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Gastkommentar Feigheit vor dem Demokratiefeind

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Zwar ist die Hochstufung der AfD für ein Verbot gar nicht zwingend nötig, aber Bundestagsabgeordneten von SPD, Grünen, Linken, CDU, CSU und FDP bietet der Hinweis auf den Verfassungsschutz das perfekte Alibi, dem Verbotsantrag gegen die AfD die Stimme zu verweigern. (Quelle: RechercheNetzwerk.Berlin)

Auf den ersten Blick war die Lage für die AfD selten je so ernst wie jetzt. Im Bundestag haben 113 Abgeordnete endlich einen Verbotsantrag gegen die Partei gestellt, über den demnächst abgestimmt wird. Wie um deren Gefährlichkeit zu illustrieren, gerieten kurz zuvor drei AfD-Leute unter Rechtsterrorverdacht. Ihnen wird vorgeworfen, mit der mutmaßlichen Terrorgruppe „Sächsische Separatisten“ an einem Tag X losschlagen zu wollen. Den Ermittelnden zufolge sollten Gebiete erobert werden, um dort ethnische Säuberungen an Minderheiten zu begehen und ein System zu errichten, das dem Nationalsozialismus ähnelt. Bei der Festnahme eines jungen AfD-Politikers aus Grimma fielen Schüsse. Der Terrorverdächtige wurde verletzt. Ein Foto zeigt ihn mit Björn Höcke – hinter einem Transparent der JA, der erwiesen rechtsextremistischen AfD-Jugend. Zu diesem Zeitpunkt soll die Terrorgruppe schon existiert haben. Der junge Mann mit dem akkuraten Kurzhaarschnitt galt der AfD als Talent, saß für sie im Kreis-Vorstand und im Stadtrat. Verbotsantrag und Terrorverdacht: Trotz dieser Hiobsbotschaften könnte es absurderweise gerade kaum besser für die AfD laufen. Schuld daran tragen ausgerechnet jene, deren Aufgabe es ist, Schaden von unserer Demokratie abzuwenden.

Allen voran Thomas Haldenwang, bis vor kurzem Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Haldenwang hatte ein neues Gutachten zur AfD angekündigt. Das politische Berlin rechnete fest damit, dass die AfD in Kürze bundesweit vom rechtsextremen Verdachtsfall zur gesichert extremistischen Bestrebung hochgestuft wird. Doch der bislang oberste Verfassungsschützer, der Rechtsextremismus zur größten Gefahr im Land erklärt hat, liefert der AfD stattdessen in einem Akt politischer Verantwortungslosigkeit Munition für ihre systemfeindliche Propaganda. Haldenwang will als CDU-Kandidat in den Bundestag. Die AfD wird nicht müde, den Verfassungsschutz als politische Waffe der Regierenden zu geißeln. Nun entdeckt Haldenwang plötzlich seine politischen Ambitionen und wechselt die Seiten. Das ist mehr als instinktlos. Diese Wendung wirft Fragen auf. Warum dieser Deal zwischen Haldenwang und der CDU? Beiden muss klar sein, dass sie damit die Glaubwürdigkeit des Verfassungsschutzes schwer beschädigen und die AfD stärken.

Mittlerweile ist durchgesickert, dass die erwartete Hochstufung der AfD nicht mehr vor der vorgezogenen Bundestagwahl erfolgen wird. Fraglich ist, ob überhaupt. Konservative wie die ehemalige Verfassungsschützerin Felor Badenberg (CDU) begründen das mit der gebotenen Zurückhaltung staatlicher Institutionen vor Wahlen. Doch hat die Justiz zuletzt unmissverständlich festgestellt, dass es nicht nur das Recht des Verfassungsschutzes ist, öffentlich vor Gefahren durch extremistische Parteien zu warnen, sondern sogar dessen Pflicht. Die AfD ist vor den Gerichten, wo es um die Beobachtung der Bundespartei als rechtsextremer Verdachtsfall ging, damit gescheitert, dem Verfassungsschutz mit dem Hinweis auf anstehende Wahlen einen Maulkorb zu verpassen. In einer föderalen Demokratie ist schließlich ständig irgendwo Wahlkampf. Die Richter machten klar: Wenn es konkrete Anhaltspunkte für Warnungen gibt, dann muss der Verfassungsschutz sogar vor diesen Gefahren warnen. Nun also fällt die Hochstufung der AfD aus. Der Verfassungsschutz dürfte auf einem (fast) fertigen Gutachten sitzen, dessen brisanter Inhalt nun zurückgehalten wird.

Zwar ist die Hochstufung der AfD für ein Verbot gar nicht zwingend nötig, aber Bundestagsabgeordneten von SPD, Grünen, Linken, CDU, CSU und FDP bietet der Hinweis auf den Verfassungsschutz das perfekte Alibi, dem Verbotsantrag gegen die AfD die Stimme zu verweigern. So als hinge die Gefährlichkeit der Partei von einem offiziellen Label ab. Wohlgemerkt: Neben vielen schwachen Argumenten gegen ein Parteiverbotsverfahren gibt es selbstredend auch einige starke. Viele Menschen würden das rechtsstaatliche Verfahren nach Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht als Ausdruck der wehrhaften Demokratie, sondern als Versuch missverstehen, einen politischen Konkurrenten aus dem Weg zu räumen. Die AfD würde diese Opfer-Erzählung massiv befeuern. Das politische Klima würde weiter vergiftet. Mehr noch: Die Legitimität des demokratischen Systems droht selbst bei jenen weiter zu schwinden, die selbst gar nicht die AfD wählen.

Diese politischen Bedenken sind legitim, auch wenn sie nicht stärker wiegen als der unverhandelbare Schutz von Millionen Menschen, die als Frauen, sexuelle oder religiöse Minderheit, als Menschen mit Behinderung, als Kulturschaffende, Forschende, People of Color oder mit Einwanderungsgeschichte von der brutalen autoritären und völkischen AfD-Politik betroffen wären. Denn das Grundgesetz verpflichtet sich, ausnahmslos jeden (!) Menschen in seiner Individualität, Identität und Integrität zu schützen. „Auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte sind damit nicht vereinbar“, stellt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unmissverständlich fest. Die Bedenkenträger in den demokratischen Parteien scheuen sich zu sagen, worum es ihnen eigentlich geht: Allen voran Grüne und SPD fürchten, bei der vorgezogenen Wahl nach dem Ampel-Desaster für den Verbotsantrag gegen die AfD abgestraft zu werden. Nach dem Motto: Eure Umfragen sind im Keller, dann also Parteiverbot. Man fürchtet, den Furor weiter anzufachen. Das auszusprechen wäre ehrlich. Stattdessen wird aber die Faktenlage bestritten. Kevin Kühnert (SPD) hat behauptet, ihm lägen immer noch keine überzeugenden Erkenntnisse gegen die AfD vor. Er hat damit die Richtung für die SPD vorgegeben.

Drei Grünen-Abgeordnete um Renate Künast torpedieren den Verbotsantrag der parlamentarischen Initiative um Marco Wanderwitz (CDU) sogar mit einem eigenen Antrag. Der Künast-Antrag fordert, zunächst ein Gutachten über die Gefährlichkeit der AfD einzuholen. Da reibt man sich die Augen. Als lägen nicht längst alle Fakten auf dem Tisch: Der Terrorverdacht gegen die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Der rassistisch motivierte Vertreibungsplan von Minderheiten unter dem Kampfbegriff „millionenfacher Remigration“. Der Schulterschluss der AfD mit Neonazis, Reichsbürgern und anderen Demokratiefeinden auf der Straße. Die systematische Beschäftigung ultraradikaler Szene-Kader in den Mitarbeiter-Büros, mit denen die AfD maßgeblich die rechtsextreme Szene in Deutschland finanziert. Nein, die AfD redet nicht nur, sie handelt auch planvoll entsprechend ihrer Ideologie.

Skeptiker*innen haben damit recht, dass durchaus heikel ist, inwiefern sich die Bundespartei den Rechtsextremismus eines Björn Höcke zurechnen lassen muss. Aber es ist absurd so zu tun, als ginge es nur um Höcke. Diverse Landesverbände der AfD sowie deren Jugendorganisation JA gelten bereits als erwiesen extremistisch. Und auch die Bundespartei ist längst auf völkisch-nationalistischem Kurs. AfD-Parteichef Chrupalla bestreitet, dass sein Kollege Höcke ein Rechtsextremist ist. Dummerweise wurde der gerade für den Gebrauch einer SA-Parole verurteilt. Der AfD-Ehrenvorsitzende Gauland, der Höcke zur Mitte der Partei erklärt hat, hetzte schon vor Jahren selbst mit der Verschwörungserzählung vom „Großen Austausch“, die weltweit Rechtsterroristen morden lässt. EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah hat mit seinem Buch „Politik von rechts“ eine Art völkisch-nationalistisches Manifest veröffentlicht – eine Kampfansage an alle, die der AfD nicht deutsch genug sind.

Parteichefin Alice Weidel wiederum hat deutschen Staatsbürgern mit einer Migrationsgeschichte (u.a. Deniz Yücel) öffentlich abgesprochen, Deutsche zu sein. Allen rechtsstaatlichen Lippenbekenntnissen zum Trotz. Weidel kündigte nach der Correctiv-Enthüllung an, gegen deutsche Staatsbürger*innen vorgehen zu wollen, die angeblich „missbräuchlich“ die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt haben. Das öffnet staatlicher Willkür Tür und Tor. Menschen anderer Herkunft werden in der AfD als „kulturfremd“ und inkompatibel zu Einheimischen gebrandmarkt. Die angestrebte „Remigration“ von Millionen Menschen ist ohne massive staatliche Gewalt undenkbar, weil die ihrer Rechte Beraubten das Land ja nicht freiwillig verlassen würden. Kollegen, Freundinnen, Nachbarn und Mitschülerinnen sollen weg. Nur weil sie der AfD nicht deutsch genug sind. „Deutschland muss wieder deutscher werden“, fordern denn auch AfD-Spitzenpolitiker*innen. Prominente AfD-Köpfe wie die Bundestagsabgeordnete Christina Baum hetzen zudem gegen die Rechte sexueller Minderheiten. Die Liste ließe sich tausendfach mit harten Fakten fortsetzen. Keine Beweise? Ernsthaft?

Das Oberverwaltungsgericht in Münster äußert den begründeten Verdacht, dass die AfD nicht nur die indisponible Menschenwürde des Grundgesetzes angreift, sondern auch, dass maßgebliche Teile der Partei Deutsche mit Migrationsgeschichte durch einen rechtlich abgewerteten Status diskriminieren wollen. Das ist die aktuelle Rechtsprechung. So zu tun als müsste nach vielen Jahren permanenter Radikalisierung erst jetzt aufwendig Material für ein Verbotsverfahren gesammelt werden wie das der Künast-Antrag suggeriert, ist eine Nebelkerze. Etliche Medien sind diesem Ablenkungsmanöver auf den Leim gegangen. Da war die Rede von einem schrittweisen Weg zu einem Verbotsverfahren. Das ist zynischer Unsinn. Für ein solches Gutachten hätte man schließlich auch nur das Material zur Verfügung, das auch Künast, Kühnert & Co. schon jetzt offen steht; was Demokratinnen und Demokraten längst in Chats, Videos, Posts, Reden, Akten, Studien und Büchern sehen und lesen können, wenn sie es denn wollen. Ein aufwendiges Gutachten zu bestellen ist nichts anderes als Zeitspiel mit bösen Folgen. Realistisch ist ein Verbotsverfahren, das mehrere Jahre laufen würde, ja überhaupt nur so lange, wie die AfD nicht an der Macht beteiligt ist. Mit ihrem Zögern und Zaudern drohen die demokratischen Parteien, dieses schmale Zeitfenster zu verspielen. Ohnehin gibt es in einem rechtsstaatlichen Verfahren keine Garantie auf Erfolg. Nichts zu tun übersteigt das Risiko eines ungewissen Ausgangs jedoch bei weitem.

Die öffentliche Debatte über ein Pro und Contra wird derweil mit einer Mischung aus Unwissenheit und Falschaussagen geführt. Ja, die Hürden für ein Parteienverbot sind zurecht hoch. Aber nein, damit eine verfassungswidrige Partei verboten werden kann, muss sie weder Gewalt anwenden noch Straftaten begehen. Weder braucht es die unmittelbare Gefahr durch einen bevorstehenden Putschversuch noch einen ausgearbeiteten Plan für ein konkretes diktatorisches System. All das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Urteil zum gescheiterten NPD-Verbot abgeräumt. Um aktiv und planvoll gegen die Demokratie zu agieren, reicht eine öffentliche Agitation, die darauf abzielt, die systemfeindliche Agenda denn auch politisch umzusetzen. Die demokratiefeindlichen Ziele müssen dafür übrigens nicht im Parteiprogramm stehen. Je höher politische Hetzer in der Parteihierarchie stehen, desto stärker die Beweiskraft.

Laut BVerfG soll das Verbostverfahren also ein Instrument der präventiven Gefahrenabwehr sein. Mit anderen Worten: Der Staat soll rechtzeitig und frühzeitig handeln, bevor es zu spät ist. Das Instrument des Verbots ist ausdrücklich auch für jene Fälle vorgesehen, dass eine Partei ähnlich wie seinerzeit die NSDAP mit legalen Mitteln, also durch Wahlen an die Macht kommen will. Anders als die NPD, die zwar verfassungswidrig, aber zu unbedeutend war, trifft auf die AfD das Merkmal der Potenzialität zu. Sie ist relevant und stark genug, ihre verfassungsfeindlichen Ziele im Falle einer Machteroberung auch wirklich umsetzen zu können. Das BVerfG hat klar gemacht, dass die Menschenwürde der indisponible Kern unserer Verfassung ist. Menschen ihrer Würde und anschließend ihrer Rechte zu berauben ist wie gezeigt verfassungswidrig und muss verhindert werden. Genau darum geht es im Kern eines AfD-Verbotsverfahrens. Abgesehen davon, dass eine Partei, die sich zur einzigen Alternative zu verhassten „Altparteien“ aufschwingt, auch gegen das Demokratieprinzip verstößt.

Eine demokratiefeindliche Partei zu verbieten ist nicht undemokratisch, wie gern behauptet wird. Im Gegenteil. Eine der wichtigsten Lehren aus dem NS-Terror lautet, dass den Feinden der Freiheit keine unbedingte Freiheit zusteht. Auch das hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt. Doch genau davor fürchten sich Linke, Liberale, Grüne sowie Christ- und Sozialdemokraten: als Antidemokraten dazustehen und die AfD mit einem Verbotsantrag am Ende sogar noch zu stärken. Zur Erinnerung: Nicht der Bundestag würde die AfD verbieten. Das Parlament kann mit einer Mehrheit lediglich dazu auffordern zu überprüfen, ob die Partei auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Die Entscheidung über ein Parteiverbot wird dann von unabhängigen Richterinnen und Richtern in Karlsruhe getroffen. Nach strengen rechtsstaatlichen Maßstäben und einer umfassenden juristischen Beweiserhebung. Man kann diesen Weg aus guten Gründen ablehnen. Aber parteitaktischer Opportunismus und Feigheit vor Demokratiefeinden gehören nicht dazu. Auch wenn man sich hinter der populären Floskel versteckt, man müsse die AfD „politisch stellen“. Wer sich jetzt wegduckt, sollte nie wieder sagen: Nie wieder.

 

Der Autor, Michael Kraske, ist Journalist und Buchautor. Zuletzt erschien: „Angriff auf Deutschland – Die schleichende Machtergreifung der AfD“ mit Dirk Laabs im Verlag C.H.Beck

 

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