Unter den Vorfällen, sind neben Gewalttaten auch Propagandaaktivitäten, wie Aufkleber, Plakate oder Sprühereien, Veranstaltungen und Beleidigungen gefasst, die einmal jährlich qualitativ ausgewertet werden. Im Gegensatz zu den Statistiken der Ermittlungsbehörden, werden auch Vorfälle aufgenommen, die nicht angezeigt werden. So werden in den einzelnen Bezirken Aktionsschwerpunkte von Neonazis und alltägliche Formen von Diskriminierung sichtbar, die in den behördlichen Statistiken nicht widergespiegelt werden. Das Ausmaß rechter Gewalt kann dadurch realitätsnaher abgebildet werden.
2014 wurden in Berlin 266 Menschen wurden aus rassistischen Motiven verletzt und bedroht
Im Jahr 2014 sind insgesamt 179 Angriffe verzeichnet worden. Im Vergleich zum Vorjahr wird zwar ein Rückgang deutlich, doch die Menge und die Art der Angriffe bleiben erschreckend hoch. 266 Menschen wurden aus rassistischen Motiven verletzt und bedroht.
Der größte Teil der Angriffe findet unter den Augen der Öffentlichkeit statt: Gewalttaten werden auf Straßen, Bahnhöfen, öffentlichen Plätzen und in öffentlichen Verkehrsmitteln verübt.
Gewalt gegen Flüchtlinge
Sabine Seyb, Mitarbeiterin von ReachOut, wies darauf hin: „Die Angriffe, die im Zusammenhang mit den rassistischen Protesten gegen geflüchtete Menschen gesehen werden müssen, setzen sich auch 2014 fort. Mindestens 18 Gewalttaten und Bedrohungen, richten sich gegen Flüchtlinge und deren Unterstützerinnen und Unterstützer.”
So wurde Anfang Oktober im Berliner Ortsteil Hellersdorf die Begegnungsstätte „LaLoka“ der Willkommensinitiative „Hellersdorf hilft“ von Rechtsextremen attackiert. 15 Neonazis stürmten die Begegnungsstätte und schüchterten mit rassistischen Parolen die Anwesenden ein. Erst die Polizei konnte dem Spuk ein Ende machen.
Auch in Berlin Spandau kam es Anfang November zu einem Angriff auf einen 16-jährigen Bewohner eines Flüchtlingsheims am Rohrdamm. Der Jugendliche wurde von einer Stahlkugel getroffen und verletzt. Unbekannte hatten zwei Stahlkugeln in das offene Fenster der Flüchtlingsunterkunft geschleudert.
Häufige Angriffe im Stadtteil Mitte
Deutlich wird, dass die Angriffszahlen in Berlin erneut erschreckend hoch sind: Rassismus wird dabei als das häufigste Tatmotiv benannt. Die Mehrzahl der Angriffe fand im Jahr 2014 in Berlin Mitte statt.
Zu den auffällig häufigen Angriffen im Stadtteil Mitte sagte Sabine Seyb: „Im Vergleich zu den Gesamtzahlen geschehen in Mitte mehr als die Hälfte der Gewalttaten in öffentlichen Verkehrsmitteln und Bahnhöfen. So wird am 13. Oktober 2014 eine Frau, die von ihrem dreijährigen Sohn begleitet wird, morgens in der U-Bahnlinie 6 kurz vor dem Bahnhof Friedrichstraße von einem Mann rassistisch beleidigt.“ Das Kind wird geschlagen. Am 4. Juli gegen 21.00 Uhr wurden ein 21-jähriger und ein 32-jähriger Mann auf dem Bahnsteig des U-Bahnhofs Französische Straße von drei Männern im Alter von 17 bis 19 Jahren homophob beleidigt, geschlagen und verletzt.
Diese Beispiele machen deutlich, dass Fahrgäste und Passant*innen Angriffe beobachten, ohne den Opfern zur Hilfe zu kommen. Zudem sollte von politischer Seite dringend Kampanien initiiert werden, um über die Möglichkeiten des Eingreifens aufzuklären. Nur so können Betroffene besser geschützt werden.
Nach dem Stadtteil Mitte folgen Kreuzberg mit 16, Hellersdorf und Neukölln mit je 15 Gewalttaten. In Charlottenburg und Pankow sind jeweils 12 Angriffe zu dokumentieren. Weitere Einzelheiten zu den Angriffszahlen können der Tabelle „Rechte, rassistische und antisemitische Angriffe in Berlin 2008-2014“ von RechOut entnommen werden.
ReachOut ist eine Berliner Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt und veröffentlich einmal im Jahr im Rahmen einer Pressekonferenz Statistiken zur gewalttätigen Übergriffen; dazu gehören Köperverletzung, wie auch versuchte Körperverletzung. Neben ReachOut gibt es in Berlin seit 2014 zehn Registerstellen, die auch rassistische Vorfälle dokumentieren. Zu den neuen gehören Spandau, Tempelhof-Schöneberg und Mitte, womit nun in 10 von 12 Berliner Bezirken Vorfälle gemeldet werden können. Zwei zusätzliche Projekte, die ihren Arbeitsschwerpunkt vor allem in den Bereichen Antisemitismus und Antiziganismus haben, arbeiten eng mit den Registern zusammen.
Insgesamt wurden von den Registern im Jahr 2014 1100 Vorfälle mit rassistischen, rechtsextremen, antisemitischen und anderen diskriminierenden Hintergründen dokumentiert. Fast die Hälfe aller Vorfälle waren rassistisch motiviert, ca. 260 galten der Selbstinszenierung rechter Parteien und Gruppierungen, 130 verharmlosten den Nationalsozialismus und jeweils ca. 100 Fälle waren antisemitisch motiviert oder richteten sich gegen politische Gegner*innen. Besonders viele Vorfälle wurden in den Ortsteilen dokumentiert, die als regionale Zentren bezeichnet werden; dazu gehören die Bezirke Mitte, Spandau und Charlottenburg.
Anstieg von antisemitischen Taten: alltäglichen Pöbeleien, Drohungen und Beleidigungen
Auch für das Themenfeld Antisemitismus wurde im Jahr 2014 detaillierte Dokumente angefertigt. Insgesamt gab es 100 Vorfälle, was einen deutlichen Anstieg an antisemitischen Handlungen darstellt. Im Zusammenhang mit dem Gaza Konflikt fanden in der Berliner Innenstadt diverse Demonstrationen und Kundgebungen statt, bei denen Reden, Transparente und Sprechchöre antisemitische Inhalte hatten.
Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS), ein Projekt des Vereins für Demokratische Kultur in Berlin e.V., äußerte sich ebenfalls zu den Zahlen der antisemitischen Vorfälle in Berlin. Deren Angaben zufolge seien die 200 Vorfälle, die von der Polizei registriert werden, lediglich strafrelevante Vorfälle. Die vielen alltäglichen Pöbeleien, Drohungen und Beleidigungen, die nicht in den strafbaren Bereich fallen, werden nicht mit aufgenommen. Durch qualitative Befragungen, die gemeinsam mit der Amadeu-Antonio-Stiftung durchgeführt werden, sollen aus erster Hand Berichte von Anfeindungen gegen Juden in Berlin gesammelt werden. Die Ergebnisse sollen in den nächsten Monaten veröffentlicht werden.
Sylvia W. Schweigler
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).