Bereits 2017 hat das Deutsche Institut für Menschenrechte die Situation der Lebensumstände von Geflüchteten in Deutschland stark kritisiert. Der Bericht bescheinigte eine “fehlende Privatsphäre, mangelhafte hygienische Bedingungen und unzureichende Unterbringung und Versorgung von besonders schutzbedürftigen Personen”. Daran hat sich auch die letzten Jahre wenig geändert wie die aktuelle Situation unter Covid19 zeigt. Vor allem Kinder und Frauen* sind von der Quarantäne in Massenunterkünften betroffen.
Gerade für geflüchtete Frauen* und Kinder besteht eine hohe Gefahr
Für Geflüchtete sind die derzeitigen Umstände ein Albtraum. Die Break Isolation Group vom International Women* Space ist eine selbstorganisierte Gruppe bestehend aus geflüchteten Frauen*. Sie wollen sich Gehör verschaffen und auf ihre Lebensrealität aufmerksam machen. In Anbetracht der jetzigen Situation hat die Gruppe einige Stimmen von Geflüchteten gesammelt und in einem Covid19-Lagebericht veröffentlicht. Die geflüchteten Frauen* berichten von Maßnahmen, die eine Ansteckung verhindern sollen. Aber scheinbar erfüllen sie ihren Zweck nur halbherzig. In Eisenhüttenstadt würden „diejenigen, die neu ins Lager kommen, in einem Container isoliert, bevor sie in den Hauptblock verlegt werden können. Aber das hindert sie nicht daran, sich unter die anderen zu mischen, denn sie essen immer noch im selben Speisesaal“, so eine Bewohnerin. Die Lageberichte der geflüchteten Frauen* machen deutlich, dass die Situation unter den Geflüchteten zu noch mehr Angst, Unsicherheit und Stress führt.
Durch die Abschottung besteht keine Möglichkeit für die Bewohner*innen an andere als die eingelieferten Waren zu gelangen. Und auch diese Waren sind unzureichend. Die Bewohnerin in Eisenhüttenstadt berichtete von fehlenden Seifenhaltern in den Waschräumen und das, wo das Waschen mit Seife, derzeit als eine der wichtigsten Präventivmaßnahme gilt.
Mangelnde medizinische und hygienische Versorgung
Neben einem der Hauptprobleme, dass mitunter kein Geld ausgezahlt wird oder die Auszahlung oft mit einem zeitintensiven bürokratischen Aufwand verbunden ist, stehen insbesondere Frauen* mit Kindern vor dramatischen Problemen. Sie leiden unter einer mangelnden medizinischen Versorgungslage für die Kinder und müssen sich die Räumlichkeiten mit ihnen fremden Menschen teilen – von den Waschräumen bis zum eigenen Zimmer. Eine Bewohnerin beschreibt die hoffnungslose Situation für geflüchtete Frauen* in Brandenburg wie folgt: „Die Leute sorgen sich um Covid19. Sie sorgen sich überhaupt nicht um die Frauen*. Die werden von hier nach da versetzt, hin und her geschickt mit ihren Kindern und das ist fürchterlich.“ Alle sind von den verschärften Maßnahmen getroffen, doch am meisten leiden diejenigen, die auch vorher schon mit einem von Angst bestimmten Alltag zu kämpfen hatten – allen voran Frauen* und Kinder.
Soziale Medien und Online-Angebote als Hilfe, aber ohne WLAN nicht zu nutzen
Gerade in Zeiten der Isolation können soziale Kontakte zu Familie und Freund*innen eine Stütze darstellen – vor allem unter Geflüchteten, die Kontakt zu Verwandten oft nur über soziale Medien aufnehmen können. Wenn das WLAN allerdings nicht funktioniert oder erreichbar ist, müssen Prepaid Karten verwendet werden, da Handytarife ohne Aufenthaltstitel nicht zu bekommen sind. Zu diesen Prepaid Karten haben viele nun durch die Ausgangsbeschränkungen keinen Zugang mehr. Während der Kontakt mit möglicherweise auch infizierten Menschen auf engstem Raum für eine enorme Stresssituation sorgt, brechen zeitgleich die sozialen Kontakte zusammen. Die Belastbarkeitsgrenzen werden überschritten. Dabei erhöhe sich der Bedarf nach psychologischen Beratungen, gibt auch der Geschäftsführer des Landesnetzwerks Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt e.V. (LAMSA) Mamad Mohamad zu bedenken, der die Situation in Halberstadt beobachtet. Um diesen Bedarf zu decken, bietet die LAMSA neben verschiedenen anderen Organisationen Online-Beratungen an. Allerdings können die Angebote ohne WLAN nicht genutzt werden. Ein Teufelskreis, der das Leben der Menschen vor Ort beeinflusst.
Informationen müssen für alle zugänglich sein
Dieser Druck wird auch durch die zum Teil mangelnde Informationslage verstärkt. Viele Unterkünfte würden zwar umfassend informieren, aber die Einrichtungen können die Umsetzung der Vorschriften nicht garantieren. In Halberstadt würden laut Mamad Mohamad Texte in verschiedenen Sprachen veröffentlicht, aber die Länge der Texte macht die Informationen schwer verständlich. Es entstehen Missverständnisse, sodass Menschen denken, dass nur für sie die Einschränkungen gelten würden. Indem unkommentiert Gitter aufgestellt werden, die dem Schutz der Quarantäne angedacht wurden, würden Assoziationen zu unangekündigten Abschiebungen und somit Panik ausgelöst werden. Die Abschottung der Unterkünfte, die von den Behörden mit dem Schutz der Bewohner*innen begründet werden, bergen neben weiteren Freiheitsbeschränkungen erhebliche Gefahren für die Schutzsuchenden. „Retraumatisierungen sind wahrscheinlich, da die Erscheinungsweise der Absperrungen an Ereignisse im Heimatland oder auf der Flucht, z.B. auf den griechischen Inseln, erinnern kann und daher als Trigger wirkt“, kommentiert Mamad Mohamad die Quarantänemaßnahmen.
Zudem fördert die Art der Unterbringung eine hohe Infektionswahrscheinlichkeit. In Halberstadt gebe es zwar getrennte Blöcke, aber dennoch besteht Kontakt zwischen den Bewohner*innen. Die engen Räumlichkeiten machen eine konsequente Trennung unmöglich. Die Situation begünstigt Panikreaktionen und vor dem Hintergrund von Flucht und Vertreibung sind die Lebensumstände untragbar, kritisieren Geflüchtete und Organisationen, die sich für die Rechte von Geflüchteten einsetzen. Die Lage in Halberstadt spitze sich zu. Die jahrelang kritisierten Zustände haben sich dramatisch verschärft und die Bewohner*innen sind zu jeder Zeit einer Gefahr ausgesetzt. Laut Mamad Mohamad ließe sich beobachten, „dass sich alle verpassten Veränderungen nun rächen und die böse Fratze der Massenunterbringung ihr Gesicht zeigt“. Die LAMSA fordert neben einer dezentralen Unterbringung abseits von Massenunterbringungen adäquate Lebensmittel, den Zugang zu WLAN und sachlich und ruhig erklärte Informationen. Dies sei in Corona-Zeiten ein erster Schritt Richtung lebenswerten Zuständen.