Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Fried‘ Heil? Nazis in der Friedensbewegung

Von|
Neonazis demonstrieren gegen Imperialismus mit umgedrehten Stars-and-stripes-Flaggen (Quelle: Netz gegen Nazis)

Marie staunt nicht schlecht, als sie die Banner des „schwarzen Blocks“ auf der Anti-Kriegs-Demo liest: „Deutsche wacht auf – gegen Kriegstreiber und Machtmissbrauch“. „Eigentlich doch richtig“, denkt sie, „alle hier auf der Demo sind ja gegen den Krieg, deshalb sind wir ja hier. Aber trotzdem…“ Etwas stößt ihr bitter auf. Seit wann appellieren die Autonomen denn so direkt an „Deutsche“? Die lehnen Deutschtum doch sonst strikt ab – oder hat sie was verpasst? Ihr Freund Lars wundert sich aber auch und guckt sich die Leute im „Schwarzen Block“ jetzt genauer an. „Guck mal, der Aufnäher!“. Marie muss genau hinsehen, so klein und unauffällig ist der. „Thor Steinar!“ Einer der Autonomen hat das Logo des beliebtesten Bekleidungslabels der rechtsextremen Szene auf der Hose. „Das sind keine linken Autonomen.“ „Ich weiß.“ „Wir laufen mit autonomen Nationalisten in einer Demo. Einer Friendensdemo!“. „Was machen wir jetzt?“ „Ich weiß nicht“. Mit Beklemmung laufen sie weiter, ihre „Peace“-Fahne umklammert.

Was Marie und Lars in Ratlosigkeit versetzt hat, war kein Einzelfall. Schon 2003, während des zweiten Irak-Krieges, gab es Berichte von Friedensdemos, auf denen auch Neonazis gesichtet wurden, besonders im Osten Deutschlands. Über die Jahre gewann das Anti-Kriegs-Thema unter Rechtsextremen stetig an Bedeutung und ist heute ein fester Bestandteil ihrer Propaganda. Die Friedensbewegung wird von ihnen massiv unterwandert, um damit Akzeptanz und Zuwendung auch aus der breiten Mitte der Gesellschaft zu erlangen.

Neonazis mischen sich unter die Demonstranten und sind oft immer schwerer von der linksalternativen Szene zu unterscheiden, da sie deren Kleidungsstil zunehmend stärker kopieren. Das gleiche gilt auch für die Sprüche auf den Transparenten. Sind die Nazis etwa doch ganz harmlos und friedliebend?

Ähnlich schon, aber nicht gleich!

Die Friedensbewegung und die Neonazi-Szene haben ihre Forderungen betreffend gelegentlich tatsächlich Gemeinsamkeiten. Es kommt aber darauf an, diese im Gesamtkontext mit den Zielvorstellungen zu bewerten.

So demonstrieren beispielsweise Neonazis genau wie Linke gegen die NATO, doch mit einer verschiedenen Intention dahinter. Bei den Neonazis ist es antisemitischer Antiamerikanismus. Die Rechtsextremen glauben, in dieser Organisation wäre Deutschland nur eine Marionette der USA, welche von einer imaginierten jüdischen Ostküste regiert werde. Deutschland dürfe nicht länger Handlanger sein, sondern müsse wieder ein souveräner Staat werden, der über seine Sicherheitspolitik selbst entscheiden kann. Sie wollen „Kein deutsches Blut für fremde Interessen“ opfern, äußern also auf diese Weise ihren Rassismus. Krieg generell aber lehnen sie gar nicht ab.

Rechtsextreme besuchen auch Veranstaltungen anderer Gruppen zum Thema, um sich bürgernah zu geben und unauffällig neue Interessenten zu werben. Sie demonstrieren an allgemeinen Gedenktagen, die sie nach ihrem Weltbild umdeuten, inszenieren aber auch eigene Veranstaltungen. Die wichtigsten Daten für Neonazi-Aufmärsche sind der 14. Februar, an dem sich der Bombenangriff der Alliierten auf Dresden 1945 jährt, und der 5. September, an dem Neonazis seit 2005 einen „Nationalen Antikriegstag“ zelebrieren. 2008 waren auf beiden Veranstaltungen über 1.000 Demonstranten, 2009 waren es in Dresden sogar 4.000 Demonstranten. Das zeigt das Besorgnis erregende Ausmaß, mit dem die Nazis mit scheinbaren Anti-Kriegs-Themen mobilisieren können. Dieses an andere Szenen anschließende Thema ist bei den Neonazis in Mode.

Hilflos?

Anfänglich wussten Friedensdemonstranten nicht, wie sie mit dem neuen Phänomen umgehen sollten. Daher wurden Neonazis auf Demos oft aus dem Gefühl von Machtlosigkeit heraus geduldet. Mittlerweile fällt es ihnen aber immer schwerer, bei Veranstaltungen toleriert zu werden.

Wenn Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf Demos auf „nationale Autonome“ oder andere rechtsextreme Gruppierungen treffen, sollten sie sich an den Demoleiter oder die Demoleiterin wenden und darauf aufmerksam machen. Diese haben die Befugnis, die Nazis von der Demo auszuschließen oder die Demo gar aufzulösen, wenn es nicht anders geht. Sollte die Demoleitung nichts unternehmen, können die Menschen im Lautsprecher-Wagen auf das Problem aufmerksam gemacht werden: Sie können die Demonstrierenden informieren und zu einer klaren Positionierung aufrufen. Sinnvoll ist auch, vom Vorfall zu berichten. Das kann über Blogs, Foren oder Information die Medien erfolgen.

Die rechte Friedensbewegung – eine unter vielen

Anti-Kriegsdemos sind nicht das einzige Ziel der neueren Taktik der Rechtsradikalen im Bemühen um Bürgernähe durch scheinbar harmlose, nicht neonazi-spezifische Themen. Sie beschäftigen sich auch mit brisanten sozialen Fragen und emotionalen Themen. So kann die NPD beispielsweise durch die rege Teilnahme an Demonstrationen gegen die Hartz-IV-Gesetze oder gegen Sexualstraftäter (Neonazi-Motto: „Todesstrafe für Kinderschänder„) auf einige Wahlerfolge zurückblicken.

Viele Menschen sind lassen sich vom Engagement der Rechtsextremen beeindrucken und sehen dabei nicht, dass unter der Oberfläche die eigentliche Ideologie liegt – und verbreitet werden soll. Und die ist nach wie vor rassistisch, neonazistisch und antisemitisch.

Weiterlesen

314146397

Sahra Wagenknecht Die Hoffnungsträgerin der extremen Rechten

In den letzten zehn Jahren hat sich Sahra Wagenknecht in Teilen der extremen Rechten zur Hoffnungsträgerin entwickelt – für manche ist sie sogar einer zentralen Figur in Planspielen für einen angestrebten Systemsturz.

Von|
Eine Plattform der