Felice Frach ist bei den Radikalen Töchtern für Social Media und Kommunikation zuständig und wir haben uns mit ihr über hässliche AfD-Plakate, TikTok und rechtsextreme Jugendliche unterhalten
Civic.net: Woher kommt eigentlich der Name „Radikale Töchter“?
Felice Frach: „Radikal“ klingt immer erst mal stark. Wir kriegen auch ab und zu Kommentare nach dem Motto: „Radikal“, das ist doch eigentlich was Schlechtes. Für uns bedeutet „radikal“ einfach nur, dass man sich mit allem, was man hat, für eine Sache einsetzt. In unserem Fall ist das ein demokratisches Miteinander, in dem jede*r willkommen ist. Und „Töchter“ bezieht sich darauf, dass wir das Patriarchat überwinden wollen und mit unserem Namen schon einen Beitrag dazu leisten. Es spielt außerdem eine Art von Geschwisterlichkeit mit rein. Viel von unserer Arbeit hat damit zu tun, dass wir Banden bilden, uns vernetzen und zusammenstehen. Unser Name steht für Geschwisterlichkeit, die über das Patriarchat hinausgeht.
Wie seid ihr auf euren Ansatz gekommen?
Radikale Töchter wurde 2019 vor den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg gegründet. Unsere Gründerin Cesy Leonard und ihre Mitstreiter*innen haben damals gesehen, dass vor allem junge Menschen in ländlichen Räumen rechts gewählt haben. So entstand der Impuls, ein Angebot für genau diese Räume zu schaffen. Das machen wir jetzt durch Workshops und politische Aktionskunst.
Was vermittelt ihr in euren Workshops?
Wir machen zum Beispiel Workshops in Netzwerken, Theatern oder Jugendclubs, und entwickeln mit den jungen Menschen Kunstaktionen zu Themen, die sie persönlich interessieren. Die Spanne reicht vom Müll auf der eigenen Straße bis zu ganz großen Themen wie dem Klimawandel. Und daraus werden dann Aktionen entwickelt. Das funktioniert gut, weil wir nicht reinkommen und sagen: „Hey, wir sprechen heute über diese drei Themen“, sondern es geht ganz spezifisch um Probleme, die die Jugendlichen haben.
Ihr vergebt seit zwei Jahren sogenannte Mut-Stipendien, also ein Aktionskunst-Training, das aus mehreren Workshop-Wochenenden besteht. Was für Aktionen entstehen daraus?
Die Aktionen, die daraus entstehen, sind ganz unterschiedlich. Dieses Jahr wurde an Themen wie Rechtsextremismus, Klimakrise und den anstehenden Landtagswahlen gearbeitet. Eine Aktionskunst war beispielsweise eine Fotokampagne von “ACT KIT!”. ACT KIT! verbindet Aktivismus mit Mode und nutzt Kleidung als Kommunikationsmittel, um den Aktivismus gegen die Klimakrise zu unterstützen und die eigene Haltung zu reflektieren. Alltägliche Ressourcen und ausrangierte Textilien werden zu wirkungsvollen Statements umfunktioniert.
2024 waren wieder Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Mehr junge Menschen denn je haben AfD gewählt. Was heißt das für euch?
Wir haben superviel diskutiert und fragen uns schon auch, ob wir etwas mit der Arbeit, die wir machen, bewegen. Aber wir sind überzeugt, dass wir in unserem Wirkungsbereich einen Unterschied machen. Es geht ja um jeden einzelnen Jugendlichen, den oder die man dazu bewegen kann, nicht rechtsextrem zu denken oder zu wählen. Jede Person, der wir Mut geben können, ist eine Person mehr. Wir haben nicht den Impuls zu sagen, „Ok, dann geben wir jetzt auf“, sondern denken eher „Jetzt erst recht und jetzt noch mal mehr.“
Ihr seid auch auf TikTok und Instagram ziemlich aktiv. Welche Chancen und Herausforderungen bieten die sozialen Medien für Aktionskunst und künstlerischen Aktivismus?
Die größte Chance ist, dass man sich durch Social Media eine eigene Bühne bauen kann. Das Ding mit Kunst ist ja immer, dass sie eine Bühne braucht, sei das jetzt ein Ausstellungsraum oder eine literarische Bühne. Mit Social Media kannst du die einfach sofort haben. Dadurch dass wir mittlerweile eine total coole Community haben, haben wir auch sofort ein Publikum. Der Vernetzungsaspekt, der in der Kunst superwichtig ist, ist durch Social Media einfacher geworden.
Eine Herausforderung ist, dass wir uns als Organisation sehr klar gegen rechtsextreme Positionen aussprechen und so natürlich auch mit Hasskommentaren und digitalen Angriffen zu tun haben. Ich war allerdings letztens beim TikTok-Stammtisch der Amadeu Antonio Stiftung und habe gemerkt, dass es sich im Vergleich zu anderen Organisationen in Grenzen hält. Positives überwiegt in unseren Kommentaren auf jeden Fall.
Was bedeutet digitale Zivilgesellschaft für euch?
Ich finde, der Begriff Community passt sehr gut dazu, also eine Gruppe von gleichgesinnten Organisationen und Menschen, die für ein gleiches Ziel zusammenarbeiten, informieren und sich engagieren in den sozialen Medien. Und wir sind auf jeden Fall Teil davon. Vor allem der Community bzw. Vernetzungsaspekt ist für unsere Arbeit total wichtig, gerade in ländlichen Räumen läuft es nicht, wenn man nicht die entsprechenden Leute kennt, die z.B. Räume haben und das geht viel über Instagram.
Was sind eure Tipps für alle, die jetzt angesichts der letzten Wahlen in Ostdeutschland ins demokratische Handeln kommen wollen?
Man braucht etwas Konkretes. Wenn man anfängt mit „Ich möchte etwas gegen die Klimakrise machen“ ist das ein Riesenthema, da fühlt sich jede*r erschlagen. Es geht also darum, sich ein konkretes Ziel zu setzen, z.B. „Hier in meinem Dorf gibt es diese Aktion“. Das ist der erste Schritt. Ein klares Ziel vor Augen hilft immer. Das kann auch erst mal in einem kleinen, zugänglichen Rahmen passieren. Und was wir auch immer predigen: Man kann sich mit allen Problemen der Welt beschäftigen, von denen es ja auch sehr viele gibt. Aber ganz besonders wichtig ist, auf sich selber zu achten. Manchmal hilft es auch einfach, das Handy wegzulegen und Pushnachrichten auszustellen. Und natürlich unsere Workshops besuchen.
Das Interview hat Civic.net geführt, ein Projekt der Amadeu Antonio Stiftung. Wer mehr über digitale Zivilgesellschaft und Aktivismus in den sozialen Medien erfahren will: Dafür gibt es ab jetzt das ABC der digitalen Zivilgesellschaft. In dem Glossar finden alle, die sich für ein demokratisches Miteinander in den Sozialen Medien einsetzen wollen, Informationen und Tipps für digitales Engagement.