Vom Sebastian Wehrhahn
Argumente statt Gebote
Ohne Zweifel ist es für die taktische Auseinandersetzung vor Ort bedeutsam, ob ein AfD-Kandidat Verbindungen in die Neonazi-Szene, das frauenfeindliche Lebensschutz-Milieu oder zu schlagenden Verbindungen hat. Über den plausiblen Nachweis solcher Verbindungen können Funktionsträger/innen, Kreisverbände und gegebenenfalls sogar die Parteispitze in eine Rechtfertigungssituation gebracht werden, die die Unterstützung für die Partei schmälert und im Zweifel Stimmen kostet. Dieser taktische Vorteil trägt jedoch vor allem auf kurze Sicht, weil er auf Empörung, nicht auf Überzeugung zielt.
Dasselbe gilt auch für Verweise, die nicht auf personelle Verbindungen, sondern auf sich ähnelnde Aussagen hinweisen. Obwohl zumindest Positionen miteinander verglichen werden, ist im Prinzip wenig gesagt, außer dass sich die beiden Aussagen gleichen und daher auch ein ähnliches Urteil gebieten sollten. Dieses Urteil mag zwar richtig sein, doch gerade richtige Urteile sollten begründet werden.
Um mittelfristig den Vormarsch der AfD und die mit ihr verbundene Rechtsentwicklung aufzuhalten und langfristig antirassistische und soziale Perspektiven zu stärken, ist es wichtig, die inhaltliche Auseinandersetzung zu führen und dafür braucht es vermittelbare Positionen.
Statt also nur darauf hinzuweisen, dass sowohl AfD als auch NPD mit dem Slogan „Wir sind nicht das Sozialamt der Welt“ werben, kommt es darauf an, zu begründen, warum diese Parole falsch ist.
Ist Deutschland das Sozialamt der Welt? Nein: Deutsche Unternehmen profitieren prächtig davon, dass Menschen in anderen Ländern ihre Lebensgrundlage entzogen wird. Auch deutsche Waffenexporte sorgen für Vertreibung auf der einen, Gewinne auf der anderen Seite. Die Kosten, die zur Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten anfallen sind dagegen Peanuts. Auch falsch ist die dahinterstehende Haltung, es sei nicht die Aufgabe Deutschlands, Menschen, die aus anderen Ländern vor Krieg und Armut fliehen zu unterstützen. Weil der Reichtum des globalen Nordens ursächlich mit der Armut des Südens verknüpft ist, ist es das Mindeste, den Menschen Schutz und Zuflucht zu bieten.
Entscheidend ist das Argumentieren aus zwei einfachen Gründen: Wenn wir Menschen davon überzeugen möchten, sich uns anzuschließen und Position gegen rechte Parteien zu beziehen, müssen wir in der Lage sein, ihnen zu erklären, warum und was das mit ihnen zu tun hat. Außerdem braucht es begründete und begründbare Positionen, um neue Bündnispartner_innen zu finden und in gemeinsamen Kampagnen handlungsfähig zu werden. Vielen Aktionsformen merkt man an, dass sie in der Auseinandersetzung mit der NPD und anderen neonazistischen Organisationen entwickelt wurden und sich nicht ohne weiteres auf Kampagnen gegen die AfD übertragen lassen. Weder gibt es einen vergleichbaren breiten Konsens gegen die AfD, wie es ihn im Umgang mit der NPD beispielsweise gibt, noch lässt sich die Gefahr, die von der NPD unmittelbar ausgeht, ähnlich unmittelbar bei der AfD nachweisen. Dazu kommen die Unterschiede im Hinblick auf Klientel und Personal der Partei: erwähnte Lebensschützer, studentische Verbindungen und in starkem Maße frühere Mitglieder und Funktionäre von CDU und FDP machen einen erheblichen Anteil bei Wähler_innen und Funktionär_innen der AfD aus.
„Die Widersprüche sind unsere Hoffnung“ (Bertolt Brecht)
Je konkreter aber sich Bündnisse an der AfD orientieren, desto geringer droht der inhaltliche Konsens zu werden, auf dessen Grundlage die Kampagne steht. Natürlich findet sich schnell ein großes Bündnis, solange die politische Stoßrichtung allgemein genug ist und die AfD nur ebenso allgemein als Feindin von Demokratie und Toleranz bestimmt wird. Der konkrete Nachweis, warum die AfD undemokratisch ist, wirft zwar Widersprüche in der Bündnisarbeit auf, ist aber gleichzeitig die Bedingung der Möglichkeit erfolgreicher Bündnispolitik überhaupt.
Denn auch den erfolgreichen Bündnisse gegen die NPD und andere Akteure der extremen Rechten gingen Auseinandersetzungen voraus, im Zuge derer ein Konsens hergestellt wurde, der breite Bündnisse ermöglichte. Grundlage dieser Auseinandersetzungen bildete die konkrete Beschäftigung mit Auftreten und Inhalten der rechtsextremen Akteure sowie mit der Frage nach der gesellschaftlichen Einordnung derselben. Damit verbunden war auch eine Auseinandersetzung mit den eigenen gesellschaftspolitischen Standpunkten.
Vielleicht bedarf es gegenüber der AfD einer solchen neuen Verständigung sowohl über den Gegenstand als auch über die eigenen Standpunkte und die Widersprüche gesellschaftlicher Bündnisse.
Der Grund für diese Widersprüche liegt auch in der Besonderheit des Projektes AfD als parteiförmiger Ausdruck eines rechten Bevölkerungssegments, das bisher von den anderen Parteien gebunden wurde. Die AfD ist kein Zusammenschluss von Neonazis, sondern ein Parteiprojekt, das in radikalisierter und des humanistischen Anstrichs lediger Form Prinzipien vertritt, die von den meisten anderen Parteien im Prinzip geteilt werden. Dass soziale Fragen nach ökonomischen Maßstäben behandelt werden, dass Leistung oder zumindest Leistungsbereitschaft den Wert von Bürger/innen und solchen, die es werden wollen auszeichnen, dass der Staat berechtigt ist, für soziale Leistungen Gegenleistungen zu erwarten, sind einige dieser Prinzipien. Die AfD spitzt diese Maßgabe der Rentabilität rassistisch zu und spielt die Interessen von Erwerbslosen und Rentner/innen gegen die Interessen von Geflüchteten aus. Dass sie dafür am 13. März vor allem von Arbeiter_innen und Arbeitslosen gewählt wurde ist eine Niederlage für alle Akteure, deren Anspruch die demokratische Interessenvertretung gegen soziale Ungerechtigkeit ist.
Doch neu ist der von der AfD vertretene Nützlichkeitsrassismus keineswegs: Sarrazin beschrieb in seinem Buch genau diese Form von kulturalisiertem und rassistisch aufgeladenem Leistungsdenken und auch Horst Seehofers berühmter Ausspruch, dass er die deutschen Sozialsysteme „bis zur letzten Patrone“ gegen Zuwanderung verteidigen würde, drückt diese Form von Rassismus aus.
Wer die genannten Grundannahmen teilt, kann zwar dennoch wohlfeile, aber politisch folgenlose Floskeln von Toleranz und Weltoffenheit bemühen, wenn die Gegnerschaft zur AfD aber darin besteht, den (kulturellen, ökonomischen, demographischen) Mehrwert der Flüchtlinge zu betonen, teilt man sich mit der AfD die Argumentationsgrundlage: Willkommen ist, wer nützlich ist.
Eine Auseinandersetzung mit der AfD erfordert also auch eine Auseinandersetzung mit den sozialen und gesellschaftspolitischen Fragen, die von der AfD rassistisch bearbeitet werden. Wer hat Zugang zu kulturellen, politischen und ökonomischen Ressourcen? Wie wird gesellschaftlicher Reichtum verteilt und wer hat darauf Anspruch? Ist es die Aufgabe des Staates, Leistungsträger/innen zu fördern und Leistungsempfänger/innen zu „motivieren“? Letztlich zielen diese Fragen darauf ab, nach welchen Maßstäben diese Gesellschaft organisiert sein sollte: Nach dem Prinzip der Verwertbarkeit oder der Solidarität.
Der AfD ist es gelungen, Protest gegen das Establishment und den Ausdruck sozialer Unzufriedenheit rechts zu besetzen. Um diese Deutungsposition langfristig zurückdrängen zu können ist es wichtig, den eigenen Antirassismus an Fragen gesellschaftlicher Teilhabe und sozialer Gerechtigkeit anzubinden.
Diese Fragen sollten Bündnisse nicht lähmen und es wäre naiv zu glauben, es könne darüber ein Konsens hergestellt werden, ohne dass ein Bündnis dadurch auf eine bedeutungslose Größe schrumpfen würde. Das wiederum bedeutet auch nicht, Widersprüche unter Allgemeinplätzen zu überdecken. Stattdessen sollten sie in der Bündnispolitik präsent sein und für eine Spannung sorgen, die in der Lage ist, gesellschaftliche Dynamik zu entwickeln, die sowohl konkreten Kampagnen gegen die AfD Aufwind verleihen, als auch eine Auseinandersetzung über die genannten Fragen befördern kann.
Die Bedingungen für eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit der Alternative für Deutschland und für ein Zurückdrängen des rechten Vormarsches sind kompliziert. Alte Allianzen und Parolen, bekannte Herangehensweisen und Aktionsformen müssen überdacht und einer neuen Herausforderung unter neuen Kräfteverhältnissen angepasst werden. Dies wird nicht mit einem Masterplan beginnen, sondern fängt mit Versuchen und Vorschlägen an.
„In diesen Tagen darf sich niemand auf das versteifen, was er ‚kann‘. In der Improvisation liegt die Stärke. Alle entscheidenden Schläge werden mit der linken Hand geführt werden.“ (Walter Benjamin)
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