Das spannende an Männlichkeitsbildern ist, dass sie ohne die Frauen nie so ganz auskommen, ob als Gegenpol oder als Sehnsuchtsort. Diese Absurdität zeigt sich besonders bildhaft in Verbindungsmilleus. „Das Frauen- und Männerbild in diesen Kreisen ist sehr traditionell. Die Männer präsentieren sich selbst als stark, tapfer und mutig. Frauen sind die polare Geschlechtervorstellung – zart und zurückhaltend. Das hat sich seit dem Anfang des 19. Jahrhundert nicht sehr verändert, und in einigen Verbindungen scheinen die Neuerungen der Emanzipation verpufft zu sein.“, erklärt die Politikwissenschaftlerin Alexandra Kurth dem Freiburger Magazin fludder. Sie forscht zum Thema Männerbünde, Burschenschaften und Damenverbindungen.
Von den circa 900 Student:innenverbindungen in Deutschland sind nur ein Bruchteil gemischt. Frauen gibt es trotzdem. Aber meist in Form der sogenannten Couleurdamen. Das sind Frauen, die offiziell zu Tanzveranstaltungen und Festlichkeiten eingeladen werden, oder auch bei gemischten Chören von Sängerschaften, also musischen Studentenverbindungen, als „Chordamen“ mitmachen dürfen. Mitglieder werden oder gar mitentscheiden dürfen sie jedoch nicht. Der Sängerschafter Karsten Hoage erklärt poetisch: „Frauen sind wie das Meer – wunderschön, manchmal aufregend und wild, manchmal beruhigend und sanft. Sie fordern uns heraus, sie zu ergründen, sie zu bereisen und sie zu erobern. Nur – wie auch das Meer – wollen wir sie auf Dauer nicht im Haus haben.“
Manche der Frauen wollten das allerdings nicht so auf sich sitzen lassen und gründeten eigenen Verbindungen nur für Frauen. Die meisten sind dabei bereits zuvor Teil des Verbindungsmillieus gewesen. Als Töchter von „Alten Herren“, (also Verbindungsangehörigen, die nicht mehr studieren) Freundinnen und Beziehungspersonen von Männern aus Studentenverbindungen. Während einige Verbindungen das Bestreben finanziell unterstützten, mussten die Frauen aber auch viel Gegenwind ertragen. Einige Verbindungen erkennen sie nicht an, laden sie nur unter der Bedingung zu Veranstaltungen ein, dass sie nicht sichtbar als korporiert auftreten oder beschimpfen sie als „Tittenbuxe“ und „Sektpanzer“. Alexandra Kurth führte Interviews mit korporierten Frauen und fasst zusammen: „Alle meine Interviewpartnerinnen haben von verbalen Übergriffen, also Beleidigungen oder auch körperlichen Übergriffen gesprochen.“ Gleichzeitig sind die Frauen mit strengen sozialen Regeln konfrontiert, die sich durch die hierarchischen Strukturen, das Prinzip, auf Lebenszeit Mitglied zu werden („Lebensbundprinzip“) und die starken Vernetzungen zuspitzen. So sollen sie weniger Geschlechtspartner haben als ihre männlichen Pendants, um nicht als „Coulerumattratze“ gelabelt zu werden und werden häufig auch in ihrem Alkoholkonsum kritisch beäugt. Gleichzeitig sind sie von den Männern abhängig, denn der Großteil der Damenverbindungen gründete sich erst nach 2000 und hat noch wenige finanzielle Ressourcen, normalerweise keine eigenen Häuser, nur kleine Netzwerke und einen Dachverband für Damenverbindungen gibt es ebenfalls nicht. Deshalb mieten sie sich häufig in die Häuser von Studentenverbindungen ein, oder greifen auf deren Netzwerke zurück.
Die Damenverbindungen übernehmen das Prinzip des Lebensbunds und oft auch die Grundzüge der Regelwerke und Verbindungs-Hierarchien der Studentenverbindungen. Sie bilden dabei allerdings ein weites Spektrum ab. Während sich manche der Damenschaften stark an den männlichen Pendants orientieren, gibt es andere, die zentrale Traditionen, wie den exzessiven Alkoholkonsum oder den Fuxenstatus ablehnen, also die Tradition, dass Neumitglieder sich ein Jahr lang beweisen müssen, um vollwertiges Mitglied zu werden. Gefochten wird in der Regel in Damenschaften nicht. Stattdessen haben viele von ihnen ein „Caritatives Prinzip“, nach dem sich die Mitglieder in sozialen Einrichtungen engagieren sollen. Und während die deutschen Damenschaften sich als unpolitisch bezeichnen und eher als konservativ eingeordnet werden können, gibt es vor allem in Österreich explizit völkische oder deutsch-nationale Verbindungen, so die Politikwissenschaftlerin Alexandra Kurth. Diese werden nach wie vor in der Rechtsextremismusforschung gerne übersehen, so Kurth. Sie fordert deshalb eine stärkere Analyse und Thematisierung rechter Einflüsse bei Damenverbindungen. Aber selbst die vermeintlich emanzipatorischen Verbindungen sind verankert in traditionelle Vorstellung eines binären Geschlechtssystems und einem subtilen Ideal femininer Weiblichkeit, die oft an die Debatten der 1980er Jahre rund um Differenzfeminismus und Gleichheitsfeminismus erinnern. So erklärt Sophie Möbius, Mitglied der Lysistrata in Berlin: „Unser Wahlspruch lautet ‚Frau sein frei sein’, wir können als Frauen Karriere machen, wir können auch Hausfrau werden, das ist jeder selbst überlassen“. Die Verknüpfung des Geschlechts mit der eigenen Freiheit reproduziert trotz des erstmal emanzipatorischen Anscheins den Grundgedanken einer Selbstverwirklichung in der eigenen Natur und Berufung des Geschlechts. Alexandra Kurth sieht dahinter die Vorstellung, die Selbstverwirklichung könnte nur in homosozialen, gleichgeschlechtlichen Räumen stattfinden, denn nur dort kann Frau eben Frau und frei sein.
Aber kann es denn keine modern feministische, progressive Burschenschaft geben? 1810 gründete sich nach eigenen Angaben die erste feministische Burschenschaft Hysteria zu Wien. Erste öffentliche Auftritte gab es jedoch erst Anfang 2016. Feministische Burschenschaften beziehen sich auf den etymologischen Ursprung des Wortes Bursch als Mitglied einer „Burse“ also einer gemeinsam finanzierten Gemeinschaft und fordern die Einführung des Matriarchats. Besonders die Hysteria Wien bedient sich dabei oft überspitzt nationalistischen und autoritären Symboliken und zeigt so die problematischen Hintergründe auf. Der Hysteria wird oft unterstellt, eine Parodie auf männliche Burschenschaften, also politische Studentenverbindungen zu sein, das lehnen ihre Mitglieder aber konsequent ab. Im Gegensatz zu den Damenverbindungen haben sie sich bereits im „Matriarchalen Korporationsring“ zusammenschließen können. Sein Ziel ist das „goldene Matriarchat und der Schutz der Männer“.
Aber zwischen all den Späßchen verbirgt sich auch Gesellschaftskritik. Die Hysteria fordert eine Frauen- und Transgenderquote von 80%. Wofür sie eher belächelt wird ist andersherum faktisch nahezu Realität: Im Bundestag sitzen momentan fast 70 Prozent Männer. Das Beharren auf den „Schutz der Männer“ erinnert an rechte Kampagnen, wie 120db und die ständige Stilisierung von Frauen als das schwache Geschlecht. Und selbst das Buch „Mein Mampf“, mit den Idealen und Regeln der Burschenschaft Hysteria kann neben einem Schmunzler auch die Frage hervorrufen, wie eigentlich männliche Burschenschaften und rechtsnationale Ideologien in Verbindung stehen.
Sollte es dann aber nicht weiter gehen und binäre Geschlechtsideale generell infrage gestellt werden? Warum gibt es keine queere Burschenschaft?
Die feministischen Burschenschaften funktionieren nach sehr ähnlichem Prinzip. Sie spiegeln die Ideale rechtsradikaler Burschenschaften an der Achse des Geschlechts und weisen dadurch auf deren Absurdität, auch in moderateren Formen hin. Sie behalten dabei die formalisierten Hierarchien, die autoritären Ideale und die binären, strikt normierten Geschlechtsideologien (nur eben andersherum). Eine Burschenschaft ohne diese Aspekte hätte nicht mehr viel mit einer Burschenschaft zu tun. Sie wäre einfach nur noch ein Freundeskreis. Vielleicht ist das auch der Grund, aus dem es immer noch keine queere Burschenschaft gibt. Student:innenverbindungen, ob feministisch, weiblich oder männlich brauchen das binäre Geschlecht um zu existieren.
Schwerpunkt Juli 2021: Queer-Monat
Im Juni 2021 beschäfigt sich Belltower.News vertieft mit dem Thema Queerfeindlichkeit und LGBTQ*-Rechte. Im Schwerpunkt sind erschienen:
- CSD in Georgien: Absage der Tbilisi Pride nach homofeindlichen Ausschreitungen
- Was Transfeindlichkeit mit Antisemitismus zu tun hat
- Männerrechtler: Schwule Nazis und nachdenkliche Sprüche auf Bildern
- Queerer Widerstand: Klaus und Erika Mann
- Frauen und Studentenverbindungen: Braucht es eine queere Burschenschaft?