Die Fußballweltmeisterschaft in Katar ist anders als die WMs zuvor. Zwar gab es schon Fußballweltmeisterschaften in undemokratischen Staaten, wie etwa 2018 in Russland, doch benimmt sich Katar als offen antidemokratisches und menschenfeindliches Land auch als Gastgeberland der WM so rassistisch, misogyn und LGBTIQ*-feindlich, wie es zu erwarten war, aber trotzdem bisher noch nicht sichtbar .
Was das mit demokratischen Menschen macht, sehen wir: Der Zwiespalt zwischen Fußball-Lust und Scham vor den Menschenrechtsverletzungen des Gastgeberlandes einerseits und der Scheinheiligkeit der FIFA andererseits ist derzeit in aller Munde. Aber was macht diese WM mit der deutschen Rechtsaußen-Szene?
Bisher gehörte zum rechtsaußen beliebten Standard-Reaktions-Repertoire auf Weltmeisterschaften oder Europameisterschaften:
- Rassismus – einerseits gegen die aus biologistisch-rassistischen Gründen als zu wenig „deutsch“ empfundene „Die Mannschaft“, andererseits aber auch lautstark gegen gegnerische Teams, wenn der Nationalismus im Schwank der Spielgefühle doch die Oberhand gewann. Auch beliebt, in Deutschland und international: Gezielter anti-schwarzer Rassismus, der im Fußball gerade gegen erfolgreiche Spieler gnadenlos eingesetzt wird, um deren Erfolge durch Traumatisierung zu unterbinden.
- Im Beschimpfungssektor war auch LGBTIQ*-Feindlichkeit immer schon beliebt: Beschimpfungen als „Schwuler“ oder „Mädchen“ kommen in Stadien der ganzen Welt vor.
- Dazu kommt Hass auf Fußballverbände, wenn sie sich für Vielfalt einsetzen: Zugegebenermaßen bleiben Maßnahmen gegen Menschenfeindlichkeit im Fußball oft auf der Symbolebene der T-Shirt-Sprüche oder Regenbogen-Binden. Aber selbst das ist überzeugten Gegner*innen der Vielfalt bereits ein Dorn im rechten Auge und in der Vergangenheit Grund für viele hasserfüllte Postings.
Wie ist es 2022?
Die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar ist quasi „Bingo!“ für Menschenfeind*innen, hat aber argumentativ auch Tücken: Schlägt man sich auf die Seite von katarischen Islamisten und freut sich über die Ablehnung von geschlechtlicher Vielfalt? Oder möchte man sich lieber als rechtsextreme*r Verteidiger*in der Demokratie inszenieren und Islamfeindlichkeit ausleben? Und lässt sich das alles – und mehr – verbinden?
LGBTIQ*-Feindlichkeit
Die katarische LGBTIQ*-Feindlichkeit,, ist derzeit gesamtgesellschaftlich in aller Munde. Genauso wie das Verbot der sowieso schon weichgespülten „One Love“-Kapitänsbinden „gegen Diskriminierung“ durch die FIFA. Unter rechtsalternativen Akteur*innen löst das Verschiedenes aus:
- Ehrliche Zustimmung: „Maximal geiler Mann“ als Kommentar für den Kapitän der französischen Nationalmannschaft, der sich als erster weigerte, die „One Love“-Binde zu tragen. Ein anderer schreibt zum Verbot der „One Love“-Binde: „Richtig so! Politikmacherei hat im Sport nichts verloren.“
- Die Zustimmung gibt es auch kombiniert mit Bewunderung für die Standhaftigkeit gegen Menschenrechte, die Katar demonstriert: „Globohomo-Versager wieder mal #besigt [sic] von Wüstenchads“ schreibt auf Instagram ein rechtsextremer Imageboard-Fan, der sowohl seinen homofeindlichen Slang („Globohomo“ ist eine Anspielung auf eine queere Agenda, die die Welt homosexuell machen möchte) als auch seinen Manosphere-Sprech beherrscht („Chad“ als Ausdruck für einen starken, bewunderswerten „Alpha”-Mann).
- Noch einer, der Katar für seine Standhaftigkeit bewundert, sitzt im Bundestag:
- Hass dagegen erhält aus dieser Szene ZDF-Reporterin Claudia Neumann, die aus Protest im Regenbogen-Shirt moderierte: Was erlaubt diese „bundesrepublikanische Medienperson“ (unlustige „Satire“, die auf geschlechtsneutrale Ansprache anspielen soll). Immerhin ärgert es also Nazis. Einer schreibt: „Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr.“ Andere kombinieren das Rechtsaußen beliebte Thema „GEZ-Gebühr“ (die es ja längst nicht mehr gibt, aber Rundfunkbeitrag klingt halt weniger technokratisch).
- Besonders unlustig wie immer rechtsextreme Memes:
Taktische LGBTIQ*-Freundlichkeit – oder?
Die ist aktuell so beliebt, dass man meinen sollte, alle Rechtsextremen hätten den ganzen Tag nichts Besseres zu tun, als LGBTIQ*-Freund*innen zu verteidigen (während zeitgleich rechtsextreme Anti-LGBTIQ*-Propaganda zu tödlichen Anschlägen führt, siehe Colorado Springs).
Nehmen wir etwa den rechtsalternativen Publizisten Boris Reitschuster, der auf Twitter schreibt: „Das peinliche Einknicken von Neuer & Co. vor Fifa und den Scheichs.“ Möchte Reitschuster also in Zukunft mehr Regenbogen-Flaggen bei allen Fußballspielen? Eher nicht. Was er möchte, offenbart der nächste Satz: „Wenigstens zu einem ist die WM gut: Wie sonst hätte der feige Gratismut unserer Moral-Lautsprecher derart brutal entlarvt werden können wie durch das Affentheater um „One-Love“?“ Es geht also nicht um die Gleichberechtigung geschlechtlicher Vielfalt – es geht darum, um progressive Werte bemühte Menschen als Heuchler*innen darzustellen. Diesen Narrativen haben die FIFA und der DFB mit ihren Lippenbekenntnissen zur Vielfalt, die bei der Androhung von gelben Karten nicht mehr durchgehalten werden, leider viel Wasser auf die Mühlen gegeben.
„Gratismut“ ist deshalb auch die neue Lieblingsvokabel der Szene. Gemeint ist der Einsatz für demokratische Werte – aber nur so lange, wie dafür keine Konsequenzen drohten.
Das nehmen auch AfD-Bundestagsmitglieder gern auf – etwa Nicole Höchst, die ja geschlechtlicher Vielfalt bekanntermaßen den Kampf erklärt hat. Trotzdem schreibt sie auf Twitter: „Nennt sich Gratismut. Mein Respekt gegenüber gratismutigen Posern in egal welchem Bereich ist nun bei unter Null. Haltung beweist man tatsächlich nur gegen (großen) Widerstand und nicht indem man in einem angenehmen, zuträglichen Milieu eine Welle am seichten Sandstrand macht.“ Das ist als Hasstirade gegen die Fußballwelt zu verstehen – nicht als Plädoyer für eine vielfältigere Gesellschaft.
Besonders niveaulos kombiniert Birgit Kelle auf der „Achse des Guten“ die Themen „Gratismut“, Rassismus und Sexismus: „Dem Haufen an Fußballmillionären, den man früher unter dem Namen ‚Deutsche #Nationalmannschaft’ kannte, ist gerade der eigene Gratismut auf die Füße gefallen. #FußballWM #katar #woke.“ Name ihres Artikels: „Keine Eier in Katar“. Ah ja.
Da ist sie schon fast bei Deutschlands Hass-Influencer Timm Kellner angekommen, der auf Telegram poltert: „Eure Sport-Söldnertruppe, früher bekannt unter dem Namen „Nationalmannschaft“! Dieser Name war uns jedoch zu nationalistisch, rückwärtsgewandt und konservativ. Heute stehen wir tapfer für Moderne, Weltoffenheit und Toleranz. Aus der sicheren Entfernung haben wir mit unserem Gratismut heldenhaft für die bunte Binde gekämpft.“
In der Demokratiefeindlichkeit kommen wir bei den „Freien Sachsen“ an. Sie kommentieren auf Telegram: „Diese charakterschwache Bundesauswahl verkörpert wie keine Mannschaft je zuvor den Niedergang dieses Landes. Wir sollten es nur noch mit Humor nehmen und über diese Menschen lachen – mehr haben sie nicht verdient.“
Dass taktische LGBTIQ*-Verteidigung anderen Zwecken dient, zeigt ein Blick in die Imageboards, in denen Rechtsalternative ihre Menschenverachtung offen zeigen. Hier teilt einer einen Artikel, in dem sich ein BILD-Reporter beschwert, dass er mit einem Regenbogen-Band im Stadion eine Verwarnung eines Sicherheitsmannes bekommen hat. Erster Kommentar: „Homosexualität [im Post homofeindliches Schimpfwort dafür] in die Gesichter der Kataris [im Post rassistisches Schimpfwort dafür] zu schieben, ist kultureller Imperialismus.“ Meint: Lass „die“ mal homofeindlich sein, statt „deine“ Werte mitzubringen. Als seien Menschenrechte kein globales Minimalkonzept, um Menschen ein zumindest diskriminierungsarmes Leben zu ermöglichen. Diese Argumentationen eines Kulturrelativismus à la „Andere Länder, andere Sitten“, um Homofeindlichkeit zu verteidigen, finden sich aber auch im rechtspopulistischen Spektrum, etwa bei „Tichys Einblick“.
Auf dem Imageboard setzt ein anderer mehr auf das zerstörerische Potenzial der Debatte: „Ich liebe es so sehr, wenn Muslime [Schimpfwort dafür] und westliche Homosexuelle [Schimpfwort dafür] aufeinander losgehen.“ Auf Instagram freut sich einer, dass Folgendes gestoppt wurde: „Deutschland (…) versucht jetzt die ganze Welt zu missionieren und Frau Faeser reist noch in dieses Land, mit der Regenbogen-Gemeinde im Gepäck, um dort Werbung für Homosexualität und Genderwahn zu machen.“ Da sind wir in der Welt der Verschwörungsideologien. Hier fühlt sich auch Querdenker-Anwalt Markus Haintz zu Hause: Er teilt Artikel aus verschwörungsoffenen Quellen, laut denen die USA ihre Flagge durch eine Regenbogenflagge ersetzen wolle, um die LGBTIQ*-Agenda umzusetzen. Womit wir wieder bei „Globohomo“ (siehe oben) wären.
Ebenfalls Teil des menschlichen Abgrundes sind Posts wie einer von „LovelyXY8“ auf Twitter, der auch noch Impffeindschaft und Misogynie mit ins Spiel nimmt: Ein Foto von Männern in Rüschen-BHs und Höschen, mit der Überschrift „Das neue Trikot der Nationalmannschaft“ – und „Geimpfte Kunden kauften auch“.
Querdenken-Anwalt Markus Haintz verwandelt schließlich noch den sexistischen Witz mit bunten Tampons (hihihi) wegen „One-Love-Binde“ – und selbst der ist nicht von ihm.
Auch zu dieser WM gibt es rassistische Postings gegen die als nicht „weiß“ genug gesehene deutsche Mannschaft von biologistisch-rassistischer Neonazi-Seite, rassistische Memes über alle Teilnehmenden des Turniers auf den Imageboards, islamfeindliche Abwertungen in Fußball-WM-Debatten online auf Instagram, Telegram oder TikTok – dort finden sich auch viele Videos über angeblich gekaufte „Fake-Fans“ – weil Deutschland-Fans offenbar „natürlich“ alle blond und blauäugig sein müssen. Doch die Begeisterung für LGBTIQ*-Feindlichkeit – ganz offen oder als scheinbare Verteidigung codiert – dominiert in diesem Tagen in den Rechtsaußen-Debatten deutlich. Das müssen FIFA und DFB sich auch auf die Liste der Folgen schreiben, die ihr unglückliches Agieren auslöst. Um Fußball geht es rechtaußen – wie immer – gar nicht.