiel wird Winterkleidung gesammelt. Die zweite Gruppe soll die Brücke für die Flüchtlinge zur Bevölkerung schlagen und so Isolierung verhindern. Geplant sind Einladung zu Sportvereinen, schulische Nachhilfe und Deutschkurse. Die dritte Gruppe ist mit Öffentlichkeitsarbeit betraut, die lokalen und überregionalen Medien sollen bespielt und die Mitbürger*innen informiert werden. Fakten gegen Vorurteile ist hier das Motto. Die Zivilgesellschaft zeigt sich gut vorbereitet, auch die Stadtverwaltung steige laut Michel langsam ein. Von Seiten der RAA Sachsen wird außerdem eine Schulkooperation geplant. Auch Michel weist darauf hin, dass sich zwei Schulen in der Stadt auf Flüchtlingskinder gut einstellen können: „Eine Grund- und eine Oberschule unterrichten schon Deutsch als Fremdsprache. Das liegt daran, dass viele Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion in der Region wohnen“. Kontakte bestehen zu einer Bürgerinitiative aus Kamenz. Dort wurde 2012 ein großes Flüchtlingsheim eröffnet, eine klassische Platte am Rand der Stadt. Trotzdem ist es den Bürger*innen gemeinsam mit der Stadtverwaltung gelungen, die 400 dort lebenden Menschen aus der Isolation zu holen und das Stadtleben zu öffnen. Anfängliche Proteste der örtlichen Neonaziszene und auch rassistischer Bürger*innen sind im Sande verlaufen.

Hoyerswerda hat immer noch ein Problem mit militanten Neonazis

Alles in allem klingt das rosig. „Dennoch hat Hoyerswerda gegenwärtig ein Problem mit militanten Neonazis. Es gibt einen festen Kern gewaltbereiter Akteure, die obwohl oft polizeilich bekannt, seit Jahren regelmäßig durch brutale Angriffe und andere Straftaten auffallen. Die Ordnungsbehörden sind offenkundig nicht in Lage angemessen darauf zu reagieren und eine Solidarisierung mit den Betroffen bleibt nach wie vor aus“, erklärt Mathias von der Initiative Pogrom 91. Die antifaschistische Gruppe arbeitet seit Jahren daran, das Pogrom von 1991 kritisch aufzuarbeiten. „Solange man sich in Hoyerswerda zuerst Sorgen ums Image der Stadt macht, während, wie im letzten Jahr, immer noch Menschen auf Grund eines Naziüberfalls die Stadt verlassen müssen, sehen wir die Einrichtung der Flüchtlingsunterkunft mit Sorge.“ Diese Sorge teilen auch die Akteure der Zivilgesellschaft in Hoyerswerda. 

Die Facebook-Seite „Nein zum Heim Hoyerswerda“ hat tatsächlich doppelt so viele Likes, wie die „Pro Asyl“-Seite. Wenige Stunden, nachdem die geplante Heimeröffnung verkündet wurde, war die Seite online. Johannes Baldauf von no-nazi.net meint: „Die Seite gegen das Heim in Hoyerswerda befindet sich einem Netzwerk rechter Seiten auf Facebook. Sie benutzt die gleiche Bildsprache, wie die Dachseite gegen sogenannte Asylantenheime in Deutschland. Hier laufen viele Fäden zusammen. Und wir sehen da eine große Nähe zu Angeboten der NPD.“ Es darf also bezweifelt werden, dass es hier wirklich nur die „besorgten Anwohner*innen“ sind, die auf den „Gefällt mir“-Button klicken.

So langsam zeigt sich die rechtsextreme NPD und ihr Klientel auch in der Kleinstadt wieder aktiv. „In letzter Zeit kam es tatsächlich zu Aufrufen des rechten Lagers, sich mit Reizgas einzudecken, wenn die Flüchtlinge kommen“, erzählt Pfarrer Michel. Dabei sei es auch an der Stadt, diese Gefahr ernst zu nehmen. Und ihr mit der Bürgerinitiative eine positive Kampagne entgegen zu setzen. Dazu gehört es aber auch, die Verantwortung für das Pogrom 1991 aufzuklären und nicht weiter unter den Teppich zu kehren. 

Also „Ausgerechnet Hoyerswerda“? Warum eigentlich nicht.

Bis jetzt sind die rassistischen Ausschreitungen gegen die Flüchtlingsunterkunft in der sächsischen Kleinstadt vergleichsweise gering. Auch und gerade weil die bundesdeutsche Aufmerksamkeit auf der Stadt liegt und jeden Schritt verfolgt. Die örtliche Polizei sowie die Stadtpolitik stehen damit unter Druck. Und die Zivilgesellschaft ist für die kleine Stadt mit dem rechten Problem gut aufgestellt, obwohl das Heim noch nicht eröffnet wurde. In vielen anderen Städten sucht man eine vergleichbar frühzeitige und konstruktive Mobilisierung vergeblich. Es scheint, Hoyerswerda hat aus 1991 doch etwas gelernt. 

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