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Gegengift2022 NPD-nahe Impfgegner gegen den „Great Reset“

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4.3.2022 Verschwörungsideologischer Marsch in Lübeck (Quelle: Pixelarchiv/CC BY-NC 4.0)

Ausgerüstet mit Schutzanzügen und Kabelbindern klettern Aktivist:innen Anfang April 2022 auf eine Autobahnbrücke in Niedersachsen. Mit dabei: Eine Kamera, um ein Video der Aktion später in den sozialen Medien zu veröffentlichen. Sie rollen ein Transparent aus und befestigen es an der Brücke. „Pandemie der Lügen“ steht darauf. Doch im Gegensatz zum Coronavirus, dessen Existenz die Gruppe leugnet, geht das Video zumindest auf Instagram nicht viral: Lediglich 1.700 Aufrufe hat es anderthalb Monate später. Auf Telegram ist der Erfolg größer: Obwohl der Telegramkanal der Gruppierung nur rund 1.700 Abonnent:innen hat, wird das Video über 50.000 Mal angeschaut.

Die Aktion stammt von „Gegengift2022“, einer neuen rechtsextremen Impfgegnerkampagne, die sich im Januar dieses Jahres gründete. In den sozialen Medien inszeniert sich die Gruppierung durch Schwarz-Weiß-Videos mit martialischen elektronischen Klängen als radikale, medienaffine Jugendbewegung. Mit blauen Rauchtöpfen, Schlauchschals und Armbinden tragen sie „systemkritische“ Transparente, die Impfungen gegen das Coronavirus anprangern. „Wir sind die Impfrevolte“ steht auf einem Banner. „Big Brother is Vaxxing You“ auf einem anderen. Schon mit ihrem Logo gibt sie sich kämpferisch: Ein Schwert durchsticht einen DNA-Strang, um eine Impfspritze zu bilden.

Auf der Autobahn rechts abbiegen: Eine Banneraktion von „Gegengift2022“ auf der A7 in Niedersachsen (Quelle: Instagram-Screenshot)

Um die Covid-Pandemie geht es bei „Gegengift2022“ aber nur vordergründig. „Die Maßnahmen zurücknehmen, die Impfpflicht vom Tisch wischen und alles ist wieder gut?“, fragen die Aktivist:innen auf ihrer Webseite. „Mitnichten“, lautet die Antwort. Die Gruppierung versteht sich vor allem als „Gegengift“ zum „Great Reset“ – eine antisemitische Verschwörungserzählung, nach der „globale Finanzeliten“ unter dem Vorwand einer vermeintlichen Pandemie eine neue Weltwirtschaftsordnung und digitale Gesundheitsdiktatur planten. Dem „Great Reset“ widmet „Gegengift2022“ eine ganze Rubrik auf ihrer Webseite. „Wir wollen hier einige Fakten zusammentragen und ins ‚rechte Licht‘ rücken“, heißt es. Die Fakten lassen allerdings bis dato auf sich warten, die Seite ist sonst leer. Nur in zwei kurzen Beiträgen auf der Startseite wird erklärt, was die Kampagne unter „Great Reset“ versteht und wer davon profitiert – zum Beispiel der jüdische BlackRock-CEO Larry Fink oder Bill Gates.

Aus welchem politischen Kontext „Gegengift2022“ entstanden ist, wird im Impressum auf der Webseite klar. Dort steht die Adresse einer bekannten Szeneimmobilie der extremen Rechten, ein Altbauhaus im Chemnitzer Plattenbauviertel Markersdorf. Von dort aus wird das Rechtsrock-Label „PC Records“ um den Neonazi Yves Rahmel betrieben, ein Label, das Soli-Aktionen unter anderem für die NPD organisiert. Im Haus finden seit Jahren Vorträge, Liederabende und politische Schulungen der Neonazi-Szene statt. Der ehemalige NPD-Bundesvorsitzende Holger Apfel soll laut Ex-NPDler Maik Scheffler dort ein Büro geleitet haben, wie die ZEIT 2011 berichtete. Die Adresse war zudem in Vergangenheit die Geschäftsstelle der sächsischen „Jungen Nationalisten“ (JN), der Jugendorganisation der NPD. Auch die inzwischen verbotene Kameradschaft „Nationale Sozialisten Chemnitz“ soll das Haus lange Zeit als Treffpunkt genutzt haben (siehe Endstation Rechts).

Eine Nähe zur NPD streitet „Gegengift2022“ ab. In einem Beitrag auf ihrer Webseite, schreiben die Verantwortlichen als Reaktion auf Medienberichte, sie seien keiner Partei zugehörig und „in verschiedenen Teilen der patriotischen Jugendkultur verwurzelt“. Auf Demonstrationen treten NPD-Kader aber immer wieder unter dem Banner der Gruppe auf – wie etwa in Hamburg Ende Januar, als mehrere Neonazis der JN sich hinter dem Transparent von „Gegengift2022“ versammelten. Bei einem sogenannten „Spaziergang“ gegen Coronamaßnahmen Anfang Februar in Schwerin traten wieder JN-Kader mit Logos der Gruppe auf.

Auch die Bundesregierung sieht personelle Überschneidungen zwischen der „Gegengift2022“-Kampagne und der NPD samt ihrer Jugendorganisation. Das geht aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken hervor, die Belltower.News vorab exklusiv vorliegt. Die Bundesregierung ordnet die Kampagne dem rechtsextremen Spektrum zu und listet Auftritte der Gruppierung bei Demonstrationen gegen Coronamaßnahmen auf in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt. Auch „PC Records“ organisiere Unterstützungsaktionen für die NPD, so die Bundesregierung.

Mit blauen Schlauchschals laufen Aktivist:innen von „Gegengift2022“ auf einer verschwörungsideologischen Demonstration in Schwerin Anfang März 2022 (Quelle: Pixelarchiv / CC BY-NC 4.0)

Seit Jahren steckt die NPD in der Krise. Die Mitgliederzahlen flauten stark ab und die rechtsextreme Partei steht finanziell kurz vor dem Ruin. Ein Richtungsstreit ist entbrannt: Der einst einflussreiche Akteur Rechtsaußen ringt darum, eine Position zwischen der sich vergleichsweise bürgerlicher gebenden AfD und dem militanteren „III. Weg“ zu finden. Nicht mal ein Rebranding mit neuem Parteinamen konnte die NPD bei ihrem Parteitag am vergangenen Wochenende durchpeitschen, wie Belltower.News berichtete.

Mit der Kampagne „Gegengift2022“ versuchen aber nun offenbar Kader der JN, die schon damit gedroht hat, sich von der Mutterpartei zu trennen, den außerparlamentarischen Erfolg der „Querdenken“-Bewegung anzuzapfen und eine anschlussfähigere Gruppierung zu lancieren – ganz frei vom in vielen Kreisen verbrannten Label der NPD. Ihre Medienstrategie scheint von den Social-Media-Provokationen der „Identitären Bewegung“ stark beeinflusst zu sein. Das ist offenbar Teil des Plans: „Gegengift arbeitet als Akteur der außerparlamentarischen Opposition im politischen, wie metapolitischen Rahmen“, heißt es auf ihrer Webseite im neurechten Jargon.

Diese Einschätzung teilt auch Martina Renner, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. „Die sogenannte Kampagne ist nur ein weiteres Beispiel für die seit Jahren von der extremen Rechten verfolgte Taktik, sich als zivilgesellschaftliche Bewegung zu initiieren“, sagt sie Belltower.News. „Unabhängig von Flüchtlings- oder Coronapolitik steckt dahinter jedoch nur der Versuch, antisemitische und rassistische Ressentiments in der Gesellschaft zu vertiefen.“

Vor allem im Zuge der Demonstrationen gegen Infektionsmaßnahmen und eine mögliche Impfpflicht nehmen Rechtsextreme immer wieder eine zentrale Rolle ein, sie steuern die Proteste. „Das ist gefährlich“, warnt Renner. Der Mord von Idar-Oberstein sei das Ergebnis aus der damit verbundenen rechtsextremen Gewaltrhetorik, so Renner. Doch in der Statistik wird dieser Kontext oft ausgeblendet oder entpolitisiert. In den neusten Zahlen zur politisch-motivierten Kriminalität sind die Straftaten, die laut Polizei „nicht zuzuordnen“ seien und aus dem Spektrum der Coronaleugner:innen und Impfgegner:innen kommen, um 147 Prozent rasant gestiegen. „Die Sicherheitsbehörden müssen das endlich zur Kenntnis nehmen und aufhören, den künstlich erschaffen Phänomenbereich ‚PMK-nicht zuzuordnen‘ weiter aufzublähen“, fordert Renner. Denn „Gegengift2022“ zeigt erneut, dass bei Coronaleugner-Demonstrationen Neonazis in der ersten Reihe mitmarschieren.

Das Artikelbild wurde unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC 4.0 veröffentlicht.

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