Beate Zschäpe ist nicht die einzige an den Taten des „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) beteiligte Frau. Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess steht zwar im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit, im Laufe der seit Mai 2013 laufenden Verhandlung kamen jedoch auch Tatbeiträge weiterer rechtsextremer Frauen und ihr Wirken in der rechtsextremen Szene zur Sprache.
Rechtsextreme Frauen, oft als Funktionärinnen in verschiedenen Organisationen der rechten Szene tätig, unterstützten den NSU nach dem Abtauchen unter anderem mit Ausweisdokumenten und Krankenkassenkarten. Zschäpe konnte so auf verschiedene Tarnidentitäten zurückgreifen und die Helferinnen konstruierten damit einen wichtigen Rahmen. Plausible Legenden wurden gestrickt, beispielsweise wurde sehr wahrscheinlich auf das Kind mindestens einer Helferin „zurückgegriffen“, um sich gelegentlich als Pärchen mit Kind präsentieren zu können. Die Unterstützerinnen trugen entscheidend dazu bei, den NSU über Jahre hinweg erfolgreich dem Zugriff der Ermittlungsbehörden zu entziehen.
Im Folgenden soll ein Rückblick auf die Auftritte einiger dieser Frauen im Rahmen der Zeug/innen-Vernehmungen vor dem Oberlandesgericht München gegeben werden. Dabei soll gezeigt werden, inwiefern diese strategisch mit bestimmten Bildern über Frauen und über Familie umgehen. Strategien des Leugnens, Verharmlosens, des Vortäuschens von Unwissenheit und des Vergessen-Haben-Wollens werden von vielen (ehemaligen) Angehörigen der rechtsextremen Szene unabhängig ihres Geschlechts bei ihren Aussagen vor Gericht befolgt. Zusätzlich werden Vorstellungen von Weiblichkeit aufgerufen und bedient. Dazu gehören:
das Bild der friedfertigen Frau, die als harmlos bzw. nicht gewalttätig einzuschätzen sei.Das Bild der innerhalb der rechtsextremen Szene untergeordneten Frau, die keinen Einfluss ausüben kann und für eigenes Handeln nicht verantwortlich sei.Das Bild der unpolitischen „Freundin von…“ dem rechtsextremen Mann, die selbst keine eigenständig politisch handelnde Person sei.Das Bild der fürsorgenden Mutter und damit verbunden das Bild der friedfertigen, liebevollen Familie, in der es allein um die Sorge für die Kinder, nicht politische (rechtsextreme) Ansichten gehe.
Von Müttern, Mitläuferinnen und unpolitischen „Freundinnen-von-…“
Mandy S. war jahrelang Aktivistin der im Jahr 2011 verbotenen rechtsextremen „Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene“ (HNG) und gilt als wichtige NSU-Helferin der ersten Stunde nach dem Abtauchen von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos im Januar 1998. Sie vermittelte den drei Gesuchten Wohnungen in Chemnitz und half beim Beschaffen falscher Papiere. Der untergetauchten Zschäpe stellte sie auch ihre Krankenkassenkarte zur Verfügung.
Unter rechtsextremen Skinheads in Chemnitz genoss „white power-Mandy“ in jener Zeit offenbar ein gewisses Ansehen – in Szenepublikationen rief sie im rechtsextremen Duktus zu mehr Ordnung auf und wandte sich gegen interne Streitereien. Zudem regte sie die Gründung der „Sächsischen Aktionsfront“ nach Vorbild der „Fränkischen Aktionsfront“ an. Sie soll „Blood&Honour“ in Chemnitz zumindest nahe gestanden haben. Das elitäre rechtsextreme Musiknetzwerk „Blood&Honour“ hat die Verbreitung nationalsozialistischer Ideologie zum Ziel und organisierte insbesondere mit seinem sächsischen Ableger maßgeblich die Unterstützung des NSU in der ersten Zeit nach der Flucht.
Vor Gericht versuchte sich die inzwischen 39-jährige Mandy S. im Widerspruch dazu, als einfache Mitläuferin und „Männeranhang“ zu präsentieren. In der Chemnitzer Szene hätten sich Frauen entweder angepasst oder seien ausgelacht worden. Zeugenaussagen ihrer männlichen „Kameraden“, die ihr eine Führungsrolle bescheinigten, wollte sich Mandy S. nicht erklären können. Mittlerweile sei sie zudem Mutter und habe sich längst aus rechtsextremen Kreisen zurückgezogen.
Ebenfalls mit einer Krankenkasse für Beate Zschäpe behilflich war mit Silvia Sch. (geb. R.) eine Frau, die – ihrer Darstellung vor Gericht nach – ihre Unterstützungsleistung erbrachte, ohne sich dazu je irgendwelche eigenen Gedanken gemacht zu haben. Die Krankenkassenkarte habe sie auf Bitten ihres Mannes und des im NSU-Prozess Mitangeklagten Holger G. hin gegen Geld abgegeben. Politik interessiere sie nicht und sie habe sich nicht gefragt, wozu und von wem die Krankenkassenkarte verwendet werden sollte. Bei nicht wenigen Prozessbeobachter_innen drängte sich dementsprechend der Eindruck auf, dass sich die Zeugin als naiver darzustellen suchte, als wahrscheinlich und glaubhaft ist.
Katrin D. – Szenename: „Mappe“ – verzichtete bei ihrer Aussage darauf, die Rolle von Frauen in der rechtsextremen Szene generell kleinzureden. Die heute im Bereich Catering und Security tätige Angehörige der Chemnitzer Skinheadszene wollte sich selbst jedoch wenig für Politik interessiert haben. Eine Darstellung, die sie in ihrer Aussage jedoch nicht durchzuhalten vermochte – so räumte sie ein, im Vergleich zu ihrem damaligen Freund sehr wohl „politisch“ gewesen zu sein. „Mappe“ stritt in diesem Zusammenhang eine Mitgliedschaft bei „Blood&Honour“ ab, auch wenn das ein anderer Zeuge so angegeben hatte. Sie habe auch keine Unterstützung für die Untergetauchten geleistet, weil sie zu dem Zeitpunkt gerade Mutter geworden sei und daher ohnehin Kontakte zur Szene verloren habe. Katrin D. betonte jedoch, dass sie – ohne Kind und wenn man sie gefragt hätte – Hilfeleistungen erwogen hätte. Denn „Freundschaft“ sei für sie sehr wichtig. Gegenüber der Polizei belastende Aussagen über „Kameraden“ zu machen, lehne sie hingegen als „Verrat“ strikt ab. Beate Zschäpe will sie angeblich als freundliche Hausfrau eingeschätzt haben. Es liegt jedoch nicht nahe, dieser Angabe Glaubwürdigkeit beizumessen. Auch die Szenekontakte von Katrin D. hielten über die Jahre offenbar deutlich besser, als von ihr behauptet. So arbeitete sie in den 2000er Jahren in einem von Rechtsextremen betriebenen Ladengeschäft und reiste zum Prozess in Begleitung eines weiteren mutmaßlichen NSU-Helfers aus Chemnitz an.
Antje P. (gesch. B.) ihrerseits leugnete die Mitgliedschaft bei „Blood&Honour“ nicht. Sie sei sogar in den 1990er Jahren bei der Gründungsveranstaltung des sächsischen Ablegers zugegen gewesen, wollte sich an eine politische und militante Ausrichtung des Musiknetzwerks aber vor Gericht nur mühsam erinnern. Irgendeinen Zusammenhang mit „white power“ habe es für andere Mitglieder möglicherweise gegeben – ihr sei es jedoch ausschließlich um die Musik gegangen. Antje P. sprach allerdings auch von einer „Angst“ davor, dass ihre Kinder mit ‚nicht-weißen‘ Kindern spielen müssten und gab so eine rassistische Haltung zu erkennen. Später habe sie familiäre und kinderfreundliche Aktivitäten bei „Blood&Honour“ vermisst und sei als Mutter angeblich kaum noch involviert gewesen. Ihre Erwartung ergibt dabei innerhalb der rechtsextremen Ideologie durchaus Sinn, da die ‚deutsche‘ Familie als kleinste Einheit der ‚arischen‘ Volksgemeinschaft in der rechtsextremen Szene idealisiert und als politisches Kampffeld verstanden wird. ‚Rassezucht‘ und die feindliche Ausrichtung gegen ’nicht-deutsche‘ Familien (und Kinder) sind ’normale‘ Bestandteile dieser Ideologie.
Jedenfalls habe Antje P. als „Mädel“ in der Szene „eigentlich an den Kochtopf“ gehört und sei nicht in die Aktivitäten „der Jungs“ eingeweiht worden. Im Widerspruch dazu wurden im Prozess Hinweise erörtert, denen zufolge Antje P. unter ihrem Spitznamen „Karline“ an der Verwaltung der Finanzen von „Blood&Honour Sachsen“ beteiligt gewesen sein dürfte. Laut Zeugenaussagen habe Antje P. auch die Übergabe ihres Reisepasses an die flüchtige Zschäpe erwogen und in Diskussionen bei „Blood&Honour“ angeregt, die „politische Arbeit“ im Untergrund in Form von Anschlägen durchzuführen. Beiden Darstellungen widersprach Antje P. vor Gericht – als Mutter sei dies für sie nicht in Frage gekommen.
Die heute 67-jährige Edda Sch. ist Funktionärin der NPD und eine der ältesten aktiven Rechtsextremistinnen in Deutschland. Sie verbreitet rassistische Ideologie unter anderem als „Brauchtumspflege“ im Rahmen einer „heidnischen Religion“, in der „die Germanen“ im Mittelpunkt stehen. Am Rande eines inhaltlich entsprechend ausgerichteten Vortrags in Thüringen im Jahr 2000 soll Edda Sch. laut Aussagen eines anderen Beteiligten ein Gespräch zwischen NSU-Unterstützern aus Thüringen und Sachsen eingefädelt haben. Diesen Vorwurf wies Sch. in ihrer Zeuginnenvernehmung vor Gericht allerdings weit von sich. Mindestens ebenso deutlich wies sie von sich, „ein Verräter“ zu sein.
Mit Juliane W. wurde im Prozess auch eine ehemalige Zuträgerin des Thüringer Verfassungsschutzes befragt. Die damalige Rechtsextreme wurde im Alter von 15 Jahren die Freundin des im NSU-Prozess Mitangeklagten Ralf Wohlleben und gab bis zum Ende dieser Beziehung 1998/ 1999 als Gewährsperson „Jule“ Informationen an die Behörde weiter. Das erfolgreiche Abtauchen des damals frisch aus Jena geflüchteten „NSU-Trios“ fällt in diese Zeit. Auch Juliane W. hatte daran einen Anteil, etwa indem sie aus den Wohnungen der Geflüchteten persönliche Gegenstände zu holen versuchte oder zeitweise offenbar den Kontakt mit der Familie Mundlos herstellte. Vor Gericht war die Erinnerung der Zeugin von bemerkenswert umfangreichen Lücken gekennzeichnet. Insofern sie Erinnerungen schilderte, fielen die Beschreibungen verharmlosend aus. So will Juliane W. das antisemitische „Pogromly“-Monopoly-Spiel offenbar wie ein normales Gesellschaftsspiel wahrgenommen haben. Die politische Einstellung ihrer rechtsextremen Kamerad/innen beschrieb sie als „rechts angehaucht“ – sie selbst sei eine Mitläuferin und als Freundin von Ralf Wohlleben in der Szene gewesen.
Erfolgreiche Strategien der Hilfe und Selbsthilfe?
Bislang scheinen aus dem Kreis der Frauen im NSU-Umfeld allenfalls Mandy S. und Susann E. nennenswerte Strafen zu drohen, da ihnen ihre Unterstützungsleistungen im Rahmen eines weiteren Prozesses vorgeworfen werden könnten.[2] So machte Susann E. im laufenden Verfahren von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, um sich selbst bzw. ihren Mann nicht belasten zu müssen. Unter anderem soll sie Beate Zschäpe ihren Personalausweis zur Verfügung gestellt haben und die mutmaßliche Rechtsterroristin womöglich gemeinsam mit ihrem Mann André mit frischer Kleidung versorgt haben, nachdem diese im November 2011 die NSU-Versteckwohnung in Zwickau angezündet hatte. Zusätzlich steht der Verdacht im Raum, dass Susann E. die Mutter eines der Kinder sein könnte, mit denen sich NSU-Mitglieder gelegentlich sehen ließen, um beispielsweise unauffällig Wohnmobile für ihre Taten anmieten zu können. Auch wenn (noch) nicht geklärt ist, mit dem Kind welcher Unterstützer/innen Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt bei dieser Gelegenheit auftauchten, zeigt der Vorfall doch, dass der NSU zu seiner Tarnung auch sehr bewusst und geschickt auf gesellschaftlich verbreitete (Familien-)Bilder setzte. Wer wird in einer als Kleinfamilie erscheinenden Personengruppe schon Terrorist/innen, Mörder/innen und Bankräuber/innen vermuten?
Von Beate Zschäpe einmal abgesehen drohen die an den Taten und am Abtauchen des NSU beteiligten rechtsextremen Frauen sehr glimpflich davonzukommen. Die Strategie des Vorschützens von Erinnerungslücken und des Verschweigens zeigt die fortbestehende Verbundenheit zwischen den Angeklagten und den Personen aus dem (ehemaligen) Umfeld des NSU. Sie hilft gleichermaßen den Angeklagten wie den Zeug/innen, die eine strafrechtliche Verfolgung befürchten müssen.
Frauen aus dem Umfeld spielen zusätzlich strategisch mit Geschlechterstereotypen und -klischees und helfen so sich selbst und auch der Angeklagten. Wenn Frauen nur harmlose und zweitrangige Rollen und Aufgaben in der rechtsextremen Szene ausfüllen können, ist sowohl der jeweilige Beitrag der als Zeugin aussagenden Unterstützerin, als auch der der Hauptangeklagten, als ein nur geringer denkbar. So erklären sich die zum Teil äußerst widersprüchlichen Auftritte (vormals) rechtsextremer Frauen beim NSU-Prozess in München, deren Selbstpräsentationen oftmals nicht mit ihren belegten tatsächlichen Taten in Einklang zu bringen sind.
Als besonders glaubhaft scheinen (ehemalige) NSU-Helferinnen die Behauptung einzuschätzen, Mütter würden sich aus der rechtsextremen Szene und deren Aktivitäten – zumindest aber aus dem Umfeld rechtsterroristischer Taten – wie selbstverständlich heraushalten. Dass dies für überzeugte und fanatische Rassistinnen gelten soll, denen die Zukunft ihrer „weißen Kinder“ also gemäß der rechtsextremen Ideologie ganz besonders „am Herzen“ liegen muss, ist jedoch nichts mehr als eine Behauptung überzeugter und fanatischer Rassistinnen. Der NSU-Fall legt nahe, dass die Realität der rechtsextremen Szene diese Behauptung widerlegt.
Anmerkungen:
Beate Zschäpe ist entgegen einer weit verbreiteten Auffassung auch nicht die erste am deutschen Rechtsterrorismus beteiligte Frau: Amadeu-Antonio-Stiftung/ Fachstelle Gender und Rechtsextremismus (2014) (Hg.): „Rechtsterroristinnen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“, in: „Rechtsextreme Frauen übersehen und unterschätzt“, Broschüre, online: www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/broschuere_rechtefrauen.pdf
Denkbar ist auch, dass zumindest auf einige der oben genannten Rechtsextremistinnen die strafrechtliche Verfolgung für Falschaussagen im NSU-Prozess zukommen wird. Deren Nachweis gilt allerdings als juristisch schwierig.
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