Mit meist ziemlich martialisch anmutenden Flyern und in Frakturschrift mobilisieren die Gruppen bereit seit Januar für die Demonstration, die unter dem Motto „Frieden, Freiheit, Souveränität“ stattfinden soll. Was zunächst wie ein großes Bündnis aussieht, entwickelt sich aber bei näherem Hinschauen zu einem Scheinriesen. Denn viele der Organisationen, die aufrufen, scheinen nur sehr wenige Unterstützer*innen zu haben. Mit zu den größten Gruppen gehört eine Anti-Antifa-Gruppierung mit 673 Abonnent*innen auf Telegram. „NRW stellt sich quer“ bringt es immerhin auf über 3.000 Likes auf Facebook. Die größte Gruppierung ist „Patriotic Opposition Europe“, mit mehr als 6.000 Likes auf Facebook und etwa 500 Telegram-Abonnent*innen. Viele andere Gruppen finden nur Unterstützer*innen im niedrigen zweistelligen Bereich. Darunter sind auch Gruppierungen wie „Bärgida“, der rechtsextreme Berliner Pegida-Ableger. Die Gruppe schien eigentlich in der Versenkung verschwunden zu sein. Es gibt keinen Telegramkanal, die Facebookseiten werden seit langem nicht mehr bespielt und die Website ist seit Oktober 2020 verwaist.
Aufgrund von Likes und Abonnent*innen lassen sich trotzdem nur schlecht Voraussagen für die Teilnehmerzahl am 20. März treffen. Denn unter den Organisationen scheinen auch gewaltbereite Neonazi-Strukturen und Reichbürger*innen-Gruppen zu sein, die womöglich ausserhalb öffentlich zugänglicher Kanäle kommunizieren und mobilisieren. Weniger Teilnehmende machen die Demo auch nicht weniger gefährlich. Gerade wenn nur wenige Neonazis anreisen, könnten diejenigen frustriert und gegebenenfalls noch gewaltbereiter sein. Schon im Aufruf zu Demo wird in Großbuchstaben und mit vielen, vielen Ausrufezeichen auf mögliche Gewalt hingewiesen: „WIR BITTEN KINDER UND TIERE, SOWIE SCHWANGERE FRAUEN ZU HAUSE ZU LASSEN“. Die Berliner Polizei bestätigt auf Anfrage von Belltower.News, dass insgesamt drei Demonstrationen oder Kundgebungen mit Titel „Frieden, Freiheit, Souveränität“ für 300 bis 500 Teilnehmende angemeldet wurden. Eine davon soll vor den russischen Botschaft stattfinden, zwei weitere in unmittelbarer Nähe von Reichstag und Brandenburger Tor.
Obwohl die Demonstration sich offenbar auch gegen die Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der Pandemie richtet, distanzieren sich zumindest Teile der „Querdenken“-Bewegung. In einem Telegram-Post aus dem Umfeld von „Querdenken 30“, dem Berliner Ableger der Verschwörungsfreund*innen, heißt es explizit, dass man sich nicht an der Berliner Demo beteiligt und stattdessen in Potsdam demonstrieren will. Überregional mobilisiert die Bewegung für eine „Großdemonstration“ in Kassel am gleichen Tag, zu der mehrere „Querdenken“-Ableger aufrufen. Laut dem Tagesspiegel will sich auch die Gruppe um den Berliner Schlager-DJ Michael B., der als „Captain Future“ auftritt, an den Protesten in Potsdam beteiligen.
Im Telegrampost aus dem „Querdenken“-Umfeld heißt es: „Ja, auch ‚Nationalisten‘ – wie alle anderen Menschen auch – sollten die Corona-Eindämmungsmaßnahmen kritisieren. Aber wir können und wollen nicht mit euren anderen Themen d´accord gehen.“ Die Verfasser*innen werfen der Berliner Demo „surreale Ziele“ und „nationalegoistische Themen“ vor. Unterschrieben ist der Aufruf von mehreren Gruppierungen, darunter fundamentalistische Christen, „besorgte Eltern“ und esoterisch angehauchte Lockdown-Gegner*innen.
In einem weiteren Telegramkanal der Szene mit fast 6.000 Abonnent*innen wird es sogar noch expliziter. Hier wird die Berliner Demo in einem Video als „vollkommen geistesgestörte, vollkommen schwachsinnige Aktion“ bezeichnet, die der eigenen Sache nur schaden würde. Womöglich in einem Anfall von Klarsichtigkeit, die der rechtsoffenen „Querdenken“-Bewegung ansonsten vollkommen fehlt, heißt es weiter: „Es macht also wenig Sinn, wenn ihr auf Demos geht und euch aufregt, dass ihr angeblich in denselben Topf mit Nazis getan werdet und ihr aber definitiv auf eine Nazidemo geht. Auf ‘ne echte.“ (sic!)
Das Umfeld der Berliner Demo, unter anderem Reichsbürger*innen-Gruppen und Hooligans, reagiert empört. Den „Querdenker*innen“ wird Spaltung vorgeworfen. Äußerst wirre Behauptungen machen dabei die Runde. So heißt es, dass am Wochenende vom 20. März weltweite Anti-Lockdown-Demonstrationen geplant seien. Beweismittel eins ist dabei ein türkisches Video mit deutschen Untertiteln, indem angeblich behauptet wird, diese Demonstrationen seien eigentlich ein satanisches Ritual. Initiiert würden sie aus Deutschland heraus von einer Organisation, die bereits versucht hätte, eine Menschenkette um den Bodensee zu bilden, um dessen Energie „aufzusaugen“. Damit ist offenbar die „Querdenken“-Bewegung gemeint, die tatsächlich im Oktober 2020 eine Kette um den Bodensee bilden wollte. 250.000 Menschen sollten daran teilnehmen, 11.000 kamen laut Polizeiangaben. Die Aktion scheiterte. Ohnehin liegt dieser Geschichte offenbar ein Missverständnis zu Grunde, denn tatsächlich finden am 20. März keine weltweiten Proteste gegen den Lockdown statt. Vielmehr markiert das Wochenende den internationalen Aktionstag gegen Rassismus. Dagegen wird tatsächlich an einigen Orten der Welt demonstriert. Mit der „Querdenken“-Bewegung haben diese Demonstrationen rein gar nichts zu tun.
Wie sich die Situation am 20. März in Berlin entwickeln wird bleibt abzuwarten. Man kann nur hoffen, das der Stadt eine weitere große Demo, die noch weitaus expliziter rechtsextrem ist, als die bisherigen „Querdenken“-Veranstaltungen, erspart bliebt. Gegendemos gibt es jedenfalls bereits. Mehr Infos dazu bei „Berlin gegen Nazis“.