Im Februar 2021 veröffentlichte die New York Times den Film „Framing Britney Spears“ und fachte eine Debatte neu an, die Fans und Unterstützer:innen der Pop-Sängerin schon seit Jahren umtreibt. Die Dokumentation warf ein Schlaglicht auf den Umgang von Medien und Gesellschaft mit Frauen in der Musik- und Entertainmentbranche, auf Sexismus, den Umgang mit psychischen Problemen aber auch auf das amerikanische Rechtssystem. Denn schon seit Jahren steht Britney Spears unter der Vormundschaft ihres Vaters, Jamie Spears.
Lange hatte sich die Sängerin dazu nicht öffentlich geäußert, aber versucht seit Jahren juristisch dagegen vorzugehen. Im Laufe der verschiedenen Anhörungen wurden schockierende Details aus der Vormundschaft bekannt. So wurde ihr beispielsweise eine Spirale zur Schwangerschaftsverhütung eingesetzt, die sie nicht ohne Erlaubnis ihres Vaters entfernen darf. Über die Millionen, die Spears mit ihrer Musik, Auftritten und Merchandiseprodukten verdient, darf sie nicht selbst verfügen. Auch ihre Social-Media-Kanäle waren offenbar zeitweise nicht in Händen der 39-Jährigen. Sie wurde in psychiatrische Kliniken gezwungen und musste Medikamente einnehmen. Das alles unter dem amerikanischen Vormundschaftssystem, das es für Menschen die in einer psychischen Krise hineinrutschen, fast unmöglich macht, wieder selbst über ihre Handlungen und ihr Leben entscheiden zu können. Seit mehr als zwölf Jahren kann Spears keine Entscheidungen über Finanzen oder Verträge treffen, obwohl sie in dieser Zeit vier extrem erfolgreiche Alben veröffentlichte und Konzerte auf der ganzen Welt spielte. Mittlerweile sammelt sich unter dem Hastag #FreeBritney eine globale Bewegung, die auf die Situation der Sängerin aufmerksam machen und sie von der Vormundschaft befreien will. Regelmäßig finden, oft im Zusammenhang mit Gerichtsterminen, Demonstrationen in Los Angeles statt.
Schon seit Jahren tauchen aber auch immer wieder neue Verschwörungserzählungen rund um Britney Spears auf. Gründe dafür gibt es viele, die Sängerin ist auf der ganzen Welt berühmt, Medien stürzten sich auf ihre privaten Probleme, schlachteten sie ungehemmt aus und breiteten sie vor großem Publikum aus. Während Spears lange Zeit weiter auftrat und in der Öffentlichkeit ein glamouröses Image verbreiten musste, versuchte sie sich im Hintergrund juristisch gegen die Vormundschaft zu wehren. Nur wenige Details wurden öffentlich. Daraus entwickelten sich unterschiedliche Erzählungen, von denen viele nur wenig Wahrheitsgehalt hatten. So verbreitet Unterstützer:innen etwa, dass Spears nicht unbeaufsichtigt ihr Haus verlassen dürfe, sie könne nicht wählen oder gar telefonieren. Ihr Vater hätte die Vormundschaft, weil er behaupten würde, Spears leide unter einer früheinsetzenden Demenz. Sie würde dazu gezwungen, in besonders kindlicher Stimme zu sprechen und singen, um ihr Image zu pflegen. Für diese Behauptungen gibt es in der Regel keine Belege, sie werden aber immer wieder von reichweitenstarken, teilweise prominenten Unterstützer:innen verbreitet.
Mindestens seit 2020 versuchen auch rechtsoffene Verschwörungsideolog:innen aus dem QAnon-Umfeld auf den #FreeBritney-Zug aufzuspringen. Im Juli 2021 tauchte nun auch Matt Gaetz, Kongressabgeordneter aus Florida und einer der lautesten Trump-Unterstützer, auf einer der Demos in Washington DC auf, wie das Digital Forensic Research Lab berichtet, eine Organsiation, die Desinformation und Fake News in den USA beobachtet. Ausgerechnet Gaetz, gegen den wegen sexuellem Missbrauch ermittelt wird, hatte Spears zusammen mit anderen QAnon-Verschwörungsgläubigen, wie Marjorie Taylor Greene, dazu eingeladen vor dem Kongress auszusagen. Andere Rechtsaußen-Akteure wie der Talkshow-Host Glenn Beck nutzen den Fall der Sängerin als Anlass, um vor der US-Regierung zu warnen, die genauso wie sie Spears entrechtet auch US-Bürger:innen ihre Waffen abnehmen wolle. In einem Video auf der Seite Infowars, dem Portal des Verschwörungsunternehmers Alex Jones, wird behauptet, Spears sei zu ihrer Zeit im Disneyclub, von der pädophilen „Hollywood-Elite“ missbraucht worden, außerdem sei sie mit Geheimdienstmethoden hirngewaschen worden. Das Video wurde bisher über 300.000 mal angesehen. In einem Video dient der Fall Spears als Warnung davor, was Milliardäre George Soros und Bill Gates mit allen Amerikaner:innen vorhätten. Spears sei eine „Warnung vor dem was noch kommt“, heißt es. 250.000 Menschen haben das Video bisher gesehen.
Liz Crokin, eine QAnon-Influencerin der ersten Stunde, hat mittlerweile sogar einen eigenen Telegramkanal gegründet, der sich ausschließlich dem Fall der Sängerin widmet. Crokin sieht eine Verbindung zu „Pizzagate“, einer Vorläufererzählung zu QAnon, laut der Hillary Clinton und andere demokratische Politiker:innen aus dem Keller einer Washingtoner Pizzeria einen internationalen Kinderhändlerring betreiben. Laut Crokin wird die öffentliche Aufmerksamkeit für Spears Vormundschaftsprozess dazu führen, die Kinder zu retten, „die von der gleichen satanischen Hollywood-Maschine versklavt und missbraucht“ würden. Das Narrativ schließt nahtlos an „Save the Children“ an, eine QAnon-Erzählung, laut der Kinder von den „Eliten“ entführt, in unterirdischen Tunnelsystemen missbraucht und gefoltert werden, um Adrenochrom zu gewinnen, ein Produkt der Nebenniere, mit dem sich die „Eliten“ angeblich jung und schön halten.
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In einem anderen Telegramkanal wird der Eindruck erweckt, dass Spears über QAnon Bescheid weiß. Denn sie trägt in Instagramvideos 17 mal das gleiche Oberteil. Q ist der 17. Buchstabe des Alphabets. 38.000 Views hat derweil ein YouTube-Video, dass weiter auf die Gehirnwäsche eingeht, der die Sängerin als Kind angeblich ausgesetzt war. Die New York Times berichtete, dass Spears nicht ohne Erlaubnis ihre Küche neugestalten dürfe. Im Video wird das zum Beweis für die Gehirnwäsche: Die Farben der Küche dienten demnach als Signalfarben, die das Verhalten von Spears beeinflussen würden, da sie mit Methoden von MK-Ultra, einem CIA-Projekt zur Bewusstseinskontrolle, dementsprechend programmiert worden sei.
Bemerkenswert ist wie so oft der Zynismus der QAnon-Verschwörer:innen. Die furchtbare Situation, der Britney Spears ausgesetzt ist, ist für die Verschwörungsfreunde nur billiges Kanonenfutter, um ihre eigenen Fantasien weiterzuverbreiten. Mit dem Wohl der Sängerin hat das nichts zu tun, genausowenig wie mit dem reformbedürftigen Vormundschaftssystem der USA. Seitdem die QAnon-Bewegung immer mehr an Relevanz verliert und verstärkt im Fokus der Sicherheitsbehörden gelandet ist, braucht es neue Themen und Nachwuchs. Die Verschwörungsprophet:innen rechtsaußen versuchen darum, die #FreeBritney-Bewegung in ihre Richtung zu beeinflussen. Es bleibt zu hoffen, dass die Fans der Sängerin nicht auf diese Bemühungen hereinfallen.