Ein Kommentar von Kai Biermann
Der Begriff „völkisch“ sollte nicht mehr so negativ verstanden werden, meint Frauke Petry, die Vorsitzende der Partei AfD. Man müsse „daran arbeiten, dass dieser Begriff wieder positiv besetzt ist“, sagte sie der Welt am Sonntag. Es sei eine „unzulässige Verkürzung“, wenn gesagt werde, „‚völkisch‘ ist rassistisch“.
Nein. Das ist keine unzulässige Verkürzung.
Im sogenannten Ngram Viewer von Google können Millionen Bücher nach einzelnen Wörtern durchsucht werden. Die Suchmaschine zeigt anschließend an, in welchem Zeitraum seit 1800 der Begriff wie häufig verwendet wurde. Für die Suche nach „völkisch“ ergibt sich ein eindeutiges Bild: Der Ausdruck taucht zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf, ab 1930 explodiert seine Verwendung geradezu. Bis 1945. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geht die Zahl der Nennungen wieder auf das ursprüngliche Niveau zurück. Er ist also offensichtlich typisch für eine ganz bestimmte Zeit.In der Geschichtswissenschaft steht völkisch für eine politische Strömung, die Ende des 19. Jahrhunderts entstand und in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts bestimmend wurde. Der Historiker Uwe Puschner nennt den Ausdruck in seinem Handbuch zur völkischen Bewegung einen Sammelbegriff für die nationalistisch-antisemitische Rechte in Deutschland.
Warum sagt Petry so etwas?
Der Begriff völkisch ist ein Synonym für extremen Nationalismus und eben für Rassismus. Er ist bis heute ein Symbol für den Nationalsozialismus und seine Ideologie, alles auszurotten und umzubringen, was nicht deutsch ist.
Warum sagt Petry so etwas, warum fordert sie, einen eindeutig nationalsozialistischen Begriff wieder zu verwenden?
Völkisch grenzt aus. Es benennt den Wunsch, alles abzulehnen, was nicht zum eigenen Volk gehört. Es soll die Angst schüren, dass zu viele fremde Menschen herkommen und das Bestehende verändern könnten. Es ist die gleiche Angst, die sich auch im Begriff Umvolkung ausdrückt, den rechte Ideologen derzeit benutzen. Und es ist der gleiche Kampf, der versucht, lange verbrannte Worte wieder hoffähig zu machen, hinter denen sich eine Ideologie verbirgt.
Es ist der Versuch, faschistische Gedanken als eine Meinung unter vielen anderen Meinungen darzustellen.
Es ist der Anschluss an die extreme Rechte.
Es ist das Bemühen, mit jedem wiederbelebten Begriff von damals auch ein Stück der Ideologie dieser Zeit in aktuellen Debatten zu verankern.
Erst tauchte die Lügenpresse wieder auf, dann die Umvolkung. Auch Volksverräter gibt es schon wieder. Und nun auch noch völkisch. Als Nächstes werden dann wohl Ausdrücke wie Volksgenosse, Volksgemeinschaft und Volksstaat wiederbelebt, die von den Nationalsozialisten inflationär gebraucht wurden, um die Verfolgung innerer und äußerer Gegner zu rechtfertigen.
Petry sagte, völkisch sei letztlich „ein zugehöriges Attribut“ zum Wort „Volk“. Und sie habe ein Problem damit, „dass es bei der Ächtung des Begriffes ‚völkisch‘ nicht bleibt, sondern der negative Beigeschmack auf das Wort ‚Volk‘ ausgedehnt wird“.
Völkisch heißt übersetzt deutsch
Beides ist Unsinn. Völkisch ist nicht irgendein zugehöriges Adjektiv zu Volk. Die Nachsilbe -isch ist eine Übertragung des indogermanischen -isk. Das Adjektiv diutisc oder theodisk bedeutete ursprünglich „zum Volk gehörig“, es diente in früherer Zeit der Abgrenzung zu lateinisch sprechenden Gelehrten und wurde dann zur Bezeichnung für deutsche Stämme. Völkisch ist somit eine Übersetzung von deutsch. Der Romantiker Johann Gottlieb Fichte ist einer der Schöpfer des Ausdruckes. Er schrieb: „Deutsch heiszt schon der Wortbedeutung nach völkisch.“
Der Ausdruck Volk meinte ursprünglich nur einen Heerhaufen, eine geschlossene Abteilung von Kämpfern. Im Mittelalter dehnte sich der Begriff aus und bezog sich auf jede Art von Gemeinschaft, die durch irgendeine Gemeinsamkeit zusammengehalten wird. Romantiker wie Fichte begrenzten ihn dann auf eine biologische Komponente und schufen die völkische Bewegung. Im Kampf gegen Napoleon entwarfen sie mit ihr die Ideologie eines extremen deutschen Nationalismus. Diese Bewegung und dieser Begriff stehen für den Kampf gegen Kommunismus, Einwanderung, parlamentarische Prinzipien und Juden. Der Begriff wurde fortan in „chauvinistischer, rassistischer und demagogischer Absicht verwendet“, wie das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache zusammenfasst.
Auch Volk ist damit kein ganz unschuldiges Wort mehr, wenn es dabei um das deutsche Volk geht. Das gilt erst recht für das Adjektiv.
Bis heute ist völkisch, wie das Deutsche Wörterbuch vermerkt, „im Parteigezänk mit dem Klange eines Schlag- und Kampfwortes behaftet“, das besonders oft dazu benutzt werde, um den „Rassengegensatz gegen die Juden“ zu betonen. Wer das Wort benutzt, will nicht irgendeinen Begriff positiv besetzen. Er oder sie will damit rassistische Gedanken verbreiten und Andersdenkende bekämpfen.
Dieser Text ist zuerst erschienen am 11. September 2016 auf ZEIT Online. Mit freundlicher Genehmigung.
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